Selbst im Unglück ein Sieger

Ein Nachruf auf König Mihai I. von Rumänien (1921 – 2017)

Sternstunde für König Mihai I.: Nach mehrfachen Ausweisungen aus Rumänien konnte ihm das Volk bei einem weiteren Aufenthalt in unserem Land im April 1992 zujubeln.

Keine 23 Jahre alt war er, als er am 23. August 1944 den allmächtigen Staatsführer Marschall Ion Antonescu entmachtete, eine neue Regierung bildete, das katastrophale Bündnis mit Nazi-Deutschland aufkündigte und die Fronten wechselte. Die mutige Tat des rumänischen Königs Mihai I. überraschte die Alliierten, sie soll den Zweiten Weltkrieg um etliche Monate verkürzt und dem rumänischen Volk jenes Schicksal erspart haben, das viele Menschen in den von der Rotarmee überrannten Ostgebieten des Dritten Reichs noch ereilen sollte. Doch die Würfel waren bereits gefallen, auf dem großen Schachbrett der Geschichte Mittel- und Osteuropas waren dem rumänischen König in den Schicksalsjahren nach 1945 keine weiteren Züge mehr gegönnt. Und so musste er am 30. Dezember 1947 abdanken, am selben Tag rief die Große Nationalversammlung die Volksrepublik aus, Anfang Januar 1948 reisten König und Königinmutter ins Exil.

Am 5. Dezember 2017 ist Rumäniens letzter König in der Schweiz im Alter von 96 Jahren seinem Krebsleiden erlegen und mit seinem Tod fern der Heimat ist zweifelsohne der Vorhang über ein entscheidendes Kapitel der rumänischen Geschichte endgültig gefallen. Als ehemaliges Staatsoberhaupt gebührt ihm ein Staatsbegräbnis, das nächste Woche mit entsprechendem Pomp stattfinden wird. Und das von den Erben jener organisiert wird, die ihm Anfang der 1990er Jahre den Besuch verboten hatten und ihm auf der Autobahn hinterher gejagt waren, um ihn schnellstens des Landes zu verweisen. Aus Angst, er könne ihnen gefährlich werden, er könne jenen Thron besteigen, der ihm zweimal genommen worden war, das erste Mal von seinem Vater, König Carol II., das zweite Mal von den Kommunisten Gheorghe Gheorghiu-Dej und Petru Groza. Eine Ironie der Geschichte. Nicht die erste, und nicht die letzte, die das bewegte Leben König Mihais I. von Rumänien kennzeichnen.

Doch dem scheuen, wortkargen, in sich gekehrten Monarchen, dem anscheinend nicht viel Glück beschieden worden war, ist es eindeutig gelungen, als Sieger über all jene hervorzugehen, die ihn während seiner langen Exiljahre verachteten, mit Häme überzogen, die ihn beschuldigten, ihn fern des Landes haben wollten, ihm nicht geben wollten, was ihm rechtmäßig gehörte. Der moralische Sieg über das merkwürdige Jahrhundert gehört dem König, auch dann, wenn nicht alles, was er nach 1989 getan hat, bar jeder Kritik bleibt. Ein paar Male hat er seine Freunde und Unterstützer enttäuscht, vor allem als er 2001 auf den Appell des Altkommunisten Ion Iliescu zur Überwindung der Vergangenheit einging und im Nachhinein einen Teil der Eigentümer der Hohenzollern-Familie zurückbekam. Aber eine Marionette des auf einmal locker gewordenen Iliescu ist der König nicht geworden, auch wenn sein Schwiegersohn, der Ehemann der erstgeborenen Tochter, Prinzessin Margareta, von der Regierung bezahlt wurde und einen Armee-Dienstgrad verliehen bekam.

2001 musste Iliescu nichts mehr befürchten. Denn obzwar eine gewisse Schicht wann immer für die Rückkehr zur Monarchie gestimmt hätte, blieb die Mehrheit der Bevölkerung stets republikanisch, an dem Sessel von Iliescu und dessen Nachfolger, Traian Băsescu, konnte der greise Monarch nicht mehr rütteln. Er wollte es auch nicht. Denn er hat mehrmals nach 1989 beteuert, dass er nur dann den Thron seiner Ahnen wieder besteigen würde, wenn das Volk es wünschte. Und so scheint der Angriff Băsescus auf König Mihai I. aus dem Jahre 2011 noch grotesker als er es tatsächlich war. Ein Moment des tiefen Fremdschämens, der aber dem König sicherlich wenig anhaben konnte.

