Stacheldraht, Flüchtlingsmassen und die Medien

Journalisten aus Südosteuropa schildern ihre Eindrücke und Erfahrungen in Ungarn

Symbolfoto: freeimages.com

Stacheldraht, immer wieder Stacheldraht. Davor und dahinter: Tausende von Flüchtlingen – und: Hunderte von Polizisten. Das waren die Bilder, die uns in den vergangenen Wochen über alle Medien aus Ungarn erreichten: Dort hat der rechtskonservative Ministerpräsident Viktor Orbán sein Land gegen die Flüchtlingsströme mit einem riesigen Grenzzaun in Kombination mit drakonischen Strafgesetzen abgeriegelt. Ein Sturm der Entrüstung folgte in den Medien, vor allem in Deutschland, aber auch in Rumänien: Ungarn macht dicht, hieß es vielerorts knapp. Und dass sich beispielsweise Rumänien und Tschechien gegen eine Flüchtlingsquotierung stark machen und im EU-Rat der Justiz- und Innenminister gegen die Vorgaben aus Brüssel stimmten, war ebenso Gegenstand vieler Kommentare. Allerdings: Wie beurteilen die Journalisten aus den betroffenen südosteuropäischen Ländern ihrerseits die Flüchtlings-Berichterstattung in den deutschen Medien? Und: Wie widerspiegelt sich die Thematik in den Medien in Ungarn und in anderen Ländern weiter östlich von Deutschland? In Szeged, ganz in der Nähe zur Grenze zu Serbien, trafen sich Vertreter deutschsprachiger Medien in Südosteuropa, die sich im Verein „Funkforum“ zusammengeschlossen haben, zu einer Tagung. Dabei war es unumgänglich, dass das Problem der Migranten und des europäischen Umgangs mit ihnen zur Sprache kam und man auch auf einen Sprung an die serbisch-ungarische Grenze bei Röszke gefahren ist, einem der Brennpunkte der Berichterstattungen der vergangenen Wochen.

Manipuliert die Berichterstattung bewusst?

Ein paar Kilometer von Szeged entfernt, befindet sich der wichtigste Grenzübergang zwischen Ungarn und Serbien, Röszke. Und hier haben sich in letzter Zeit dramatische Szenen abgespielt, die seit Wochen zu den spannendsten Sendezeiten um die Welt gegangen sind, mit Bildern und Berichten. Der gebürtige Ost-Berliner Frank Fischer arbeitet seit 15 Jahren als Journalist in Budapest. Er schaut auf einem Smartphone gemeinsam mit Kristina Arnold, Redakteurin der deutschen Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im ungarischen Pecs, jene Szene an, die besonders die Gemüter erhitzt hat: „Da ist eine Kamerafrau, die einem Migranten praktisch ein Bein stellt: Dieser Mann hat ein Kind im Arm und fällt danach hin.“ Die Szene ging um die Welt; ein Sturm der Entrüstung folgte, selbstredend auch, wie die ungarische Journalisten Kristina Arnold betont, in Ungarn. Für sie ist der Vorgang symptomatisch für ein Problem, das sie in der Berichterstattung über die Flüchtlingsströme europaweit ausmacht: Aus ihrer Sicht spiegelt sich in der medialen Darstellung der Flüchtlingsproblematik viel zu viel Schwarz-Weiß-Malerei wider. Wo, fragt sich Kristina Arnold, bleiben die Zwischentöne, die sie für eine objektive Einschätzung der Situation für unumgänglich hält? Wo der Raum für ein Selbst-Abwägen des Gezeigten/Erläuterten durch den kritischen Konsumenten? „Entweder man sieht in den Berichterstattungen die aggressiven Migranten oder man sieht ein ertrunkenes Kind am Meeresstrand liegen. Dazwischen gibt es nichts. Also werden selektiv jeweils bestimmte Meinungen untermauert. Und das finde ich halt ganz schlimm, dass da Meinungen dabei herauskommen, die die Bevölkerung bewusst polarisieren, eindeutig beeinflussen.“ Will heißen: Die meisten der Beiträge, die Kristina Arnold gesehen, gehört, gelesen hat, dienten weniger dazu, neue Erkenntnisse, Erfahrungen und Denkanstöße zu vermitteln, als bestehende Meinungen zu bestärken. Klare Polarisierung. Manipulation.

Wer die Musik bezahlt...

