Stiller Protest vor der PSD-Geschäftsstelle Hermannstadt

Gespräch mit Dichter und Uni-Dozent Radu Vancu über die Proteste der Zivilgesellschaft zur Justizreform

Radu Vancu (r.) am 21. Dezember während eines der Flashmobs vor der PSD-Geschäftsstelle.
Foto: privat

Am 11. Dezember 2017 versammelten sich um 12 Uhr mittags rund 50 Menschen vor der Geschäftsstelle der Sozialdemokratischen Partei (PSD) am Huet-Platz, um gegen die geplante Justizreform zu demonstrieren. Im Laufe des Tages stießen immer mehr Demonstranten dazu, via Facebook wurde die Nachricht auch in andere Städte verbreitet. Mitgebracht hatten die Demonstranten Dutzende Stühle und Tische. Bis zum Beginn der Staatstrauer um den ehemaligen König Michael I. hielten sie 72 Stunden lang eine Mahnwache vor dem Gebäude ab und versammeln sich seit einem Monat fast täglich um 12 Uhr vor der PSD-Geschäftsstelle. Schweigend filmen sie mit ihren Mobiltelefonen die Büroräume der „Sozialdemokraten“ oder drücken auf Plakaten ihren Unmut aus. Ihre Nachricht an die Partei: V² Vedem – Wir sehen euch.
Einer der Demonstranten ist Radu Vancu. Der Dichter und Dozent sowie ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift „Transilvania“ ist durch seine Statements und Interviews gegenüber nationalen und internationalen Medien eines der wenigen bekannten Gesichter der sogenannten „Vă Vedem“-Gemeinschaft. Mit ihm sprach ADZ-Redakteur Michael Mundt über den Protest.
 

Herr Vancu, wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Form des Protests?

Es war offensichtlich, dass das Parlament und die Regierung die vorherigen Demonstrationen zu ignorieren versuchten. Wir haben dann einen anderen Weg der Kommunikation gesucht, um unseren Unmut zu äußern, einen, der sowohl unkonventionell als auch sichtbar ist. Dabei haben wir an die Strategie des Schweigens gedacht, denn Stille kann manchmal viel effektiver sein als lautes Schreien. Václav Havel hat einst den Essay „Die Macht der Machtlosen“ geschrieben und daran anknüpfend wollten wir die Stimme der Stimmlosen sein. Der Protest von Menschen, die für 15 Minuten vor der Geschäftsstelle der Sozialdemokratischen Partei stehen und einfach nur in die Fenster des Gebäudes schauen, ist ein sehr starker. Es ist eine lautlose Empörung über die Justizgesetze, die Verbrechen entkriminalisieren – Taten, die in jedem zivilisierten Land strafbar sind.
 

Wer waren die Initiatoren des Protests?

Nach einer der konventionellen Demonstrationen an einem windigen, regnerischen Sonntagabend trafen sich etwa 20 Leute in einem Raum – ich war nicht dabei – und haben über die Weiterentwicklung der Proteste diskutiert. Sie kamen auf die Idee des lautlosen Protests und haben dann mich, aber auch Dan Perjovschi und Claudiu Fălămaş kontaktiert. Gemeinsam haben wir dann entschieden, dass wir uns am Montag, um 12 Uhr, vor der PSD-Geschäftsstelle versammeln. Wir haben gehofft, dass 30 oder 40 Menschen es uns gleich tun, doch es waren sogar 70 und einige Tage später, am Wochenende, schon 700. Wir haben auch die Face-book-Seite „Vă Vedem din Sibiu“ aufgesetzt, die schon am dritten Tag eine Million Menschen erreicht hat. Diese Entwicklung hat uns selbst überrascht. Uns hat auch Tara Skurtu von der „Huffington Post“ kontaktiert, der ich ein Interview gegeben habe. Es war jetzt offensichtlich, dass dieser unkonventionelle Protest viel Aufmerksamkeit und Interesse geweckt hat.
 

Welche Rolle spielte dabei die Union Rettet Rumänien?

Es ist kein USR-Protest, auch wenn sie sehr stark involviert sind. Denn wäre es ein politischer Protest, nur von der USR (Union Rettet Rumänien), dann wäre es sehr einfach für die PSD zu behaupten, dass es sich lediglich um einen politischen Kampf handele, um nichts Reales, nichts, was mit der realen Zivilgesellschaft zu tun hat. Mitglieder der USR und auch der liberalen Partei (PNL) sind in diesem Protest aktiv, aber es ist hauptsächlich ein Protest der Hermannstädter Zivilgesellschaft, ein Protest gegen den Missbrauch politischer Macht.
 

War es von Beginn an klar, dass ihr für zwei Nächte vor der Geschäftsstelle aushalten werdet?

