Straßenbau im europäischen Urwald

Umweltschützer sehen rumänische Nationalparks gefährdet

Ghimpele-See im Retezat-Gebirge
Foto: Horia Varlan / http://www.flickr.com/photos/horiavarlan/4808026454/

Dort, wo es noch – nicht nur in den journalistischen Sommerlöchern wahrgenommene – frei lebende Bären gibt, wo ein dichtes Gestrüpp aus Bäumen, Sträuchern und Hecken das Durchkommen zum Abenteuer werden läßt, sollen zukünftig im Winter Skifahrer auf gewalzten Pisten talabwärts wedeln und im Sommer Tausende von Wochenendtouristen mit Autos zum Picknicken und Grillen kommen. Das befürchtet der World Wide Fund for Nature (WWF) für einen der letzten großen Urwälder Europas. Dieser liegt im Südwesten der Karpaten Rumäniens und setzt sich aus zwei benachbarten Nationalparks, Retezat und Domogled, zusammen. Durch den Bau einer Schnellstraße soll Leben in die strukturschwache Region kommen. So will es die Regierung in Bukarest und der Staatschef höchstpersönlich. Zahlreiche Umweltschutz-Organisationen, allen voran der Wold Wide Fund for Nature, sehen darin aber eine ökologische Katastrophe und wollen mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission gegen das Projekt vorgehen. Über den Stand der Dinge informierte sich Thomas Wagner bei den Hauptakteuren.

Kein Durchkommen in einem der letzten europäischen Urwälder

„Buchen, Fichten sind da. Die Bäume sind von verschiedenen Größen und unterschiedlich alt bis uralt. Viele Bäume sind umgestoßen worden oder gefallen, sind am Sterben, am Vermodern. Darauf und daraus wachsen neue Bäume. Das ist einfach eine natürliche Diversität und ein natürliches Leben in diesem Wald. Das ist ein wertvolles Habitat für den Luchs, für Wölfe und Braunbären. In Rumänien lebt zwei Drittel der gesamten EU-Population von Bären, Wölfen und Luchsen. Und dieses Gebiet ist eben auch überlebenswichtig dafür.“ Wenn Andreas Beckmann, Leiter des Donau-Karpatenprogramms im World Wide Fund for Nature, über den Domogled- und den Retezat-Nationalpark im Südwestteil der rumänischen Karpaten spricht, gerät er ins Schwärmen: Ein riesiges, 100.000 Hektar großes Biotop, das seit Jahrhunderten - bis auf Wanderweidewirtschaft spezialisierte Hirten – ungestört vor sich hinwuchert und schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als „Königliches Jagdrevier“ zum Nationalpark erklärt wurde, dem ersten Rumäniens.

Noch ist die Lage dort wie beschrieben. Aber nun droht Ungemach für einen der letzten europäischen Urwälder: Der Bau und Ausbau der rund 100 Kilometer langen Nationalstraße 66A – Petroschen/Petro{ani-Lupeni-Câmpu lui Neag–Cerna-Sat–Herkulesbad/Băile Herculane – mitten durch die beiden Nationalparks. „Für uns ist dieses Straßenbauprojekt sehr wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Region. Wenn diese Region erst einmal erschlossen ist, wird das eine große Attraktion werden für Touristen. Und außerdem erhöht die Straße die Verkehrssicherheit. Wir glauben, das ist für diese Region eine sehr wichtige Zielsetzung,“ meint Sorin Lucaci, Direktor der Straßenbaudirektion in Temeswar, der auch für die 66A verantwortlich ist. Längst hat er im Nationalpark Retezat die Bagger und laut Umweltschützern leider auch die Sprengteams in Gang gesetzt. 47 der über 100 Kilometer langen Straße, die sich durch die beiden Nationalparks schlängelt, sind bereits fertig.

