Sonntag stehe ich früh auf

Symbolfoto: freeimages.com

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Auf die rumänischen Bürger im Ausland traf das beim Wahlgang am 2. November leider ganz konkret zu. Seither ist die katastrophale Organisation der Auslandswahlen in aller Munde – doch überzeugende Maßnahmen werden für die Stichwahl am 16. November kaum getroffen. Es ist also Absicht.
Oft ist in Medien, Politik und Forschung von der Politikverdrossenheit und  schwachen Wahlbeteiligung in den mittel- und osteuropäischen Ländern die Rede. Es soll ein Zeichen dafür sein, dass die Zivilgesellschaft unterentwickelt ist – ein Überbleibsel aus der kommunistischen Ära. Das mag sein. Doch dass man Hunderte Kilometer zurücklegt, mehrere Stunden Schlange steht oder sogar ein Botschaftsgebäude stürmt, um seine Stimme bei der Präsidentenwahl abgeben zu dürfen, zeugt nicht gerade von politischer Apathie. Im Gegenteil: Gerade jetzt besteht bei vielen Menschen brennendes Interesse an der politischen Entwicklung Rumäniens, denn das Land steht am Scheideweg. Eher die Tatsache, dass die zuständigen Behörden nichts tun, um die Lage in den ausländischen Wahllokalen am kommenden Sonntag zu verbessern, zeugt von einer Mentalität, die an die Zeit vor 1989 erinnert.

Meine Stimme habe ich am 2. November nicht in einer der großen europäischen Haupt- oder Großstädte abgegeben, in denen es um 21 Uhr zu Protesten vor geschlossenen Türen gekommen ist, und trotzdem musste ich zwei Stunden anstehen, um an einen Stempel und einen Wahlzettel zu gelangen. Die Menschen, die um mich herum im herbstkalten Nieselregen warteten, hatten zum Teil erstaunlich lange Wege hinter sich und diskutierten engagiert über die Missstände am Wahltag und  die Politik im Land, die sie en détail kannten. Manche waren mit Kleinkindern gekommen, die nach und nach ihr Repertoire an Spielen erschöpft hatten und nun langsam unruhig wurden. Niemand hatte mit mehrstündigem Warten vor dem Botschaftssitz gerechnet. Und das Schöne war, dass kein einziger die Geduld verlor, das Warten abbrach und nach Hause ging. Die „Auslandsrumänen“ wollen mitreden, liebe Regierung!

Ein politischer Diskurs, in dem es um Nationalstolz, ethnische Zugehörigkeit und religiöse Orthodoxie geht, ist auch deshalb längst passé. Dies sind Argumente von vorvorgestern, denn wer in Rumänien heutzutage die „Auslandsrumänen“ und die Minderheiten verachtet, der verachtet nicht nur zahlenmäßig eine beachtliche Gruppe von Menschen, sondern gleichzeitig einen großen Teil der Leistungen dieses Landes. Schaut man sich beispielsweise die Liste der Nobelpreisträger an, die aus Rumänien stammen, so entdeckt man fünf Namen: George Emil Palade (1974), Ioan Moraru (1985), Elie Wiesel (1986), Herta Müller (2009) und Stefan W. Hell (2014). Zwei sind Banater Schwaben, einer ist Jude, zwei sind Rumänen – wobei vier von fünf ihre Karriere größtenteils im Ausland aufgebaut haben. Natürlich sind Nobelpreise, die von Einzelnen gewonnen werden, kein Kriterium, um Verdienste einer Gruppe zu bewerten. Aber Minderheiten und „Auslandsrumänen“ gestalten das Land mit und wollen nicht vor geschlossenen Türen Schlange stehen.

Auch abgesehen davon bringen leere Versprechen oder populistische Parolen über die ethnische und religiöse Zugehörigkeit genau genommen gar nichts. Viele sind heutzutage weder stolz, noch sind sie nicht stolz, Rumänen zu sein – sie wollen ein funktionierendes Land. Man könnte auch sagen: gut gemachte Dinge. Aufgabe einer europäischen Regierung ist es nicht, die ethnische und religiöse Reinheit der Bürger zu behüten, sondern funktionierende Institutionen, Verlässlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und zeitgemäße politische Haltungen zu gewährleisten. Dazu gehören Lüge und Plagiat gewiss nicht. Am kommenden Sonntag stelle ich mich ganz früh an, denn es geht um alles oder nichts.