Ştefan Baciu – der Kronstädter Stadtdichter

Das Elternhaus des Dichters in der Baiulescu-Str. 9 ist als Museum eingerichtet

Das „Ştefan Baciu“-Haus liegt am Fuße der Zinne.

In den Museumsräumen finden gelegentlich Lesungen und Kammermusik-Konzerte statt.
Fotos: Ralf Sudrigian

Der Dichter konnte seine Mutter wiedersehen – nicht im kommunistischen Rumänien, sondern in Österreich.

In der Dr. Gheorghe-Baiulescu-Straße/Schützenwiesengasse bei Hausnummer 9 steht ein einstöckiges gelbes Wohnhaus, das in den Jahren 1930-1931 nach den Plänen des Architekten Coloman Halász für Dr. Ioan Baciu, den Vater des Dichters Ştefan Baciu, errichtet wurde. Seit Juni 2006 ist das „Gelbe Haus“ wie es in der Stadt bekannt war, als Gedenkhaus der Familie Baciu für Touristen zugänglich (Öffnungszeiten: dienstags – freitags: 9.00 -  17.00 Uhr; samstags und montags:  10.00 – 17.00 Uhr).

Damit konnte ein letzter Wunsch der Schwester des Dichters, der Theaterwissenschaftlerin Ioana Veronica Baciu-Mărgineanu (1931 - 2000) von ihrem Ehemann, dem Zahnarzt Ovidiu Mărgineanu, erfüllt werden. Sie hatte sich in ihren letzten Lebensjahren intensiv um den literarischen und wissenschaftlichen Nachlass ihres Bruders wie auch ihres Vaters gekümmert und dafür gekämpft, deren Andenken wach zu halten.

Das Museum

Das Museum ist eine Zweigstelle des Mureşenilor-Hauses (Marktplatz 25) und wird finanziell vom Kreisrat Kronstadt/Braşov getragen.

Es gilt als das erste Museum, das einem Rumänen gewidmet ist, der die größte Zeit seines Lebens im Exil verbringen musste. Denn der Kronstädter Ştefan  Aurel Baciu hat ab 1946, als er zum Presseattaché an der rumänischen Botschaft in Bern ernannt wurde, bis zu seinem Lebensende im Jahre 1993 Rumänien und seine Geburtsstadt Kronstadt, die ihm so viel bedeutete, nicht mehr wiedersehen können. Bis 1989 war es das kommunistische Regime, das so eine Reise verhinderte; nach der Wende waren es vor allem seine Krankheit und die große geografische Entfernung, die eine Rückkehr vereitelten.
[tefan Baciu wird oft und zu Recht als der „Kronstädter Stadtdichter“ bezeichnet. Seit 2006 wurde er (leider post mortem) zum Ehrenbürger Kronstadts ernannt. Es ist nur auf den ersten Blick ein Paradox: ein Dichter der fast ein halbes Jahrhundert seiner Stadt und seinem Vaterland fern bleiben musste, ist dank seiner Heimatverbundenheit und dichterischen Begabung zum Stadtdichter erklärt worden. Ob in Rio de Janeiro, in Seattle oder „am Ende der Welt“ in Honolulu, wo er seit 1964 bis zu seinem Tod als Universitätsprofessor lehrte und schrieb, überall war auch Kronstadt als Anhaltspunkt und Vergleich dabei.
Es war das Kronstadt seiner Kindheit und seiner Jugendjahre, das  Kronstadt der 1920-er und 1930er Jahre, so wie er es immer wieder in seinen Gedichten aufleben lässt oder in seinen Erinnerungen („Praful de pe tobă“, „Mira“) schildert.

Kindheit in Kronstadt

Etwas von der Atmosphäre jener Jahre vermitteln auch die drei Museumsräume. Eine Bücherwand kann nur einen Teil der Bibliothek umfassen. Rund 1800 Bände sind dort ausgestellt; weitere 4700 befinden sich im Museumsdepot, sagt Museografin Ramona Ionescu. Sie und Lucreţia Chiţu, die ihr als Hilfskraft zur Seite steht, wissen gut Bescheid über die Familie Baciu, über die Geschichte des noch jungen Museums. Unter den Büchern sind deutsche Titel sehr gut vertreten.

Gesammelte Werke von Goethe und Schiller durften in der Bibliothek des Deutschlehrers Ioan Baciu nicht fehlen. Geboren wurde er 1888 in Nadesch als Sohn des orthodoxen Dorfpfarrers. Seine ersten Schulklassen besuchte er auf Deutsch in Schäßburg und auf Ungarisch in Dumbrăveni/Elisabethstadt.

In Budapest promovierte er 1910 zum Doktor der Philosophie. Ioan Baciu kam im nächsten Jahr nach Kronstadt und wirkte da vor allem als Deutschlehrer an der rumänischen Handelsschule, sowie zeitweilig als Rumänischlehrer am Honterusgymnasium und nach 1918, als Deutsch- und Lateinlehrer am [aguna-Lyzeum. Da hatte er prominente Kollegen ,  zum Beispiel Emil Cioran und Octav Şuluţiu) – sowie Schüler, die später sehr bekannt werden sollten: Lucian Blaga, Eugen Jebeleanu, Ferenc Szemlér, Mihai Brediceanu und … seinen Sohn.