Langzeitfolge Siedlungsdruck

Umweltschützer Andreas Beckmann vom World Wide Fund for Nature sieht darin einen Naturfrevel ersten Ranges. Nicht nur, dass die Straße die natürlichen Bewegungsrouten der Bären, Luchse und Wölfe einfach durchtrennt - viel drastischer seien die langfristigen Folgen: „Eine Straße bringt auch Leute, Menschen. Sie bringt Ferienhäuser und so weiter. Müll, Lärm. Vergrämung. Dieser sekundäre Druck ist sehr ernst zu nehmen. Siedlungsdruck – Beginn der Zersiedlung dieser Gegend. Wir verlieren damit ganz einfach eine Wildnisgegend von Weltrang. Man kann sagen, die letzte in Europa, mit Ausnahme von Finnland.“

Dass die rumänische Regierung eine Nationalstraße einfach so mir nichts, dir nichts, durch zwei eigentlich geschützte Nationalparks bauen läßt, dies in offensichtlicher Übertretung ihrer beim EU-Beitritt 2007 eingegangenen Verpflichtungen, will Andreas Beckmann nicht in den Kopf: „Das Problem ist, dass die Umweltrechte in diesem Fall einfach zur Seite geschoben werden. Es muss in solchen Fällen eine Umweltprüfung gemacht werden. Die ist auch offiziell gemacht worden. Aber sie ist innerhalb von fünf Tagen gemacht worden. Das ist, so gesehen, eine Farce. Gerade in solch einem Gebiet müsste so etwas mindestens Monate dauern. Umweltverträglichkeitsprüfungen müssten schon gründlich gemacht werden – einfach, weil dieses Gebiet so wertvoll ist.“

Die Umweltrechte seien bei diesem Straßenbauprojekt mit Füßen getreten worden – ein schwerwiegender Vorwurf, den Sorin Lucaci vom Temeswarer Straßenbauinspektorat energisch zurückweist: „Die nationale Umweltagentur Rumäniens hat bei der West-Universität Temeswar eine Studie in Auftrag gegeben. Thema: Welche Auswirkungen hat der Straßenbau auf die Artenvielfalt? Was muss man tun, um die Artenvielfalt so weit wie möglich zu erhalten, ja sogar zu unterstützen? Da haben Wissenschaftler aus den Bereichen Chemie, Biologie und  Geografie zusammengearbeitet. Sie haben ganz konkrete Vorschläge ausgearbeitet. Die setzen wir um, weil sie dem Ziel dienen, die Auswirkungen des Straßenbauprojektes auf seltene und geschützte Tier- und Pflanzenarten auf ein Minimum zu reduzieren.“

„Ausgleichsmaßnahmen“ als Lösung

Sorin Lucaci verweist als Vertreter der rumänischen Straßenbauverwaltung auf zahlreiche, sogenannte „Ausgleichsmaßnahmen“: Damit sollen Eingriffe in die Natur wieder wettgemacht werden: „Wir planen eine ganze Reihe von Unterführungen und Brücken. Damit sollen seltene Tierarten, vor allem Amphibien, die Möglichkeit erhalten, unbeschadet von einer Seite der Straße zur anderen zu gelangen. Wir installieren Schilder an der Fahrbahn, die Reisende auf möglichen Wildwechsel aufmerksam machen.“ Für Naturschutzorganisationen wie den World Wildlife Fund for Nature sind das reine Alibimaßnahmen, während die Regierung die Regionen, in die die beiden Nationalparks eingebettet sind, vor allem für den Tourismus erschließen möchte. Das kommt nicht von ungefähr, denn die neue Nationalstraße 66A soll die strukturschwache Region des Kohlenpotts im Schiltal/Valea Jiului, in der auf EU-Druck viele Minen geschlossen wurden, mit dem Cerna-Tal Richtung Herkulesbad und Eisernes Tor an der Donau verbinden.

Die Straßenbauarbeiten gelten auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die zahlreichen arbeitslos gewordenen Bergarbeiter in der Region. Dieser Zweck heiligt aber lang noch nicht die Mittel, sagen Naturschützer wie Andreas Beckmann vom „World Wildlife Fund for Nature“: „Es verstößt ganz sicher gegen nationales Recht. Es verstößt aber auch gegen EU-Recht. Es gibt ein Schutzgebietssystem in Europa, das Naturschutz-2000-Netzwerk. Und bei diesem Projekt geht es ganz klar gegen die EU-Richtlinien. Wir werden eine Beschwerde einreichen bei der Europäischen Kommission. Das Problem dabei ist, dass solche Beschwerden immer sehr lange Bearbeitungszeiten haben. Inzwischen werden im Retezat- und Domogled-Massiv der südwestrumänischen Karpaten in aller Öffentlichkeit und mit Ignorierung rechtlicher Vorschriften Tatsachen geschaffen.“