Stille im Gehirn des Normalbürgers

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Was in Rumänien an Geheimübereinkünften zwischen dem Geheimdienst und über 70 staatlichen Institutionen ans Tageslicht gekommen ist, stellt erst mal George Orwells „1984“ in den Schatten. Sooft die Vertreter dieses Volkes gründlich sein wollen, schlagen sie über die Stränge. Was angefangen hat mit einem Kooperationsbündnis zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Geheimdienst zwecks Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung, artete durch Boshaftigkeit, Simplizität der Geister und Gleichgültigkeit betreffs der Folgen zu einem Übereinkunftsbündel aus, für dessen Notwendigkeit niemand aus dem Innern des Systems eine schlüssige Erklärung hat. Als ob das einfach so kommen musste...

Vermutlich ist niemand in diesem Staat, wo Misstrauen Grundtradition und Lebensphilosophie ist, so naiv zu glauben, dass er und sein Umfeld nicht überwacht wird. Das Grundmisstrauen zwischen den Bürgern („Ist der ein Spitzel oder nicht?“) und in den Staat und seine Institutionen (von denen wir bis heute nicht wissen, wozu einige nützlich sind) mag weit zurückliegende Wurzeln haben und ein Hauptauslöser der unzähligen Verschwörungstheorien sein, die die Tratschsender im Privatfernsehen und ihre geheimdienstverankerten Stammgäste beschäftigen und den Verstand ihrer treuen Zuschauer dauervernebeln, dass jeder noch so fragile kritische Gedanke im Werden erstickt wird.

Mit dieser Manipulationsknebelung hat auch das Wahlverhalten der Wählerschaft zu tun, das katastrophale Regierungen schustert, weil den Politikspitzen politische Kultur und Bildung fehlt. Trotzdem: Das Aufkommen der Verschwörungstheorien entspricht einfach einem kollektiven Bedürfnis nach Erklärungen, das skrupel-, schonungslos und schändlich ausgenutzt wird. Nicht nur von den Geheimdiensten, sondern vor allem in der politischen Kommunikation (siehe: „Parallelstaat“).

Ihr Erfolg setzt voraus, dass die Empfänger zuallererst eine beschränkte kollektive Fähigkeit besitzen, zwischen Gut und Böse, annehm- und unannehmbar zu unterscheiden. Sodann muss es ein allgemeines Misstrauen in die politischen Eliten geben („alle Politiker sind Lügner, Diebe und Banditen“), implizite in den Staat, den diese darstellen und lenken („der Staat nutzt uns eh nur aus und zieht unser Geld aus der Tasche“). Und drittens muss es ein Quasi-Monopol über die Information geben (die auch individuellbestimmt sein kann), das den kritischen Geist (der sich auch aus Vergleichsmöglichkeiten nährt) knebelt oder so kanalisiert, dass er nur noch für Verschwörungstheorien, als „ultima ratio“, aufnahmebereit ist. Das Bildungssystem Rumäniens fördert kein kritisches Denken. Stucken statt Nachsinnen, Schlucken, ohne vorher zu Kauen. In allen ehemaligen kommunistischen Staaten, die vom kapitalistischen Sozialstaat überfallen wurden, findet man solche Ansätze. In Rumänien ist das kollektive Nichtdenken, die Stille im Normalbürgergehirn, schlimmer.

Der SRI hat sich unter unseren kritikblinden Augen ein Netzwerk aufgebaut, das ihm jederzeit erlaubt, in allen Lebensbereichen entscheidend einzugreifen. Und doch: Der Geheimdienst ist selektiv vorgegangen. Wie sonst erklärt sich, dass Daddy Dragneas Lieblingsspielzeug Tel Drum dem SRI erst auffiel, als er kein Auge mehr zudrücken konnte – nachdem die EU-Ermittlungsbehörde OLAF 2017 Alarm geschlagen hat? Und wer bestimmt beim SRI, was eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit ist (die Sonder-Alarmglocken erklingen lässt)? Wieso waren die Machenschaften von Hexi-Pharma und die Krankenhausinfektionen keine Sache der nationalen Sicherheit? Und wieso ließ man den Mega-Korruptionsskandal der Microsoft-Bestechungen im Sande versickern?

Nicht zuletzt: Könnte die jetzige Offenlegung der SRI-Protokolle nicht der Auftakt zur größten Korruptionsverharmlosung in der Geschichte Rumäniens sein?
„Opfer“ der SRI-Beobachtungen verklagen schon den Staat.