Sommerschule über das „Phänomen Piteşti“

Jungen Menschen den Zugang zur jüngsten Geschichte des Landes öffnen

Symbolfoto: sxc.hu

Die Mauerreste erinnern an Qual, Verhöre und Misshandlungen – in Piteşti verrichteten die kommunistischen Schergen ihr grausames Geschäft, der Folterknast galt als der schlimmste im ganzen Land. Frühere Insaßen des kommunistischen Regimes, Historiker und rumänische Intellektuelle laden nun zu einer Sommerschule ein, zur Erinnerung und zum besseren Kennenlernen der jüngsten Geschichte. 

Vor allem Studenten werden dabei aufgefordert, sich mit einem lange Zeit im Schatten des Vergessens und Vertuschens liegenden Kapitel der rumänischen Geschichte auseinanderzusetzen: das „Phänomen Piteşti“ (1948 – 1951). Die gleichnamige Sommerschule wird vom Studienzentrum für Zeitgenössische Geschichte in Zusammenarbeit mit dem Internetportal www.fenomenulpitesti.ro veranstaltet und findet in der Zeitspanne 23. – 27. Juli in Piteşti statt. Gespräche mit ehemaligen Häftlingen, Diskussionsrunden sowie Vorträge von bekannten Historikern stehen auf dem Programm. Besucht werden auch die ehemaligen Haftanstalten in Piteşti und Jilava. Zugleich können die Studenten mit Intellektuellen und Historikern wie Dan C. Mihăilescu, Radu Preda und Sorin Lavric ins Gespräch kommen. „Es ist uns sehr wichtig, dass sich die Studenten mit den ehemaligen Häftlingen zusammensetzen, diskutieren und mehr über die Vergangenheit erfahren“, sagt der Historiker Alin Mureşan, der das Projekt koordiniert.

Bewerber sollen bis Freitag, den 6. Juli, ein Teilnahmeformular von der Internetseiten www.fenomenulpitesti.ro bzw. www. istoriecontemporana.ro herunterladen und ausgefüllt zurückschicken. Anschließend werden 15 Teilnehmer ausgewählt, denen die Kosten für Transport, Unterkunft und Verpflegung erstattet werden. „Wir wollen bei den Bewerbern einen gewissen Durst nach Wissen entdecken. Wir werden diejenigen auswählen, die sich richtig für das Thema interessieren und nicht nur ihren Lebenslauf schmücken wollen“, sagt der Historiker. Die Teilnehmer werden am Montag, dem 9. Juli, feststehen. 

„Unser Ziel ist, das Interesse für das Experiment Piteşti zu fördern, vor allem unter jungen Leuten“, sagt der Historiker Alin Mureşan. Die Idee einer solchen Sommerschule kam bereits im vergangenen Jahr auf. „Damals hatten wir aber nicht genug Ressourcen, um das Projekt zu starten. Ich freue mich, dass es in diesem Jahr geklappt hat“, fügt Mureşan hinzu. Geplant sind auch weitere Medienpartnerschaften, durch die das Projekt umfassender bekanntgemacht werden soll.

„Das grausamste Verbrechen der Gegenwart“ nannte der sowjetische Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn das Experiment von Piteşti. Es geht dabei um einen gnadenlosen und menschenverachtenden Plan der rumänischen Securitate, der 1948 bis 1951 in mehreren rumänischen Gefängnissen durchgeführt wurde, vorrangig in der Haftanstalt von Piteşti. Ziel des Experiments war, den Willen und die Psyche von über tausend Regimegegnern mittels systematischer Schläge physisch und moralisch zu brechen, um aus ihnen „neue kommunistische Menschen“ zu bilden. Nach der „Umerziehung“, so das erklärte Ziel, musste der „neue kommunistische Mensch“ fähig sein, im Dienste des Geheimdienstes zu handeln und andere Häftlinge zu „neuen Menschen“ zu formen – durch die gleiche Folter, wie er sie zuvor selbst durchlitten hatte.

Eine rumänische Dokumentation und ein Buch haben im vergangenen Jahr das Thema aufgegriffen. Der Historiker Alin Mureşan hat sich jahrelang mit dem „Phänomen Piteşti“ beschäftigt und auch das Buch „Piteşti. Cronica unei sinucideri asistate“ (Piteşti. Die Chronik eines unterstützten Selbstmords) veröffentlicht. Dabei sprach er mit 35 Überlebenden und analysierte zahlreiche Archivdokumente. Zugleich hat der 28-Jährige auch das Drehbuch zum Film „Demascarea“ (= Die Entlarvung) geschrieben – eine Dokumentation, gedreht unter der Regie von Nicolae Mărgineanu, die sich mit dem gleichen Thema befasst hat.