„Tägliche Tage“ nach Samuel Becketts „Happy Days“

Das Kronstädter DUO BASTET im Dalles-Saal der Volksuniversität Bukarest

Carmen Elisabeth Puchianu und Robert Gabriel Elekes in „Tägliche Tage“ Foto: Christian Binder

Das Kronstädter DUO BASTET, ein aus den beiden Darstellern Carmen Elisabeth Puchianu und Robert Gabriel Elekes bestehendes deutschsprachiges Theaterensemble, gastierte am 27. März im Dalles-Saal der Volksuniversität Bukarest mit einem Stück, das sich an Samuel Becketts Drama „Happy Days“ (Glückliche Tage) anlehnt und in der Kronstädter Adaptation den pleonastischen Titel „Tägliche Tage“ trägt. Damit wird einerseits auf die immergleiche Alltagsroutine angespielt, die in diesem Stück geradezu ins Absurde gesteigert ist, wie andererseits auch das Glück beschworen, das just in der permanenten Wiederholung dieses einen „glücklichen täglichen Tags“ besteht.

Während in Becketts Zweipersonenstück die weibliche Hauptfigur Winnie zur Hälfte in einem Erdhügel steckt, in dem sie im Laufe des Dramas zusehends versinkt, thront die Winnie (Carmen Elisabeth Puchianu) der Kronstädter Inszenierung (Uraufführung im Mai 2012 in Reschitza) fast bis zum Schluss in großer Höhe auf einer Stehleiter, die mit einer ausladenden schwarzen Plastikumhüllung, die durchaus auch als ein überdimensionaler Müllsack betrachtet werden kann, verhängt ist. Entgegen ihrem Namen, der den Gewinn zum Omen hat, ist Winnie ständig von Verlustängsten geplagt. Die Furcht vor dem Verlust ihrer Gesundheit – wie ein Mantra wiederholt sie geradezu beschwörend mehrfach die Worte „keine Verbesserung, keine Verschlimmerung, keine Veränderung, und fast kein Schmerz“ –,  die Furcht vor dem Verlust des Ehemannes, dem Verlust der Kontrolle über das Geschehen, ja die Furcht vor dem Verlust der Realität überhaupt schweben wie ein Damoklesschwert bedrohlich über ihrer Existenz, die sie mit einem unendlichen Bewusstseins- und Redestrom gleichermaßen zu begründen wie zu betäuben sucht. Nicht von ungefähr ist die englische Titelformulierung „happy days“ phonetisch gleich lautend mit „happy daze“ (glückliche Betäubung).

Winnies Ehemann Willie, eine nahezu gänzlich stumme Rolle, ist bei Beckett ein seniler alter Mann, der nur noch auf allen vieren aus seinem Loch und in es zurück kriechen kann. Wie Winnie, so macht auch er seinem Namen nicht die geringste Ehre. Er heißt zwar Willie, aber sein Wille ist von Anfang an gebrochen. Und sein „willie“, im Englischen eine umgangssprachliche Bezeichnung für das Gemächt, versagt ihm ebenfalls den Dienst, weswegen er im Stück auch als „Borg“, als kastriertes Schwein, apostrophiert wird. Der Kronstädter Willie (Robert Gabriel Elekes) ist dagegen ein aktiver und attraktiver junger Mann, der während der gesamten Dauer des Theaterstücks der unbeirrt vor sich hinredenden Protagonistin schauspielerisch Paroli zu bieten vermag und von dem man sich nicht wundert, dass er am Ende Winnies Hochsitz ersteigen kann und ihr mit einem Klebeband den Mund, aus dem unablässig Worte fließen, kurzerhand zuklebt.

