Spritzentausch für Drogensüchtige

In Bukarest leben mehr als 10.000 Drogensüchtige

Beim Empfang der kostenlosen Spritzen werden die Namen der Konsumenten registriert.

Die Drogenabhängigen bringen ihre gebrauchten Spritzen.
Fotos: die Verfasserin

Ohne den täglichen Schuss Heroin können sie ihre Wirklichkeit nicht ertragen. Das gilt für 10.000 Menschen in der Hauptstadt. Die Drogensucht ist eine chronische Krankheit, über die der Wille des Betroffenen keine Macht mehr hat. Es gibt viele Risiken: Infektionen mit HIV und Hepatitis, Überdosen und oft führt die Sucht zur Kriminalität. Im Rahmen der Harm Reduction Initiative wurde Anfang des Jahres 2000 das erste Spritzen-Tausch-Programm in Bukarest entwickelt. Für die meisten war es unverständlich, wie es gut sein sollte, den Drogensüchtigen neue Spritzen zu geben. Gilt es doch, die Sucht zu bekämpfen und nicht Mittel für diese zur Verfügung zu stellen. Ab 2004 wuchs die Hepatitis-Rate drastisch. Sieben von zehn Konsumenten waren betroffen. Deshalb wurde noch im gleichen Jahr das Spritzentausch-Programm in Bukarest in Angriff genommen. Mehr als 5000 Konsumenten wurden in dem Programm integriert. Sie brachten alte, gebrauchte Spritzen und bekamen dafür neue, sterile.

Das Programm wurde durch internationale Fonds finanziert, die aber bereits 2010 aufgebraucht waren. Leider passierte das zeitgleich zum Umschwung des Konsumtrends: von Heroin zu den sogenannten „legalen Drogen“. Niemand ahnte, dass diese viel gefährlicher seien als Heroin. Der Zugang zu Heroin-Ersatzprodukten war leichter und die Zahl der Konsumenten stieg. Ohne Hilfsorganisationen und finanzielle Mittel für Schadensbegrenzung stieg damit auch die Zahl der Infektionen dramatisch an.
Die ARAS-Stiftung ist eine der wenigen Organisationen, die dieses Programm noch anbieten kann. Die Sozialarbeiterin Alina Dumitriu und ihr Kollege Dan Popescu verteilen jeden Mittwoch Spritzen am Hauptbahnhof. Es sind mehr als hundert Personen, die regelmäßig am Krankenwagen Schlange stehen. Sie müssen ihre Registrierungsnummer angeben, sagen welche Drogen sie nehmen und unterschreiben, um neue Spritzen zu bekommen. Jeder bekommt 50 Stück. Um sicherzustellen, dass sie wirklich Konsumenten sind, werden die Anwärter auf Anzeichen für Drogenkonsum untersucht. Damit soll vermieden werden, dass die Spritzen für den Weiterverkauf verwendet werden.

Es kommen Junge und Alte, Männer und Frauen. Es kommen junge Mütter mit Kindern im Arm. Nicht alle sind im Drogenrausch und nicht alle zählen zu den Obdachlosen. Manche wirken wie jeder andere Mensch auf der Straße. Gut gekleidet, mit klarem, jedoch traurigem Blick. Sie sagen nur halblaut, dass sie heroinabhängig sind. Andere stehen völlig unter Drogen, sind aufgeregt und halluzinieren. Sie gestikulieren hektisch, blicken ängstlich um sich und wollen nur schnell ihre Spritzen bekommen und verschwinden.
Am Anfang wurden die Sozialarbeiter von der Polizei wie Verbrecher behandelt. Sie verlangten ihre Papiere und machten deutlich, dass sie mit deren Arbeit nicht einverstanden sind. Vielen mag es selbstverständlich erscheinen, dass, sobald keine Spritzen mehr verteilt werden und diese auch in Apotheken nicht mehr erhältlich wären, keine Drogen mehr konsumiert würden. Aber das ist ein Trugschluss.

Alina Dumitriu ist Psychotherapeutin und arbeitet schon seit Jahren mit den Drogensüchtigen. „Viele verstehen nicht was diese Sucht überhaupt bedeutet. Für die Betroffenen wird es zu einem Grundbedürfnis. Es wird ihre Realität. Keine Spritze zu haben, wird sie nicht aufhalten. Sie werden ihre Spritzen mehrmals verwenden und untereinander austauschen. Sie werden eine Lösung finden, auch wenn sie dadurch ihr Leben und das anderer in Gefahr bringen. Man müsse sie einem Rehabilitations-Programm unterziehen, in welchem harte Drogen schrittweise durch Methadon und schließlich durch leichtere Stoffe ersetzt würden. Weil dieser Prozess sehr langsam und mühsam ist, stehen dafür leider keine finanziellen Mittel zur Verfügung. „Wir tun, was wir können, um den Menschen zu helfen und die Ausbreitung der Krankheiten, soweit es geht, zu vermeiden“, erzählt die 35-Jährige.

Viele Fälle blieben jedoch erfolglos. Den Sozialarbeitern fällt es schwer, darüber zu sprechen. Beide können von persönlichen Geschichten berichten, in welchen jede Mühe vergebens war. Sie hatten Hoffnung auf Rehabilitation eines Konsumenten. Sie haben sich für ihn eingesetzt, ihn in eine Klinik gebracht, die Kosten übernommen, ihm psychologische Unterstützung geboten. All das half nichts. Nach nur wenigen Tagen war er wieder auf der Straße. „Es ist schwer, ihnen unsere Normalität beizubringen, wenn sie sich mit einer anderen abgefunden haben. Die Straße bietet ihnen mehr, als wir es könnten. Sie leben nach ihrem Instinkt. Freiheit ist ihnen das Wichtigste. Deshalb werden sie immer wieder weglaufen, unabhängig davon, wie gut die klinische Betreuung ist. Die einzige Chance ist die mühsame Therapie mit Ersatzdrogen. Die ist in unserem Gesundheitswesen allerdings unrealistisch“, sagt Dan Popescu, der mittlerweile seit mehr als 10 Jahren mit diesen Problemen kämpft.

Derzeit ist die einzige Möglichkeit der Prävention, zumindest Kinder schnellstmöglich von der Straße zu holen und in Heimen unterzubringen. Bevor sie in den Sucht-Strudel geraten. Für die Erwachsenen kann man nicht mehr tun als mit dem Schadensbegrenzungsprogramm – mit seiner medizinischen Betreuung und dem wöchentlichen Spritzentausch, der von ARAS getan wird.