Mit dieser Auffassung weiß sie sich nicht alleine. Frank Fischer kennt nach 15 Jahren Budapest die Medienszene in Ungarn sehr genau. Vor allem an einem hegt er keinen Zweifel: „Wenn man in Deutschland von den öffentlich-rechtlichen Medien eine halbwegs objektive Berichterstattung erwartet, kann man das von den ungarischen öffentlich-rechtlichen Medien nicht erwarten. Weil: Wer diese Sender schaut und hört, kriegt ungefiltert die Regierungsmeinung vermittelt. Nichts anderes. Dieser Rundfunk, dieses Fernsehen ist ein Propagandainstrument dieser Regierung. Und da gibt es entsprechende Vorgaben. Journalisten dürfen bestimmte Worte nicht benutzen. Sie dürfen bestimmte Dinge nicht zeigen. Das ist ganz klar vorgeschrieben. Und als Meinung vorgeformt.“ Ebenso klar ist, dass sich in solchen Programmen kein kritisches Wort wiederfindet über die Abschottungspolitik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Und in Deutschand? Dort wird Orbáns Politik zwar heftig kritisiert – allerdings in einer Art und Weise, die Frank Fischer auch nicht besonders gut gefällt: „Ich denke, wenn ich das auf die deutschen Medien beziehen kann, dann ist das so, dass es da eine böse Figur gibt. Das ist der Orbán. Diese Regierung wird extrem kritisiert. Und meiner Meinung nach wird zu wenig auf die Ursachen hingewiesen, warum diese Regierung so agiert, wie sie agiert.“ So fehlt, nach Fischers Beobachtung, in deutschen Medien häufig der Hinweis über den hohen Grad der Zustimmung, den der ungarische Ministerpräsident aus der Bevölkerung erfährt, gerade für seine umstrittene Flüchtlingspolitik. Und auch auf die Gefahr, dass rechtsextreme politische Gruppierungen in Ungarn derzeit einen enormen Zulauf haben, werde viel zu wenig hingewiesen. Etwa, dass Jobbik in den ungarischen Medien eine alltägliche Präsenz mit ungefiltert losgelassenen Meinungen ist, hart am Rande einer „normalen“ Partei.

Zusammenwachsen mittels Nato-Stacheldraht

Sandra György hat zwar ungarische Wurzeln, kam aber als ifa-Kulturmanagerin aus Hamburg ins ungarische Pecs. Sie sieht die Darstellung der Flüchtlingssituation in Ungarn in vielen deutschen Medien zumindest unvollständig dargestellt, „...insofern, dass ich in Ungarn noch ein anderes Bild mitbekomme, das wahrscheinlich in der deutschen Medienlandschaft überhaupt nicht auftaucht.“ Gemeint ist die Arbeit vieler zivilgesellschaftlicher Gruppierungen in Ungarn, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Die wurden allerdings zunächst aber auch von den staatlichen Medien in Ungarn totgeschwiegen – zunächst. Danach waren sie plötzlich ein unfreiwilliges Mittel zum Propaganda-Zweck staatlich-ungarischer Politik: „Es gab plötzlich aller-dings tatsächlich eine Berichterstattung, die als irgendwie sehr kritisch und sehr grenzwertig zu betrachten ist, da die Regierung für sich beansprucht hat, diese Organisation unterstützt zu haben, was laut Migration Aid, so heißt die Gruppierung, in Wirklichkeit überhaupt nicht wahr ist.“ Dass auch in Rumänien die Medien voll sind mit Beiträgen zur Flüchtlingsproblematik, versteht sich von selbst. Dabei steht noch nicht einmal so sehr der Widerstand des Landes gegen den Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen innerhalb der EU in den Schlagzeilen. Vielmehr spiegelt sich in der Berichterstattung etwas wider, was auch Adi Ardelean, Redakteur bei der deutschen Sendung vom öffentlich-rechtlichen Radio Temeswar, Sorgen bereitet: Das Entstehen einer neuen Grenze mitten in Europa – eine Grenze, die von den Rumänen längst für überwunden gehalten wurde. Und das Noch-Nicht-Schengen-Land Rumänien sieht den Schengen-Raum noch vor Rumäniens Beitritt brutal kaputtgemacht. Durch Stacheldraht-Grenzzäune (übrigens: die Stacheldrahtballen kommen aus Nato-Beständen...). „Es wird sehr viel diskutiert, einschließlich dass Ungarn angedeutet hat, den Zaun auch an der rumänisch-ungarischen Grenze weiterzubauen. Das wird als sehr negativ gesehen. Wir sprechen dauernd von einem vereinten, zusammenwachsenden Europa. Und dann bauen wir Zäune. Das ist doch irgendwo ein Widerspruch!“