Das dramatische Geschehen wogt also den ganzen 80-minütigen Abend lang zwischen den beiden Ehegatten dynamisch hin und her. Winnie steht gleichsam auf der Kanzel, bittet Gott (oder „die Gottin“) statt um „täglich Brot“ um den „täglichen Tag“, redet auf ihren schweigenden und vielleicht auch gar nicht zuhörenden Mann ein, nötigt ihn zu Antworten, die er verspätet oder gar nicht gibt, schwelgt in Erinnerungen an den ersten Ball, den ersten Kuss, stimmt einen Walzer an oder singt ein, zwei Verse vom „Alabama Song“ aus Brechts Oper „Mahagonny“, putzt sich die Zähne, spuckt aus, betrachtet sich im Spiegel, und verabreicht ihrem Willie, wann es ihr gerade passt, die jeweiligen Rationen an Demütigung und Zurechtweisung: „Du bist auch nicht mehr der Kriecher, der du einmal warst!“

Willie lässt sich aber von Winnies sprachlichem Dominanzgebaren nicht sonderlich beeindrucken. Mit behutsam gesetzten, grazil gymnastischen und pantomimisch perfekten Schritten durchmisst er in Zeitlupe die gesamte Bühne, hinter einem illuminierten Paravent wird er zu einem veritablen Schattenspiel, umhüllt von einem Spannbetttuch agiert er als dämonisches Schreckgespenst, auf einem Sockel stehend enthüllt er sich selbst als erschreckt-erschrockenes Individuum, auf einer Stehleiter am hinteren Bühnenrand, die noch höher ist als Winnies Ambon, kleidet er sich in halsbrecherischen akrobatischen Akten in seine Matrosenkluft und schwingt sich dabei wie ein Primat zwischen den beiden Teilen der Stehleiter hin und her, mit Füßen und Händen Halt an Holmen und Sprossen findend. Dabei behindert ihn ein zwischen den beiden steilen Leiterteilen ausgespanntes Gespinst, das von einem labyrinthisch wirkenden roten Faden, Seil oder Tau durchzogen ist und das ebenso an Winnies Lügengespinste denken lässt wie an Becketts Stück „Krapp’s Last Tape“ (Das letzte Band).

Carmen Elisabeth Puchianus klare und prononcierte Aussprache wie Robert Gabriel Elekes’ prägnante und elaborierte Körpersprache führen so zu einem dramatisch lebendigen Zwiegespräch, in dem Wort und Geste, Sprache und Bewegung eine dynamische Synthese eingehen, die das Stück trägt und die Spannung den ganzen Theaterabend über permanent aufrecht erhält. Die Musiksequenzen, die in den Pausen zwischen den einzelnen Szenen erklingen, rhythmisieren das Stück zusätzlich und sorgen für einen leicht dahin fließenden, gleichsam spielerischen Verlauf des Dramas, das freilich zwischen den höchsten Höhen der Erfüllung und den tiefsten Tiefen der Verzweiflung changiert und oszilliert.

Das im Herbst 2008 gegründete DUO BASTET kann inzwischen auf ein stattliches Repertoire verweisen. Neben der Beckett-Adaptation „Tägliche Tage“ (2012) ist das Zweipersonenstück „Stühle für den neuen Mieter“ (2010) und das Einpersonenstück „Nyktophobie, oder Mephistos später Gruß an Faust“ (2009) im Programm. Und wer am 4. April dieses Jahres in Kronstadt weilt, kann dort der Premiere des neuesten Stückes des DUO BASTET beiwohnen, der Uraufführung des dramatischen Werkes „Pflegefall“.

Das künstlerische Können des DUO BASTET begeistert nicht nur die Zuschauer wohlgemerkt aller Altersgruppen, sondern kommt auch dem schauspielerischen Nachwuchs zugute. Carmen Elisabeth Puchianu und Robert Gabriel Elekes sind beide aktiv im Bereich des Schüler- und Studententheaters und betreuen in Kronstadt das deutschsprachige Spielensemble DIE GRUPPE, das sich unter ihrer Anleitung an Autoren wie Büchner, Kafka und Beckett heranwagt. Es bleibt zu hoffen, dass die beiden Schauspieler, Wissenschaftler und germanistischen Hochschullehrer (Carmen Elisabeth Puchianu ist außerdem noch Schriftstellerin) auch in der Zukunft die Zeit finden werden, neue Stücke einzustudieren und ihr Publikum mit qualitätsvollen Darbietungen zu erfreuen.