„Sei der Architekt deines Lebens“

ADZ-Gespräch mit der international geschätzten Architektin Oana Stănescu

Die rumänische Architektin Oana Stănescu nahm im Laufe der Jahre an verschiedenen Projekten in der ganzen Welt teil. Foto: Brigitte Lacombe

Sie wurde in Reschitza/Reșița geboren und besuchte dort die deutsche Abteilung der „Diaconovici–Tietz“-Schule. Danach studierte sie Architektur an der TU „Politehnica“ in Temeswar/Timișoara. Mittlerweile ist sie eine der weltweit geschätzten Architektinnen. Oana Stănescu (35) kam im Herbst nach Temeswar und war Mitglied in der Jury der Temeswarer Architekturbiennale (BETA 2018). Ende Oktober hielt sie auch einen Vortrag bei „Inspire Other Travelers“, einem Projekt zur Selbsterkennung und Motivation.

Im Laufe der Jahre nahm sie an verschiedenen Projekten in der ganzen Welt teil. Seit mehreren Jahren lebt die Architektin Oana Stănescu im New Yorker Stadtteil Manhattan und trägt zur Entstehung großartiger Projekte bei, darunter, zusammen mit dem Family-Team, das Werk eines Filterpools auf dem East-River in New York. Auch mit dem US-amerikanischen Rapper Kanye West arbeitete die Reschitzaerin bereits zu verschiedenen Anlässen zusammen. Seit einiger Zeit unterrichtet die Architektin auch Studenten an berühmten Universitäten und Bildungseinrichtungen weltweit, unter anderen am Massachusetts Institute of Technology (MIT), an der Harvard GSD University, Cambridge USA, an der Columbia University und an der Cooper Union.

Vor einigen Jahren machte Oana Stănescu in Temeswar ihre Diplomarbeit zur Umfunktionierung der emblematischen Seilbahn für Dolomittransporte in Reschitza. Was daraus geworden ist und was sich die junge Architektin noch vornimmt, wie ihr Leben ein Schicksalsschlag traf und wie sie im Allgemeinen alles meistert, versuchte ADZ-Redakteurin Andreea Oance von Oana Stănescu in einem Gespräch zu erfahren.


Bei der Architekturbiennale in Temeswar (BETA 2018) warst du Mitglied in der Jury für Architektenprojekte. Was konntest du aus diesem Blickwinkel beobachten?

Das, was ich als gelungen bei diesem Wettbewerb betrachte, ist, dass wir fünf Jurymitglieder aus verschiedenen Ländern aus dieser Region waren. So kommen wir alle mit verschiedenen Einblicken in denselben Bereich. Zuerst machten wir eine Vorauswahl aller eingereichten Projekte und in den letzten Tagen der Biennale durften wir an öffentlichen Vorstellungen dieser teilnehmen. Solche Projektvorstellungen finden sehr selten innerhalb von Architekturwettbewerben statt. Ich finde es wunderbar, dass BETA diese Vorstellungen eingeführt hat und dass dabei dem Architekten die Möglichkeit geboten wird, vor einem großen und vielfältigen Publikum über seine Projekte zu reden und seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Das schafft automatisch auch einen Dialog unter Architekten und einfachen Bürgern, die letztendlich auch die Nutznießer dieser Projekte sind.

Du wirst oft als Vorbild für junge Architekten in Temeswar und Rumänien vorgestellt. Wie siehst du die Architekten, die nun am Anfang ihrer Karriere sind?

Ich bin der Meinung, dass die Gelegenheiten im Architekturbereich hier sind und nicht in der weiten Welt. Ich freue mich immer wieder, nach Rumänien und in die Region zurückzukehren und ich bin dankbar, dass BETA mir diese Möglichkeit geboten hat, die Änderungen in der Region näher zu betrachten. Es gefällt mir tatsächlich, was ich sehe. Beim Architekturwettbewerb gab es sehr viele eingereichte Projekte bzw. Experimente. Das ist sehr wichtig in diesem Bereich. Die Architekten sollen Projekte und Ideen entwickeln. Der Vorteil der Gegend ist, dass man immer noch aus den Fehlern anderer hochentwickelter Länder lernen kann. Wir befinden uns in einem Moment des grundlegenden Wandels auf globaler Ebene. In den letzten Jahren hat man viele Änderungen erleben können, von der Entwicklung der Technologie, Biotechnologie und bis zu den Diskussionen bezüglich des Klimawandels. Man kann all diese Bereiche von verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Wie gesagt, die Gelegenheiten sind hier und man kann immer noch etwas zu einem positiven Wandel beitragen. Hier gibt es auch Ressourcen, die es in der Welt immer weniger gibt. New York ist zum Beispiel eine Metropole des Geldes. Ein Architekt kann dort nicht mehr viel entwickeln, die Stadt ist extrem stark bebaut, von Projekten übersättigt. In einer Stadt wie Temeswar besteht immer noch die Notwendigkeit, wichtige Änderungen vorzunehmen. Wir können immer noch grundlegend definieren, wie wir in dieser Stadt leben wollen und welche Art von Stadt wir haben wollen.

Du wurdest auch zum „Inspire Other Travelers“-Projekt eingeladen, um über dich zu erzählen. Was bedeutet eigentlich für dich das Motto, das du für deinen Vortrag gewählt hast: „Be the architekt of your life“ / „Sei der Architekt deines Lebens“?