Dieser hatte vorher seine zwei ersten Schuljahre „bei den Sachsen“ besucht. Kein Wunder, denn seine Mutter Elisabeth Maria, genannt Else, war Kronstädterin und Tochter des aus Österreich stammenden Forstingenieurs Arthur Sager. Die Absolventin des Honterusgymnasiums galt, obwohl sie zeitlebens Hausfrau blieb, als hochgebildet. Ihr Porträt als junge Frau, gemalt von Grete Csaky Copony, ist im Museum zu sehen, wie auch das Porträt von Ioan Baciu, gezeichnet von Hans Eder. Gedicht- und Musikabende im Baciu-Haus waren keine Ausnahme. Zum Freundeskreis gehörten auch Adolf Meschendörfer, Sextil Puşcariu, Constantin Lacea, aber auch die Nicht-Kronstädter Octavian Goga und George Coşbuc.

Eines der ersten Hobbys von [tefan, der bei diesen Besuchen dabei war, war das Sammeln von Autogrammen und Widmungen bekannter Persönlichkeiten. Ioan Baciu war ein Liebhaber japanischer, aber auch modernerer Kunst. In zwei Zimmern sind Möbel, Schreibtisch, Kanapee, schöne Leuchter, kleine Schmuckgegenstände, ein Klavier, eine Pendeluhr sowie eine Lithografie von Franz Marc ausgestellt.

Aus den Beständen des Kronstädter Kunstmuseums hinzugekommen sind Gemälde, die bekannte Kronstädter Sehenswürdigkeiten wiedergeben. Ioan Baciu hat gelegentlich für die „Gazeta Transilvaniei“ und die „Kronstädter Zeitung“ geschrieben. Er ist auch, zusammen mit Michael Teutsch, Mitautor des „Rumänischen Sprachbuchs“, das erste Rumänisch-Lehrbuch für die deutschen Schulen im vereinten Rumänien, das bis 1925 sechs Auflagen erlebte.

Exiljahre

Der dritte Raum des Museums veranschaulicht anhand von Fotos die Jugendjahre und vor allem Ştefan Bacius Tätigkeit im Exil. Nachdem er in Bukarest zwischen 1937und1946 Rechtswissenschaften studiert hatte und bei verschiedenen Zeitschriften als Redakteur oder Redaktionssekretär tätig war, wählte er zusammen mit seiner Ehefrau Mira Baciu, eine gelernte Apothekerin, den Weg in die Freiheit, sodass er 1948 aus dem rumänischen diplomatischen Dienst austrat.

Nach einem Jahr in der Schweiz, folgte 1949 die Ausreise nach Brasilien – in das Land, das dem Ehepaar Baciu als erstes die Staatsbürgerschaft verlieh. Beide lernten dort Portugiesisch.  Ştefan Baciu wurde als leitender Redakteur für Außenpolitik der „Tribuna da Imprensa“ zu einem der bekanntesten und  meistbeachteten Journalisten Lateinamerikas.

So lernte er Politiker kennen, etwa die Präsidenten Brasiliens (Juscelino Kubitschek) oder der Dominikanischen Republik (Juan Bosch), Fidel Castro, Che Guevara (mit ihm und dem Dichter gibt es im Museum auch ein Foto), Xavier Perez de Cuellar, oder Dichter wie Octavio Paz, Manuel Bandeira und Ernesto Cardenal, von dem Baciu viel ins Deutsche nachgedichtet hat. 1962 folgte er der  Einladung, an der Universität in Seattle brasilianische Literatur und Kultur zu unterrichten, sowie Spanisch-Kurse zu halten. 

Inzwischen installierte sich in seiner Adoptivheimat Brasilien eine Militärdiktatur und das Ehepaar Baciu eröffnete eine weitere – diesmal die letzte - Exil-Etappe in Hawaii, wo Ştefan und Mira Baciu als Hochschullehrer tätig waren. Gleichzeitig brachte Baciu mehrere Anthologien heraus, sowie die mehrsprachige Zeitschrift „Mele“ –  internationale Briefe für Lieder und Poesie. Außer wissenschaftlichen Arbeiten schrieb der Exildichter Gedichte und Erinnerungen, wohlwissend, dass diese eher für den Nachlass bestimmt sind, da ihm in Hawaii die rumänischen Leser fehlten.

Immer wieder kommt darin „sein Kronstadt“ vor, das ihm spät, aber nicht zu spät, dafür auch durch das Baciu-Gedenkhaus dankt. Ein Besuch in dieses Museum, während eines Spaziergangs auf der Burgpromenade unter der Zinne – der Zugang ist sowohl von der Brediceanu-Allee neben dem Sportplatz des ehemaligen Sportlyzeums als auch von der Baiulescu-Straße möglich – gibt Aufschluss sowohl über das Kronstadt der Jugend von Ştefan Baciu, wie auch über dessen Leben und Schaffen in der weiten Welt.