Starker Kaffee am Samstagabend

Belebender Start zum Eurothalia-Theaterfestival im DSTT

Szene aus der ersten Eurothalia-Vorstellung „Chronik der kleinen und gewöhnlichen Stürze“Foto: DSTT

„Verehrte Zuschauer schalten Sie bitte Ihre Mobiltelephone aus“- Die gewohnte Aufforderung im DSTT-Saal vor Beginn jeder Vorstellung hatte am letzten Wochenende wie nie seine Richtigkeit, denn die vereinigten, jungen Ensembles des DSTT und des Ungarischen Staatstheaters Temeswar bereiteten der vierten Auflage des internationalen Eurothalia-Theaterfestivals im DSTT  einen blendenden, vielversprechenden Einstieg. Die neue Premiere „Moliendo Café“, eine Koproduktion der deutschen Schaubühne und des Ungarischen Staatstheaters, unter der Spielleitung von Gastregisseur Silviu Purc²rete, der man schon jetzt, ohne weiteres, Lob von der Kritik und viel Anklang beim Publikum prophezeien kann, veranschaulicht die ganze Macht und den unnachahmlichen Zauber des Theaters. Denn die Vorstellung, in der Schauspieler der beiden Ensembles, zum Großteil junge und sehr junge (einige Nachwuchsschauspieler erlebten dabei gar ihre erste Premiere) mit viel Einsatzfreude agieren ist aufrüttelnd und belebend wie ein guter Kaffee, komisch bis absurd und letztlich unterhaltend, wie das Theater eben sein kann. „Der Kaffee und das Theater sind zwei überflüssige aber unverzichtbare Dinge“- So der Spielleiter Silviu Purcarete zu dem Leitmotiv. „Moliendo Café“ ist das Ergebnis einer zweimonatigen Teamarbeit, eines Workshops von 36 Schauspielern und gleichzeitig das künstlerische Ergebnis der Improvisationen aller zum Thema Kaffee. Dazu gab es keine Textvorlage, keine gemeinsame Sprache, weder Deutsch noch Ungarisch oder irgendeinen Dialekt, außer der spezifischen Sprache des Theaters. Und so wird, über alle Sprachbarrieren hinweg, die Gestik, die Körpersprache in den Vordergrund gerückt. Und,  wenn dann hie und da doch Sprache zum Ausdruck kommt, so ist es ein urkomisches Kauderwelsch zu vernehmen, eineVogelsprache, und das klappt sonderbarerweise ganz gut. Von einem Insider ausgeplaudert: Es soll zeitweilig auf der Bühne auch etwas Türkisch und Aruba gesprochen worden sein! Möglich. Umso stärker dann der Placebo-Effekt eines in den Sprachteig hineingestreuten einzigen verständlichen Wortes: In jeder Szene betritt ein gepflegter Herr (Georg Peetz) die Kaffeestube und bestellt wie selbstverständlich einen „Tiramisu“, um den Kuchen gar noch konsequent abzulehnen.

Die Theater-Kaffeestube mit rastloser Bedienung, Klavier- und Saxophonbegleitung (Valentina Peetz bzw. Cosmin Hâr{ian spielen die Musik des Komponisten Vasile [irli), mit einer zweckdienlichen Ausstattung (Bühne und Kostüme: Drago{ Buhagiar) erlebt so in atemberaubender Abfolge Szene um Szene: So zum Auftakt eine Exekution (Der Geköpfte soll bis zum Schluß durch alle Szenen geistern), dann den Ansturm der üblichen Kaffeesüchtigen, den der verkleideten Geisteskranken, der Kranken und Behinderten samt Pflegepersonal, die nostalgische russische Teestunde, die Szene der Hundeliebhaber mit ihren Schützlingen an der Leine. Regisseur Purc²rete kann es sich nicht verkneifen, auch allbekannte Themen aus der Weltliteratur in dieses Spektakel einzuschleusen: So die Szene mit den drei Ferkeln (die sich dann jedoch gewißermaßen „schweinisch“ in der Kaffeestube aufführen) oder die Improvisation auf das Agatha-Christie-Thema der zehn kleinen Negerlein. Vom Publikum wohl belacht und allgemein wirksam, trotzdem nicht viel mehr als ein Witz, der stark an die billigen Gags aus der Zeit der Stummfilme eines Buster Keaton oder Laurel und Hardy erinnert, die Kaffeekocher-Szene.

Hingegen erscheint die Schlußszene, die eine Drogenorgie als Spiegelbild unserer zerrissenen, genuss- bis gewaltsüchtigen Gesellschaft, die Unsinnigkeit der Menschenkinder andeutet, eher im Sinne des modernen absurden Theaters geraten zu sein.

Hervorzustreichen ist, daß in dieser neuen Inszenierung als Koproduktion der beiden Temeswarer Theaterbühnen (erwünscht wäre eine weitere zukünftige Zusammenarbeit der beiden jungen Ensembles) alle Nachwuchsschauspieler so recht zu Wort kommen können. Wenn der erfahrene Regisseur Silviu Purc²rete mit einer bescheidenen Geste auch angibt, mit „Moliendo Café“ nur eines, den Minimaleffekt bezweckt zu haben, „das Publikum zu unterhalten und es zu diesem äußersten Überfluss und zu ein bißchen Oberflächlichkeit einzuladen“, so ist daraus als Ergebnis, muss man als Zuschauer sagen, ein provokantes und sehenswürdiges Stück Theater geworden.

Der eigentliche Auftakt zur vierten Auflage des traditionellen europäischen Theaterfestivals „Eurothalia“ im DSTT wurde mit einem Gastspiel des Studio M Bewegungstheaters Sfântu Gheorghe gemacht: Am Nachmittag wurde im Temeswarer Studentenkulturhaus „Chronik der kleinen und gewöhnlichen Stürze“ (Choreographie und Inszenierung Yves Marc) gezeigt. Bis zum 17. November werden im Rahmen dieses europäischen Theaterfestes insgesamt 18 Theaterproduktionen aus Deutschland, Österreich, Holland und Rumänien (einige der sehenswertesten rumänischen Inszenierungen aus den letzten Spielzeiten) in Temeswar zu sehen sein.

Wer es bisher versäumt hat, sollte unbedint heute und morgen einen Besuch beim Eurothalia-Festival einschalten. Eingeplant sind zwei der aufsehenerregenden Inszenierungen der letzten Zeit und dazu noch Theaterproduktionen nach Werken rumäniendeutscher Autoren (leider eine Rarität): Heute, 20.30 Uhr ist „Niederungen“ von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller (Spielleitung Niky Wolcz) zu sehen. Morgen gastiert in Temeswar die deutsche Abteilung des Nationaltheaters „Radu Stanca“ aus Hermannstadt mit der Inszenierung „Ossis Stein“ von Frieder Schuller, erstmals vor dem Temeswarer Publikum. Beide Aufführungen finden in deutscher Sprache statt, werden jedoch auch ins Rumänische und Englische übersetzt.