Am ersten Tag hatten wir noch keine Idee, wie lange wir bleiben werden. Nach drei Tagen des Protests begann die Staatstrauer zu Ehren des verstorbenen Königs Michael I. Da das Parlament verkündet hatte, dass seine Ausschüsse die Arbeit an den Justizgesetzen vorübergehend einstellen werden, haben wir entschieden, dass es normal und gesittet ist, unseren Protest ebenfalls einzustellen. Allerdings haben wir dann gesehen, dass dies eine Lüge war und die Arbeit an der Zerstörung der Justiz auch während der Staatstrauer weiterging. Wir haben uns dann dazu entschlossen weiterzumachen, allerdings nur mit den täglichen Flashmobs sowie den Agoren. An einigen Abenden in der Woche sitzen wir vor der PSD-Geschäftsstelle und sprechen mit nationalen und internationalen Gästen über die Justizgesetze und wie wir diese effektiv bekämpfen können (Anm. d. Red.: Die Agora war im antiken Griechenland der zentrale Versammlungsort einer Stadt, dem als Ort der Volks- und Gerichtsversammlungen eine herausragende Bedeutung zukam).
 

Gibt es Kontakt zu den „Sozialdemokraten“?

Wir haben sie eingeladen, mit uns in einen Dialog zu treten oder dies zumindest zu versuchen. Auf der nationalen Ebene haben die Sozialdemokraten nicht geantwortet, stattdessen hat der Hermannstädter Kreisverband uns in drei Pressemitteilungen angegriffen und uns vorgeworfen, wir nutzen Techniken der Securitate, da wir uns den Namen „VăVedem“ gegeben haben, der „Wir sehen euch“ bedeutet. Wir haben dann explizit die Parlamentsmitglieder aus Hermannstadt eingeladen, die an den Justizgesetzen arbeiten, um uns zu erklären, warum sie diese Gesetze ändern wollen, warum sie sexuelle Belästigung entkriminalisieren wollen! Wie kann man ein Gesetz verabschieden, welches sexuelle Belästigung komplett aus dem Strafgesetzbuch streicht oder ein Gesetz, welches die Unabhängigkeit der Staatsanwälte aufhebt und sie direkt unter die Kontrolle des Justizministers stellt. Sie haben allerdings jeden Dialog abgelehnt.
 

Warum funktioniert der tägliche stille Protest in Hermannstadt, aber nicht in anderen Städten?

Eine logische Erklärung habe ich dafür nicht. Ich denke, verschiedene Faktoren machen diese Form des Protests in Hermannstadt so erfolgreich. Einerseits, und das ist wohl am wichtigsten, liegt die PSD-Geschäftsstelle am Huet-Platz sowie an einer schmalen Gasse, wo es einfach ist, sich direkt davor zu positionieren. In Bukarest ist das anders, dort liegt sie auf dem Kiseleff-Boulevard und es ist unmöglich, direkt vor dem Eingang zu stehen. Es sind ungefähr 40 Meter zwischen den Demonstranten und dem Gebäude. Das ist nicht so einschüchternd und direkt wie in Hermannstadt. Die Idee des Protests ist es, direkt vor dem Gebäude zu stehen und zu zeigen, dass man die Politiker als echte Menschen wahrnehmen kann. Im Parlament sind sie nur Abgeordnete, sitzen auf einer Bank und drücken einen Knopf, aber wenn sie in ihrer lokalen Gemeinschaft sind, welche für sie gestimmt hat, dann sind sie direkt für ihre Entscheidungen verantwortlich. Das ist auch der Grund, warum wir sie zu uns eingeladen haben, denn sie müssen lernen, dass sie für ihre Entscheidungen vor ihrer lokalen Gemeinschaft Verantwortung übernehmen müssen.
 

Aber warum dann Hermannstadt und nicht Klausenburg oder Temeswar?

Ich bin mir nicht sicher und ich habe auch keine Antwort darauf, denn wenn wir in die Geschichte sozialer Proteste in Rumänien schauen, dann sind Temeswar und Klausenburg oft die ersten Städte gewesen, die reagiert haben, auch mit einer massiven Teilnahme der Studenten. In Hermannstadt, und das sage ich mit Bedauern, denn ich unterrichte an der Universität, sind die Studenten in diesem sozialen Protest nicht so engagiert wie in Temeswar oder Klausenburg. Ich habe zwar einige Studenten meiner Fakultät gesehen, aber verglichen mit Klausenburg, Temeswar oder Bukarest sind nur wenige Studenten aktiv. Aber es ist gut, dass sich in Hermannstadt Menschen von Nichtregierungsorganisationen und aus dem Unternehmermilieu sehr stark engagieren, den Protest aufrecht erhalten, Optimismus verbreiten und die Notwendigkeit für Empörung aufzeigen.
 

