Schwesternschaftliche Diakonie in der Landeskirche

Vor 125 Jahren wurde die Evangelische Krankenpflegeanstalt in Hermannstadt eingeweiht (I)

Der Neubau der „Evangelischen Krankenpflegeanstalt“ der Hermannstädter Kirchengemeinde wurde am 4. November 1888 in Anwesenheit von Bischof D. Georg Daniel Teutsch eingeweiht.

Seit 1889 arbeitete eine Schwester für die Kinderheilerholung in Salzburg/Ocna Sibiului, die 1892 durch einen Neubau zur alljährlichen sommerlichen „Kinderkolonie“ ausgebaut wurde.

Die kostenlose Ausbildung der ersten siebenbürgisch-sächsischen Lehrschwestern in Weimar wurde durch Unterstützung der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach ermöglicht. Im Bild mit Großherzog Karl Alexander, etwa 1885

In Hermannstadt entstand bereits im Jubiläumsjahr 1883 – 400 Jahre nach der Geburt Martin Luthers – der Wunsch, nach deutschem Vorbild eine Diakonissenanstalt zu begründen. Am 1. Mai 1886 unterzeichneten führende Honoratioren der Stadt, unter ihnen der Kanzleichef der Landeskirche Karl Fritsch oder auch der spätere Landeskirchenkurator Carl Wolff, eine von Stadtphysikus Dr. Fr. Jikeli initiierte Eingabe an das Presbyterium der Hermannstädter Stadtpfarrgemeinde, in der die Errichtung einer Diakonissenanstalt angeregt wurde. Unter Leitung von Dr. Friedrich Müller, dem damaligen Stadtpfarrer und späteren Bischof, beschloss das Presbyterium umgehend, diesen Vorschlag zu realisieren. Drei junge Frauen – Johanna Schmidt, Marie Paulini, Susanna Roth – wurden  aus den meist jungen und unverheirateten Bewerberinnen ausgewählt. Ihre Reisekosten übernahm die Kirchengemeinde. Sie wurden ins Deutsche Kaiserreich nach Weimar zur Ausbildung als Krankenschwestern geschickt. Die Gelegenheit zur kostenlosen Ausbildung hatte die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach, deren außergewöhnliches soziales Engagement in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt war, ermöglicht.

Die aus den Niederlanden stammende, streng protestantisch erzogene Prinzessin Sophie, deren breit angelegte musische, ökonomische, politisch-philosophische und soziale Bildung  durch ihren Vater zielstrebig betrieben worden war, ist seit 1842 mit ihrem Cousin Karl Alexander, dem seit 1853 amtierenden Großherzog von Sachsen-Weimar verheiratet gewesen. Ihr ist die umfangreiche „Sophienausgabe“ von Goethes Werken zu verdanken sowie eine intensive Kunst- und Kulturförderung. Dennoch lag der Schwerpunkt ihres Engagements im sozialen Bereich. Initiiert hat sie ein Blinden- und Taubstummeninstitut in Weimar, Kleinkindbewahranstalten, Industrie-, Hauswirtschafts- oder auch Gewerbeschulen. Diesen Einsatz verband sie mit der Leitung des von ihrer Schwiegermutter 1817 begründeten und von ihr 1859 übernommenen Patriotischen Instituts der Frauenvereine. Das von ihr 1875 in Weimar ins Leben gerufene und zeitlebens geförderte Diakonissenhaus, dessen 1886 von ihr großzügig neu errichtetes Mutterhaus als „Sophienhaus“ bekannt wurde, hat eine umfassende Wirksamkeit entfaltet. Ebenfalls mit ihrer Unterstützung wurde ein Kinderheilbad 1890 in Stadtsulza begründet.

Angemessener Neubau

Die drei Lehrschwestern aus Hermannstadt erhielten somit 1887/88 die Möglichkeit, auf medizinisch und pflegerisch neuestem Stand ihren Beruf zu erlernen, um damit in der ambulanten Gemeinde-, aber auch in der stationären Krankenhauspflege eingesetzt werden zu können. Aufgrund der durch die beginnende Industrialisierung allmählich einsetzenden Landflucht wuchs die Stadtgemeinde Hermannstadt ständig und überproportional. Während sich parallel zur Errichtung der institutionalisierten Diakonie die meisten städtischen Nachbarschaften auflösten, reagierte die sächsische Gemeinschaft verantwortungsvoll auf die Herausforderungen durch Armut, Epidemien, prekäre Wohnsituationen wie auch im Hinblick auf moderne medizinische Erkenntnisse und gewachsenes Hygienebewusstsein. Hatte unter den Honoratioren zunächst die Absicht bestanden, in einem gemieteten Haus für die zurückkehrenden Krankenschwestern eine kleine Schwesternstation einzurichten, wies die weitblickende Weimarer Oberin Berta Döbling  – gestützt auf das von der Großherzogin angestrebte Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe – die Verantwortlichen in Hermannstadt darauf hin, dass nur ein angemessener Neubau optimale Arbeitsbedingungen und vor allem auch die Chance zu einem Wachstum der jungen Einrichtung böte.

