Strafvollzug als Erziehung statt Tortur

Warum europäische Richter Auslieferungsforderungen gegen verurteilte rumänische Straftäter kaum stattgeben

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„Solange Rumänien nicht die Werte und Rechte der zivilisierten Welt annimmt“, sagt der Rechtsanwalt Dumitru Maereanu, „werden wir das Aschenputtel der europäischen Justiz sein“. Das äußere sich etwa dadurch, dass es Richter gebe, etwa in England, Italien, Frankreich oder Spanien, die die Auslieferung von in Rumänien in Abwesenheit verurteilten Straftätern – oder solchen, die vor dem Urteilsvollzug Rumänien verlassen konnten – verweigern, weil sie Zweifel am Bestehen menschenwürdiger Haftbedingungen in Rumänien haben. Außerdem mache sich Rumänien vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg straffällig, weil es längst die von diesem Gericht gesetzte Frist von sechs Monaten zur Terminplanung einer Lageverbesserung überschritten und das Straßburger Urteil quasi ignoriert hat. Außer den unglücklichen Versuchen von Justizminister Tudorel Toader, der mit Ideen wie der Entlassung von Straftätern zur Leerung der Gefängnisse Aufmerksamkeit erregte, gab es vonseiten Bukarests keine ernsthaften Ansätze.

Laut einer Mitteilung von Plus Communication, einer von einem Konstanzaer Rechtsanwalt und Hochschullehrer betriebenen Webseite, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 27. April 2017 Rumänien eine Sechsmonatsfrist gewährt, um „feste Termine für die Umsetzung allgemeiner Maßnahmen“ mitzuteilen, die „zur Verbesserung der Haftbedingungen“ in den rumänischen Gefängnissen führen sollen. Der Termin lief im November aus, einen Maßnahmenplan hat das von Toader geführte Justizministerium bis heute nicht bekanntgegeben. Nun soll Rumänien sanktioniert werden.

Der auch in der Öffentlichkeit vieldiskutierte Grund bevorstehender Sanktionen des Gerichts für Menschenrechte ist die Tatsache, dass die Gefängnisse Rumäniens keine menschenwürdigen Haftbedingungen bieten, die Haftbedingungen der rumänischen Gefängnisse die europäischen Menschenrechtsgesetze und -konvention ignorieren und, so die Richter in Straßburg, auf ein „strukturelles Defizit“ hinweisen. Das Urteil der Straßburger Gerichtskammer vom 27. 04. 2017 in der Causa Daniel Arpad Rezmiveș, Marius Mavroian, Laviniu Moșmonea und Iosif Gazsi (über die Klagen 61467/13, 48213/13, 39516/13 und 68191/13), in der sie als rumänische Staatsbürger ihren Staat verklagten, besagt mit einstimmiger Entscheidung der Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass Rumänien Art. 3 (Verbot unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung) der Europäischen Konvention der Menschenrechte verletzt hat. Der Klage von Rezmiveș, Mavroian, Moșmonea und Gazsi wurde deshalb stattgegeben.

Rezmiveș, Moșmonea und Gazsi waren Häftlinge der Strafvollzugsanstalten von Temeswar, Pelendava und Frauenmarkt/Baia Mare, Mavroian saß seine Strafe in Focșani ab und kam am 13. Januar 2015 frei. Alle vier klagten wegen Überfüllung der Gefängniszellen, fehlender Räumlichkeiten zur Freizeitgestaltung, unakzeptabler Hygienebedingungen, unzureichender Duschen, Dusch-Vorräume und Toiletten, fehlender Lüftung, ungengender, lückenhafter Kleidungsversorgung und -säuberungsmöglichkeiten sowie wegen schlechter Kost. Dies alles ist in Rumänien hinreichend bekannt, weswegen es sowohl in den Gefängnissen als auch seitens der Zivilgesellschaft öffentliche Protestkundgebungen gab.