Aus staatsrechtlicher Sicht könnte schon darüber nachgedacht werden, ob die Abdankung vom 30. Dezember 1947 kein erzwungener Akt gewesen war, ob das Land 1989 nicht automatisch zur monarchischen Verfassung von 1923 hätte zurückkehren können. Oder sollen. Aber der historische Augenblick ist weg, er dürfte sich nie mehr wiederholen. Die 81 Jahre, in denen das Land von der deutschen Hohenzollern-Dynastie regiert wurde, bleiben trotz aller Entbehrungen jene Epoche, in der das rumänische Volk das meiste erreicht hat und entscheidende Ereignisse stattgefunden haben: der Unabhängigkeitskrieg von 1877 - 1878, die Ausrufung des Königreichs 1881, die Vereinigung von 1918, die demokratische Verfassung von 1923, der wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Fortschritt der Zwischenkriegszeit. Doch eine deutsche Hohenzollern-Dynastie gibt es in Rumänien nicht mehr, König Mihai I. hat die Bande zu seiner deutschen Verwandtschaft gekappt, seine erstgeborene Tochter als Erbin eingesetzt und verfügt, dass die Krone Rumäniens von dieser bewahrt wird.

In seinem langen Leben hat Mihai I., der Enkelsohn von König Ferdinand I. und von Königin Maria, sicherlich eine Tugend gelernt und geübt wie kaum ein anderes Oberhaupt Rumäniens vor oder nach ihm, nämlich die Geduld. Und die hat er seinem Volk auch nach 1989 wieder beizubringen versucht, leider nur mit wenig Erfolg. In dem Chaos der Wendejahre, in den Irrungen und Wirrungen der Übergangszeit, die für ihn die Demütigung der mehrfachen Ausweisung brachte, sprach er weiterhin von dem Guten in der Geschichte Rumäniens, er sprach von Aufopferungswillen, von Mut, von Zielstrebigkeit, von der Notwendigkeit einer moralischen Wende. Und von den Institutionen, die aufgebaut werden müssen, vom Rechtsstaat und der Demokratie. Er setzte sich für die Integration Rumäniens in die EU und in die NATO ein, er war da, noch immer da. Obwohl ihn einige längst vergessen haben wollten. Er sagte Dinge, die kein anderer mehr sagte, er verstand als ehemaliges Staatsoberhaupt die Rolle eines diskreten „Elder Statesman“ einzunehmen, die es hierzulande nie gegeben hat. Schade nur, dass so wenige ihm aufmerksam zuhörten und noch weniger seinen Ratschlägen folgten. Dabei bleibt die Rede, die er aus Anlass seines 90. Geburtstages 2011 vor den vereinten Kammern des Parlaments gehalten hat, ein Musterbeispiel staatstragender Verantwortung. Hatte man von seinem Vater, Carol II., gesagt, er sei ein wahrer Rumäne, der sich entsprechend benehme, könne man getrost von Mihai I. behaupten, er war aus anderem Holz geschnitzt. Seinem Großvater, König Ferdinand I., sowie dem ersten rumänischen König, dem deutschen Fürsten Karl I., dürfte er mehr geähnelt haben.

Es huldigen dieser Tage dem verstorbenen König viele Menschen, darunter zu viele Politiker, Journalisten, Experten, die 1990 und auch später noch fest daran geglaubt haben, dass er bereits 1948 viel Reichtum außer Landes geschafft habe und jetzt nur deshalb da sei, um auch noch den Rest zu nehmen, den er damals nicht mitnehmen konnte. Und es loben ihn im Fernsehen, in den Zeitungen, auf Facebook gerade und am lautesten die, die jetzt schweigen sollten. Aber das Schweigen, das so oft notwendige Schweigen konnte der König seinem Volk am wenigsten beibringen.

Was bleibt? Die Erinnerung vor allem. Die Gewissheit, dass es auch anders gehen kann. Dass die Tugenden eines Menschen Bestand haben. Die Werte bleiben also, für die der Monarch einstand: Duldsamkeit, Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein, moralische Integrität. Wie kaum ein anderer hat der König diese Werte in einem Land vertreten, das nie besonders viel auf sie geachtet hat, sie aber weiterhin braucht wie Luft zum Atmen. Das hat Rumäniens letzter König zeitlebens gewusst.