Sonntagsspaziergang

Der Wind pfeift durch die Heltauergasse. Sonntagnachmittag im Januar, die Innenstadt ist verwaist. Der Verkehr wird von zwei Familien bestritten, welche ihre Kleinkinder hinter sich herzerren, man kommt zu spät zum Mittagessen. Die Kinder tragen Sonntagskleider, weiße Strümpfe, rosa Kleidchen, sie tappen lustlos hinter den Eltern her.
Eine Rentnerin versucht, an ihr Geld zu kommen, doch der Geldautomat ist nicht ihrer Meinung. Mit zusammengekniffenen Augen quält sie sich zu entziffern, was der Bildschirm ihr zu sagen versucht. Die Karte wird aus dem Schlitz geholt und wieder hineingesteckt, neuer Versuch, neues Glück, so klappte es auch bisher im Leben. Es klappt nicht. Der junge Mann, der hinter ihr wartet, seufzt laut hörbar auf. Sie hat keine Ohren dafür.
Die Brezelverkäuferin an der Ecke steht mit teilnahmslosem Gesicht hinter ihrer Plexiglasscheibe. Brezen, Pizza, Kürtöskalács. „Tag-und-Nacht“, der Kuchen unserer Großeltern, rumänisch und ungarisch geschrieben. Die Brezen sind frisch aus dem Ofen und duften.

Um die Ecke im „Generalloch“ bläst der Wind noch stärker. Eine junge Frau steht mit einem Mops an der Leine und wartet gelangweilt. Der schwarzweiße Mops hat ein blaues Halstuch und sabbert lustig vor sich hin. Manchmal zieht die junge Frau an der Leine, wie um sich zu vergewissern, dass der Mops noch da ist, dass sie noch da ist. Der Mops sieht dann auf und stellt das Sabbern kurz ein. Visavis wird der Seitenflügel des Staatsarchivs renoviert, wohl für eine weitere Bar. Bars sind momentan sehr beliebt. Man hat die alten Bogenfenster rausgerissen und neue Thermopan-Fenster einsetzen lassen. Die alten Fenster liegen müde da und sehen immer noch aus, wie für die Ewigkeit gemacht. Ob es die neuen Fenster auch hundert Jahre machen? Ein alternder Gigolo geht aus. Schneeweißes Haar und kajalgeschwärzter Clark-Gable-Oberlippenbart. Der Anzug der siebziger Jahre passt ihm noch, der Ballonseidemantel ebenfalls. Er versucht, die Augen verführerisch zu verdrehen, was ihm misslingt. Er scheint das nicht zu merken und beginnt, vor sich hin zu pfeifen. Der Besuch, den er unternimmt, scheint einiges zu versprechen.

Mitten auf der Straße steht ein Mann im abgeschabten Schlafrock und kratzt einen ehemals roten Topf aus, um mit den Resten des Mittagessens die Tauben zu füttern. Als er nicht zufrieden mit der Anzahl der angeflogenen Tauben ist, pfeift er, wie man nach einem Hund pfeift. Tatsächlich kommen noch einige Tauben angeflogen. Das Kratzen im Topf stört eine alte Dame mit strengem Dutt, die das Fenster im ersten Stock vorwurfsvoll zuknallt. Die Scheiben scheppern, als wären sie schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr verkittet worden, was stimmen könnte.
Die Stadt ist leer, die Leere hörbar. Um die Ecke, vor einem neueröffneten Café beschwert sich eine Besucherin mit Bukarester Akzent lautstark am Handy, dass sonntags die ganze Stadt geschlossen sei. Was der Gesprächspartner sagt, kann man nicht hören, aber vermutlich ist man einer Meinung. Die Provinz ist langweilig, wie anders die Hauptstadt!
Der Wind pfeift durch den Harteneckpark. Ein Straßenhund bibbert vor sich hin. Ab und an rattern Autoreifen über das Kopfsteinpflaster. Sachte Bewegung eines Vorhangs. Sonntagnachmittag im Januar. Die Stadt ruht.