Streit in vollster Harmonie

Deutschland wird am 24. September nicht für einen solchen Umsturz der Werte in der internationalen Gemeinschaft sorgen wie der britische Brexit und die US-Wahl des Donald Trump. Wohl auch nicht für erfrischende Hoffnungen in die Demokratie, wie die Holland- und die Österreich-Wahl oder die von Macron in Frankreich. Die volle Harmonie der Ziele der beiden deutschen Spitzenkandidaten Angela Merkel und Martin Schulz hat zu einem bizarren Wahlkampf geführt: Es stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die weitgehend einer Meinung sind. Und die 61,5 Millionen deutschen Wahlberechtigten sollen sich zwischen denen entscheiden, die in ihrem Streitgespräch vor laufender Kamera am Sonntagabend Höflichkeitsfloskeln in der Art „Wie schon die Frau Bundeskanzlerin gesagt hat...“ und „Da gebe ich Herrn Schulz recht!“ gebetsmühlenartig wiederholten.

Die vier Spitzenjournalisten des deutschen Fernsehens, die Merkel und Schulz gern genüsslich bei einer politischen Balgerei zugeschaut hätten, wurden enttäuscht. Am Wahltag des 24. September wird Deutschland wohl den Status quo anpeilen. Das scheint im Boomstaat und politischen Motor EU-Europas vorgezeichnet. Dafür spricht auch die sofort nach dem „Streit“-Gespräch bekanntgegebene Meinungsumfrage von RTL-TV: Es stand 51:49 für Merkel, was dem aufmerksamen Zuschauer auch gefühlsmäßig richtig schien: Kanzlerin Merkel hat einen Stabilitätsbonus in der Tasche, an dem der Newcomer der deutschen Innenpolitik, Martin Schulz, mit seiner Erfahrung als EU-Parlamentspräsident nicht rütteln kann. Deutschland hat den Schulz-Schock vom Frühjahr verwunden und dümpelt politisch ruhiggestellt in einer wirtschaftlichen und politischen Stabilität vor sich hin, die nur Wohlstandsbürger in einem Wohlstandsstaat so genießen können, wie sie ihnen Mutti Merkel (Popularitätspegel um die 60 Prozent, Schulz halb so viel) vorsetzt. Die paar Krawallmacher von rechts oder von links mögen an diesem Stabilitätsgefühl nagen, werden es aber nie ins Wanken bringen.

Das Fettnäpfchenballett der Mutti Angela – „Willkommenskultur“, „Dieselgate“ – hat sie meisterhaft überwunden, indem sie keinen Augenblick Fehler zugab, sondern mittels Nuancierungen Akzente setzte, die glauben machten, dass Vorwürfe gegen sie ungerechtfertigt sind. Umsonst versucht Martin Schulz, die Migrantenfrage in eine „Generationenaufgabe“ der Anpassung an Deutschland umzuschmieden und umsonst hat er im Streitgespräch (überzeugend sein Beispiel der bei ihm arbeitenden Handwerker) versucht, die nationale Dimension von „Dieselgate“ zu suggerieren – seine Kontrahentin gab ihm einfach recht und nahm jedem potenziellen Streitgespräch den Wind aus den Segeln. Dass es sich trotzdem um eine Konfrontation zwischen den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 handelte, das schien bloß in plattpolitischen Einwürfen der Art durch: „das hat Rot/Grün“ oder „das haben die Schwarzen“ in dem einen oder anderen Bundesland vermasselt, was jeweils mit einem freundlichen Lächeln vorgebracht und ... quittiert wurde. Selbst dem „schwärzesten der schwarzen Bundesländer, Bayern“, gewann Schulz eine sympathische Note ab, ausgerechnet durch eine Entscheidung Horst Seehofers. Der bundesdeutsche Wahlkampf 2017 ist eher ein einvernehmliches Ziehen der beiden Spitzenkandidaten am selben Strang, keine Konfrontation von Ideen und Idealen – schließlich hat man sich gegenseitig die Wahlkampfprogramme weitgehend abgekupfert oder zumindest „harmonisiert“. Bleibt nur eine Unbekannte: Wenn die CDU/CSU  40 und die SPD 23 Prozent der Stimmen bekommt, wie nicht nur die „Forschungsgruppe Wahlen“ tippt, wie verteilen sich die 27 Prozent Reststimmen auf Grüne, FDP-Liberale, Linke und AfD? Letztere scheint diesmal mit Sicherheit in den Bundestag zu gelangen. Grün ist eh schon lange etabliert.