Das Straßburger Gericht gewährte den Klägern eine vom rumänischen Staat zu zahlende Entschädigung: Rezmiveș und Gazsi sollten als moralische Entschädigung für das Menschenunwürdige ihrer Haftbedingungen je 3000 Euro für ihre Haftzeit unter den geschilderten Bedingungen ausgezahlt bekommen, Mavroian und Moșmonea mit derselben Begründung je 5000 Euro. Zusätzlich sollte Rumänien Moșmonea 1850 Euro Kosten- und Ausgabenvergütung zahlen. Die Gerichtskammer betonte, dass vor allem die unmenschlichen und entwürdigenden Haftbedingungen – auch im Verhältnis zur Haftzeit und zur Dauer ihrer Festsetzung bis zur Verurteilung – sie „in Schwierigkeiten gebracht und die bei einer Verhaftung unvermeidlichen Leiden überschritten haben. Dadurch hat die Instanz, sich auf Art. 46 der Konvention berufend (verpflichtende und ausführende Kraft der Beschlüsse/Urteile), ein Piloturteil gesprochen: Sie musste feststellen, dass die Klage der vier früheren Häftlinge de facto eine große Gruppe potenzieller Kläger – praktisch alle Inhaftierten Rumäniens – betrifft. Es handele sich um „ein allgemeines Problem, hervorgerufen von einer strukturellen Dysfunktion, die dem System der rumänischen Haftanstalten eigen ist“.

Deshalb müsse der rumänische Staat, so das Straßburger Urteil, Maßnahmen zur Verringerung der Überfüllung der Gefängnisse und zur Verbesserung der dortigen materiellen Bedingungen treffen sowie spezifische und kompensatorische Abhilfe schaffen. Bis auf Weiteres hat die Instanz die Beurteilung aller ähnlich lautenden Klagen entlassener Häftlinge aus rumänischen Gefängnissen verschoben. Bereits gefasste Urteile in solchen Fällen sollen aber weiter bezüglich ihrer Umsetzung verfolgt werden. Sechs Monate nachdem das Urteil rechtskräftig wurde, sollte der rumänische Staat dem Straßburger Gericht und dem Rat der Justizminister den Terminkalender vorstellen, nach dem man beabsichtigt, die Bedingungen in den rumänischen Gefängnissen zu verbessern. Bekanntlich haben sich der Justizminister und die Fachausschüsse des Parlaments in dieser Zeitspanne stattdessen mit der Untergrabung der Autorität der Justiz- und Justizvollzugsorgane, der Ordnungskräfte und des Präsidenten und mit der Verwässerung des Strafgesetzbuchs beschäftigt.

Inzwischen gibt es europaweit mehrere Dutzend mit endgültig bestätigtem Urteil (rumänischer Gerichte) abgestrafte rumänische Straftäter, deren Auslieferung an Rumänien, trotz rechtskräftig ausgestellter Auslieferungsgesuche der rumänischen Justizorgane, von den Richtern aus mehreren EU-Staaten nicht genehmigt wird: Sie haben Bedenken angesichts des Stands der Achtung der Menschenrechte in rumänischen Gefängnissen, wegen Übertretung eben jenes Artikels 3 der Europäischen Konvention über die Verteidigung der Menschenrechte und der grundlegenden Freiheiten des Menschen, zu deren Unterzeichnern auch Rumänien gehört.

Dazu der Anwalt für Menschenrechte Dumitru Maereanu: „Die Gesuche betreffs Umsetzung mehrerer Haftbefehle, die auf den Namen verurteilter Rumänen ausgestellt wurden, sind von britischen Behörden zurückgewiesen worden, ebenso von Instanzen aus Italien, Spanien und Frankreich. Die Anwälte aus jenen Ländern haben ein Aussetzen der Auslieferungsanträge gefordert und von Rumänien verlangt, neben den internationalen Auslieferungspapieren auch Garantien abzugeben: Diese sollten Art, Bedingungen und Ort der Haftzeit für die betroffenen Personen festhalten und sicherstellen, dass sie von unmenschlichen und entwürdigenden Haftbedingungen verschont bleiben“, fasst Maereanu zusammen. „Die Instanz in England, die eine solche Auslieferung verweigerte, teilte den rumänischen Antragstellern auch mit, dass nicht nur die Bürger eines Landes verpflichtet sind, die Gesetze zu achten und sie bei deren Übertretung sanktioniert werden. Als Erster ist stattdessen der Staat verpflichtet, die Rechtsregeln, die internationalen Verträge und die Entscheidungen der Europäischen Gerichtshöfe zu achten. Die rumänischen Behörden haben nicht die vorwiegend erzieherische Rolle von Sanktionen erfasst und aus der Bestrafung eines Straftäters eine Form der Tortur des Verurteilten entwickelt“, kritisiert Maereanu.