Siebenbürgische Flüchtlingsschicksale

Otto Folberths Roman-Manuskript nach sechs Jahrzehnten im Schiller Verlag erschienen

Hermannstadt - Selten erhält ein unveröffentlichter Roman einen Literaturpreis, selten wird ein über sechs Jahrzehnte im Privaten verbliebenes Manuskript doch noch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zumal wenn sein Sujet längst nicht mehr zum zeitgenössischen Themenkanon zählt. Otto Folberth erhält diese posthume Genugtuung. Zwölf Jahre nach seinem Tod wurde der Roman „Das Stundenglas“ kürzlich im Hermannstädter Schiller Verlag herausgegeben. Der am 10. Juli 1896 in Mediasch geborene Folberth selbst bezeichnete seinen Roman als Liebes- und Flüchtlingsroman, schreibt Horst Schuller im Nachwort. Schuller ergänzt diese Charakterisierung: „Er ist gleichzeitig ein politischer Zeitroman, ein Nationalitätenroman, ein Gesellschaftsroman mit reichem Figurenensemble“. Die damals heikle Flüchtlingsthematik, so vermutet Schuller, habe wohl dazu beigetragen, dass Folberth keinen Verlag fand, der seinen Roman veröffentlichen wollte. Einzig das Südostdeutsche Kulturwerk München würdigte den Verfasser 1955 mit einem Preis für das 1953 vollendete Manuskript.

Folberth spinnt seinen Roman um die Erlebnisse des jungen Claude Favre-Rüegg, eines jungen, aus wohlhabendem  Hause stammenden Schweizers, der sich 1949/1950 im Auftrag des fiktiven Internationalen Hilfskomitees des Schicksals deutscher Flüchtlinge in Österreich annehmen soll. In Salzburg lernt Claude das (siebenbürgisch-sächsische) Flüchtlingsschicksal kennen. Erinnerungen an die siebenbürgische Heimat finden sich an verschiedenen Stellen des Buches: Die Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen beschreibt Folberth am Beispiel der Sachsen aus Weilau/Uila, die Russland-Deportation am Beispiel des Lagers Almasna oder die nationalsozialistische Gleichschaltung der Deutschen in Rumänien. Ebenso flicht Folbert autobiografische Elemente ein, etwa das Schicksal des bei Stalingrad vermissten Bruders Konrad, der im Buch Bruder von Susanne Stolz aus Heltau/Cisnădie ist, die der Schweizer letztlich heiratet – eine symbolische Versöhnung zwischen Ost und West. 

In seinem Nachwort liefert Horst Schuller wertvolle Informationen über Folberth und die Entstehung des Romans. Der Pädagoge, Historiker und Publizist Folberth studierte an Universitäten in Rumänien bzw. Ungarn, Frankreich und Deutschland, arbeitete vor dem Zweiten Weltkrieg als Lehrer für Französisch, Deutsch und Religion am Mediascher Realgymnasium sowie als dessen Direktor. Im Jahr 1947 flüchtete er nach Österreich und ließ sich in Salzburg nieder. Folberth war ein profunder Kenner von Stefan Ludwig Roth, einen Namen machte er sich insbesondere als Herausgeber der kommentierten Werkausgabe von Roth. Außerdem verfasste er zu Lebzeiten „zahllose religionsphilosophische, kulturmorphologische, regionalhistorische, anthropo-geografische und belletristische Arbeiten“ (Schuller).

Der Roman stützt sich in Teilen auf Tagebuchaufzeichnungen, die Folberth zwischen 1911 und 1990 schrieb – die redigierten Aufzeichnungen können übrigens auf der Internetseite des Siebenbürgen-Instituts angesehen werden – sowie auf Erlebnisse von Familienmitgliedern und authentische Berichte und Nachrichten aus österreichischen Forschungsstellen für Weltflüchtlinge. Auf 279 Seiten bietet das Buch einen detailreichen Einblick in einen Teilaspekt der europäischen Nachkriegsgeschichte. Gerade vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit ist das Buch ein interessantes zeithistorisches Werk.

Das Buch „Das Stundenglas“ (ISBN: 978-944529165) ist als gebundene Ausgabe im Schiller Verlag erschienen. Es kann zum Preis von 79 Lei in den deutschsprachigen Buchhandlngen erworben werden.