Ich hätte eher sagen wollen: Mist kann schon mal passieren. Die Schlussfolgerung ist, egal wie man sie ausdrücken möchte, dass uns im Leben sowohl gute als auch schlechte Sachen passieren können: Wir müssen alles überwinden. Das, was man aus den Erlebnissen lernt und welche Bedeutung wir ihnen verleihen, das ist der Schlüssel. Wir müssen auch einsehen, dass vieles, was uns im Leben passiert, nicht von uns abhängt und dass wir manchmal keine Kontrolle darüber haben können. Ich bemühe mich immer noch, dies zu akzeptieren. Immer wird sich eine andere Person finden, die es schlimmer hat als du. Die Frage ist, was kannst du mit all diesen Schicksalsschlägen und Gelegenheiten tun? Nicht nur im Rumänischen heißt es oft, dass man das Glück selber macht, dass der Mensch seines Glückes Schmied ist. Leider gibt es im Leben auch Unglück. Das ist auch das Konzept hinter der Idee „Be the architekt of your life“. Egal wie stark wir auch vom Schicksal getroffen werden, müssen wir immer das Beste daraus machen und selbst bestimmen, in welcher Richtung unser Leben weitergehen wird.

Das Jahr 2017 war für dich in dieser Richtung entscheidend. Anfang vergangenen Jahres hast du erfahren, dass du an Lungenkrebs leidest. Wie hat dich das inmitten eines beruflichen Erfolgsrausches beeinflusst?

Ich bin Architektin. Über Architektur kann ich leicht reden. Über das Leben im Allgemeinen kann ich nicht behaupten, dass ich jemand Ratschläge geben kann. Die größte Entdeckung, die ich seit 2017 machen konnte, ist, dass das Leben schön ist, egal wie schwer es auch sei. Wir sind immer auf der Suche nach irgendetwas Großartigem. Auf dieser Suche vergessen wir das Wesentliche und Einfache im Leben. Das ist nun etwas, zu dem ich immer wieder zurückkehren möchte. Grundsätzlich sind wir, was wir sind und das, was wir haben, bleibt auch immer da. Die Vergangenheit bleibt vergangen, die Zukunft bietet keine Garantie; wir verdienen nichts. Alles, was wir haben, ist jetzt, in diesem Augenblick. Das bedeutet auch, dass wir uns dann entscheiden müssen, wie wir dieses „Jetzt“ leben wollen. Wir müssen unsere Verantwortung für dieses „Jetzt“ übernehmen. Das ist der Schlüssel für mich.

Seit einiger Zeit unterrichtest du Architektur vor Studenten an verschiedenen Universitäten der Welt. Wie ist es eigentlich dazu gekommen?

Vor drei Jahren habe ich im Sommer eine Mail vom Dekan der Architekturhochschule an der MIT bekommen. Der Vorschlag lautete, den Studenten im ersten Jahrgang Entwurfszeichnen, Projektierung zu unterrichten. Ich dachte: OK! So habe ich mit dem Unterricht an der MIT begonnen. Die Projektierung ist sehr wichtig. Jeder Student muss ein Projekt entwickeln. Zusammen besprechen wir dann die Schwerpunkte der Projekte und ich kann es manchmal nicht fassen, dass ich dafür sogar bezahlt werde. Mein Unterricht ist eigentlich ein Dialog mit sehr jungen Köpfen, die in der großen Architektenwelt einen Platz suchen. Sie entwickeln sich jetzt auch persönlich und finden dabei eine eigene Richtung, persönlich und professionell. Du als Mentor hältst jemanden an der Hand und führst ihn auf einen kreativen Weg, seinen Werdegang. Teil des Werdegangs einer jungen Person zu sein, das sehe ich als ein Privileg.

Wie kommt die Architektenarbeit mit der eines Lehrers bei dir zurecht? Findest du Zeit für alles?

Zeit hat man nie. Man findet Zeit, man macht sich Zeit. Ich liebe es zu unterrichten. Was mir aber am meisten daran gefällt, ist, dass ich durch diese Erfahrung mit den Studenten auch sehr vieles über mich selbst entdecke. Es ist und bleibt aber ein Hobby. Mich interessiert das Unterrichten als Karriere nicht. Das, was ich unterrichte, steht in engem Zusammenhang mit dem professionellen Teil. Wenn wir über ein Projekt diskutieren, wie eines entsteht, so muss ich gleichzeitig auch ein eigenes Projekt entwickeln. Sonst sehe ich die ganze Diskussion als unfair an. Das gilt auch für das, was ich unterrichte, es ist wesentlich. Derzeit habe ich eine eigene Firma. Bis vor Kurzem bin ich alleine auf diesem Weg gegangen. Das sehe ich auch als eine Art zweite Chance, indem ich versuche zu definieren, was ich entwickeln möchte. Mein Büro basiert auf Zusammenarbeit. Ich spiele irgendwie damit und versuche, von allen Vorteilen des Jahres 2018 zu profitieren.

Wie ist es denn mit deinem Projekt für die Seilbahn in Reschitza geblieben?

Die Seilbahn über Reschitza hat mich immer interessiert. Die ist Teil des Alltags aller Reschitzaer. Die Stadt kann aus der Seilbahn für Industrietransporte, die das Bersau-Tal im Stadtzentrum überquert, wunderbar betrachtet werden. Wir als Schüler haben immer wieder diese Konstruktion bestiegen, unter der meine Eltern heute noch wohnen. So dachte ich mir, die soll allen zugänglich werden und kann auch als Touristenattraktion umfunktioniert werden. Ich habe also meine Diplomarbeit zu diesem Thema verfasst. Ich wollte auch einen leichteren Zugang zur Natur schaffen. Denn das Paradox ist: Obwohl Reschitza von Natur eingekreist ist, hat die Stadt keinen direkten Zugang zur Natur. Es freut mich, dass Bürgermeister Ioan Popa diese Umfunktionierung der Industrieseilbahn bei der Ausarbeitung des künftigen Stadtentwicklungsplans in Betracht ziehen lässt.