Studiengang gegen Abwanderung ins Ausland

An der deutschen Abteilung der Temeswarer Westuni wird gegen Brain-Drain gelehrt

Brain-Drain: Die Bezeichnung steht für eine Art Völkerwanderung der Fachkräfte. Seien es nun Ärzte, Ingenieure oder Jung-Manager: Vor allem aus osteuropäischen Ländern zieht es gut ausgebildete Experten in den Westen, wegen der höheren Gehälter dort, aber wegen auch den besseren Lebensbedingungen. Beispiel Rumänien: Vorsichtigen Schätzungen zufolge haben seit dem EU-Beitritt 2007 um die drei Millionen Menschen die Koffer gepackt und sind Richtung Westen gezogen, darunter auch viele Fachkräfte. Die allerdings fehlen dann in ihrem eigenen Land. Wie aber gegensteuern? Vielleicht mit einem eigens dafür konzipierten Studiengang, der den Absolventen gute Karrierechancen in ihrem eigenen Land bietet - ein Studiengang, der dazu auch noch komplett in Deutsch angeboten wird.
„Und hier haben wir die Koeffizienten zweiten Grades: Alfa hoch zwei Alfa minus drei... so ist dann diese Gleichung umzuschreiben.“ „Das kann man einfach mit Delta lösen, oder? - Ja, die Deutschen nennen das die BQ-Formel...“

Am Anfang steht... viel Mathematik. Einführungs-Vorlesung im Bachelor-Studiengang „Rechnungswesen und Wirtschaftsinformatik“ an der Westuniversität Temeswar. Das Außergewöhnliche daran: Der Studiengang wird an einer rumänischen Uni komplett auf Deutsch angeboten.
„Ich spreche Deutsch, seit ich klein war.“ „Ich habe hier ein deutsches Abitur geschrieben. Und ich wollte dann halt in deutscher Sprache weiter studieren. Und ich wollte nicht nach Deutschland ziehen.“ Soweit Siandra Leucuș und Larissa Purtător - zwei von insgesamt 43 Studierenden, die sich für den deutschsprachigen Studiengang entschieden haben, obwohl die meisten Rumäninnen und Rumänen sind. Aber: Gerade im Westen des Landes ist Deutsch lange Zeit als zweite Sprache neben dem Rumänischen weit verbreitet gewesen. Heute werden die von den Banater Schwaben gegründeten deutschsprachigen Gymnasien von vielen jungen Rumäninnen und Rumänen besucht.

Das wird aber zunehmend zum Problem: „Es gehen natürlich immer noch gleich nach dem Abitur, grade die Guten, zum Studieren, ins Ausland. Und die sehen wir dann meiner Meinung nach nur noch zu einem Bruchteil wieder“, so Peter Hochmuth, Vorsitzender des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs „Banat“ in Rumänien, einer Investorenvereinigung. Der Brain-Drain, also die Abwanderung der deutschsprachigen Schulabsolventen, bereitet den Investoren bei der Suche nach akademisch ausgebildeten Fachkräften zunehmend Probleme. Nun macht der deutschsprachige Studiengang „Rechnungswesen und Wirtschaftsinformatik“ Hoffnung auf eine Trendumkehr. Beatrix Popoviciu gehört zu den ersten Absolventen, Siandra Leucuș ist noch mitten drin im Studium: „Ich wollte mein Studium in deutscher Sprache machen. Aber ich wollte nicht nach Deutschland ziehen.“ „Bei mir ist es so: Ich habe eine kleine Familie, ich möchte bei denen bleiben und hier arbeiten. Es sind so viele Möglichkeiten hier in Rumänien und auch in Temeswar. Man hat echt gute Chancen!“ so Beatrix Popoviciu. Und: „Es sind wenige hier in Rumänien, die sehr gut Deutsch sprechen und die auch gut im Bereich Wirtschaft sind. Und ich habe auch gesehen, dass es viele deutsche Unternehmen gibt, die uns sozusagen suchen.“

Von den ersten 20 Absolventen, die kürzlich mit dem Bachelor abgeschlossen haben, entschied sich gerade mal ein einziger, nach Deutschland zu gehen. Das hat mit der besonderen Konzeption des Studiengangs zu tun. Einmal besteht eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen der Uni und den deutschen Investoren im Westen Rumäniens: „Sie bieten uns zahlreiche Praktikumsplätze an.“

Und das sei, so Uni-Lektorin Cristina Circa, für viele bereits der Einstieg in ihren zukünftigen Job. Hinzu kommt ein Weiteres: Wer sich für den deutschsprachigen Studiengang entscheidet, kann, wenn er dies möchte, auch für zwei Semester an die Hochschule für Technik und Wirtschaft Karlsruhe gehen und dann neben dem rumänischen auch einen deutschen Abschluss machen. Dabei soll aber verhindert werden, dass die rumänischen Studierenden gleich ganz in Karlsruhe bleiben und nicht mehr nach Rumänien zurückkehren. Professor Franz Quint, selbst in Rumänien geboren, ist in Karlsruhe Prorektor für Forschung und Lehre: „Natürlich, durch die Konzeption des Studiengangs, dass wir den Aufenthalt in Karlsruhe nicht am Ende, sondern in der Mitte des Studiums platziert haben und die Studierenden danach wieder nach Temeswar zurückkommen, um ihren Abschluss zu machen, sind die dann wieder dort und können dann dort eine Arbeitsstelle finden.“

Dabei ist der Austausch keine Einbahnstraße: Grundsätzlich können auch „Wessis“ den deutschsprachigen Studiengang in Rumänien belegen. Patrick Lauinger aus Karlsruhe absolviert in Temeswar zwei Semester: „Andere Leute kennenlernen, andere Mentalitäten: Durch die Internationalisierung hat man mit vielen Völkern zu tun. Und da sollte man solche Möglichkeiten wahrnehmen.“