Beherzt griffen Presbyterium und Gemeindevertretung diese Anregung auf und errichteten binnen eines dreiviertel Jahres einen Neubau der „Evangelischen Krankenpflegeanstalt“ der Hermannstädter Kirchengemeinde. Finanziert wurde die enthusiastisch begonnene Arbeit durch vierteljährliche Hauskollekten, umfangreiche „Widmungen“, also Spenden, und mithilfe eines internen Kredits. Am 4. November 1888 – also vor genau 125 Jahren – feierte die Hermannstädter Kirchengemeinde in Anwesenheit von Bischof D. Georg Daniel Teutsch die Einweihung des Neubaus auf einem der Kommune Hermannstadt abgekauften Rand-Grundstück des Bürgerspitals an der Drei-Eichen-Straße. Entstanden war ein Krankenhaus mit sechs Betten in der Krankenstation. Im selben Gebäude wohnten zugleich die Schwestern. Ein Zubau kam 1890 hinzu, doch reichte diese Erweiterung immer noch nicht aus. Dieses erste Gebäude wurde schließlich ins Schwesternwohnheim umgewandelt, nachdem bereits zum 10-jährigen Bestehen im unmittelbaren Anschluss daran ein neues zweistöckiges Krankenhaus erbaut worden war.

Nur dieses steht heute noch auf dem Klinikgelände – direkt am Verkehrskreisel hinter dem Gedenkobelisken.
Monatlich wurde in den Sitzungen des Presbyteriums über die Arbeit und die Herausforderungen des neuen Arbeitszweiges berichtet. Mit erkennbarer Sympathie begleitete der Krankenpflegeausschussvorsitzende, Stadtpfarrer Müller, die positive Entwicklung. Die Gemeindeglieder unterstützten vielfältig und großzügig die Krankenpflegeanstalt, die rasch aufblühte. Sehr rasch wuchs die Zahl der Probe-, Lehr- und Pflegeschwestern (1898: 28; 1913: 54), die teilweise in Hermannstadt, aber auch in Weimar in mindestens einjährigen Lehrgängen ausgebildet wurden. Zwar lebten die Schwestern ehelos, waren aber nicht verpflichtet, lebenslang der Schwesternschaft anzugehören. Ein Großteil trat nach einiger Zeit – meist wegen Heiratsabsichten – wieder aus. Dennoch fanden sich auch einige Schwestern bereit, lebenslang in dieser Dienst- und Lebensgemeinschaft zu wirken. Die erste Oberin, Johanna Schmidt, trat nach mehr als 42 Jahren zum Jahresende 1929 in den Ruhestand über.

Sich ausbreitende Diakonie

In der Hermannstädter Krankenpflegeanstalt entstand der Mittelpunkt einer sich auf die Landeskirche ausbreitenden schwesternschaftlichen Diakonie. Mit der ständig und deutlich wachsenden Zahl ausgebildeter Krankenschwestern wuchs andernorts der Wunsch, weitere lokale Schwesternstationen zu eröffnen. Die Nachfrage war größer als die Zahl der ausgebildeten Schwestern, die aufgrund von Verträgen und an das Mutterhaus zu leistenden Gebühren entsandt wurden. In der Folge entstanden Schwesternstationen 1891 in Schäßburg und Agnetheln (bis 1893), 1897 in Kronstadt, 1901 in Sächsisch Regen, 1903 in Mediasch und 1912 in Mühlbach. Sie arbeiteten in der Privatpflege (bei den Erkrankten zu Hause) oder in Spitälern, zuweilen auch in Sanatorien. 1892 wurde den Schwestern (mit gewissen Einschränkungen) der gesamte Pflegedienst im Hermannstädter Franz-Josef-Bürgerspital übergeben. In Schäßburg arbeiteten 1913 neun Schwestern, davon sieben im Komitatsspital, in Mediasch fünf und in Mühlbach drei Schwestern im städtischen Spital-Pflegedienst. Zu den sechs Schwestern im Hermannstädter Bürgerspital und zwei weiteren im Isolierhaus (1913), kamen weitere Schwestern hinzu: Seit 1889 eine Schwester für die Kinderheilerholung in Salzburg/Ocna Sibiului, die 1892 durch einen Neubau zur alljährlichen sommerlichen „Kinderkolonie“ ausgebaut wurde, dazu traten 1892 gleichartige Einrichtungen in Karlshütte/Şoşcut/Sóskut (bei Schäßburg) und Bad Zaizon/Zizin (bei Kronstadt).

Bereits 1904 nahm die Hermannstädter Kirchengemeinde eine, und 1907 eine zweite Gemeinde-Armenschwester in Dienst, die insbesondere während der Typhus-Epidemie 1908 und in den Folgejahren unschätzbare Hilfe leisteten. Die Gemeinde wurde 1904 in Seelsorge- und Armenbezirke eingeteilt. Die Berichte der Gemeindeschwestern, die immer auch in den Presbyterialsitzungen verlesen wurden, ließen erkennen, welche Not, u. a. bei dauernd, aber auch bei „verschämten“ Armen herrschte. 1910 wurde eine Schwester bei der Bezirks-Arbeiterversicherungskasse ambulant eingesetzt, 1913 traten zwei Schwestern in der staatlichen Hebammenanstalt ihren Dienst an, und das Erholungsheim im Brukenthalschloss mit Ferienkolonie in der Orangerie in Freck wurde durch Schwestern geführt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde die intensive Verbindung mit dem Sophienhaus in Weimar und der großherzoglichen Familie gepflegt, die gewissermaßen das anfänglich durch Großherzogin Sophie geübte Protektorat über die Krankenpflegeanstalt in Hermannstadt fortführte.