Wie würden Sie denn die Zivilgesellschaft in Hermannstadt beschreiben?

Ich denke, sie ist in den letzten Jahren viel aktiver geworden, was den Protest betrifft. Im letzten Winter hatten die Demonstrationen in Hermannstadt den an den Einwohnerzahlen gemessenen größten Anteil. Auf dem Höhepunkt der Proteste waren 43.000 Hermannstädter auf der Straße, rund jeder vierte Einwohner. Es ist offensichtlich, dass Hermannstadt aktiver und politisch empfänglicher geworden ist, was sehr gut und sehr gesund für das politische und soziale Leben in der Stadt ist. Ich denke, es kommt nicht von ungefähr, dass die PSD hier eines ihrer schlechtesten Ergebnisse erzielt hat.
 

Als welche Art von Stadt würden Sie Hermannstadt denn beschreiben?

Hermannstadt hat einen progressiven und einen konservativen Charakter. Bis vor zehn Jahren war wohl der konservative Teil dominierend. Doch in den letzten 10 Jahren hat sich die Atmosphäre, auch durch das Internationale Theaterfestival, das Internationale Jazzfestival und das Internationale Dokumentationsfilmfestival, sehr geändert. Es hat sich ein sehr kosmopolitisches und pro-europäisches Netzwerk gebildet. Dieses Milieu oder diese Klasse hat der Stadt geholfen, einen progressiven Weg des Denkens zu entwickeln. Heute ist Hermannstadt eine Kombination aus beidem, konservativ, was Eigentum und familiäres Leben betrifft und progressiv in politischen und sozialen Angelegenheiten. Ich denke, diese Kombination aus dem Bewahren des Privatbereichs und progressiver sozialer und politischer Entfaltung hat es ermöglicht, dass der Protest hier dauerhaft möglich ist.
 

Warum aber war die breite Mobilisierung bisher nicht so erfolgreich wie im vergangenen Winter?

Dazu gibt es zwei Erklärungen. Einmal ist es normal, nach einem Jahr von den dauerhaften Protesten erschöpft zu sein sowie Enthusiasmus und physisches Durchhaltevermögen zu verlieren. Andererseits sind die Gesetze noch nicht beim Präsidenten angekommen und es liegt immer noch an ihm, den ersten öffentlichen Schritt zu tun, was diese Gesetze betrifft. Dabei hat er drei Optionen. Er kann sie an das Parlament zurückweisen oder sie zum Verfassungsgericht geben, um feststellen zu lassen, ob sie gegen die Verfassung verstoßen. Momentan ist seine Strategie abzuwarten, damit die Empörung steigt, um die Gesetze zurückweisen zu können. Dann ist es die Aufgabe der Menschen aufzustehen. Das ist auch im vergangenen Februar geschehen. Bis der Präsident reagiert hat und sagte, dass die Gesetze inakzeptabel seien, waren wir nur einige Hundert oder Tausend auf der Straße. Als er sich positionierte und ihre verfassungswidrige Natur aufgezeigt hat, ist die Zahl der Demonstranten explodiert. Ich bin mir sicher, dass wird auch dieses Mal geschehen, sollte sich der Präsident entscheiden zu handeln. Er hat aber auch noch eine dritte Option. Thorbjørn Jagland, der Generalsekretär des Europarates, hat Klaus Johannis in einem offenen Brief dazu aufgefordert, die Justizgesetze von der Venedig-Kommission überprüfen zu lassen, ob sie europäisches Recht respektieren. Wir, die „Vă Vedem“-Gemeinschaft haben ebenfalls einen Brief an Klaus Johannis aufgesetzt, der auch von weiteren 18 Organisationen unterschrieben wurde, um ihn ebenfalls zu diesem Schritt zu bewegen.
 

Was erwarten Sie von der angekündigten Großdemonstration am 20. Januar 2018?

Einige Dutzend Menschen der „Vă Vedem“-Gemeinschaft werden in Bukarest sein. Ich hoffe, dass die Empörung bis zum 20. Januar so stark angestiegen ist und der Präsident bis dahin reagiert hat, dass die Teilnehmerzahl beeindruckend sein wird. Ich hoffe das mindestens 100.000 Menschen auf der Piaţa Victoriei die Rücknahme der Gesetze fordern. Das wäre ein wichtiges Signal, denn die Demonstration findet direkt vor dem Ende der Parlamentsferien statt und wir wollen, dass die Abgeordneten, wenn sie wieder anfangen zu arbeiten, wissen, dass die Zivilgesellschaft sie weiter beobachtet und sich weiterhin gegen diese Gesetze zur Wehr setzt.