„Temeswar braucht eine eindeutige Vision“

ADZ-Gespräch mit Tom Hoyem, Direktor der Europäischen Schule Karlsruhe und Gemeinderat in Karlsruhe

Tom Hoyem: „Es ist wichtig, dass wir, die wir Rumänien kennen, gut darüber sprechen”.
Foto: Zoltán Pázmány

Journalist, Publizist, Politiker und Schulleiter: Der Däne Tom Hoyem ist eine vielseitige Persönlichkeit. Zwischen 1982 und 1987 war er Grönlandminister in der dänischen Regierung und übernahm danach die Leitung der Europäischen Schule Culham. 1994 wurde er zum Direktor der Europäischen Schule München ernannt und wechselte im Jahr 2000 nach Karlsruhe, als Leiter der dortigen Europäischen Schule. Seit 2004 ist er auch Gemeinderat in Karlsruhe – der Stadt, in der er mit seiner deutschen Frau Gerlinde lebt. Vor Kurzem war Tom Hoyem erneut in Temeswar zu Gast. Bei dieser Gelegenheit führte ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu mit Tom Hoyem folgendes Gespräch.

Die Europäische Schule Karlsruhe hat eine Partnerschaft mit der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar. Welche Möglichkeiten, diese Zusammenarbeit künftig zu intensivieren, sehen Sie?

Die Partnerschaft zwischen der Europäischen Schule Karlsruhe und der Lenau-Schule ist eine sehr intensive Partnerschaft, die seit mehr als zehn Jahren andauert. Am Anfang war es, wie mit allen anderen Schulen, nur „ein bisschen Partnerschaft“, mal „Hallo“ und „Guten Tag“ sagen, aber jetzt ist es so, dass wir zusammen auch Lehrpläne entwickelt haben. Wir haben eine Klasse mit einer Lehrerin in Karlsruhe und eine Klasse mit einer Lehrerin hier in der Lenau-Schule und diese beiden Klassen werden gemeinsam über Skype unterrichtet. Jede dritte Woche hat man eine Skype-Stunde an den beiden Schulen. Die Lenau-Schulleiterin Helene Wolf und ich, wir sind beide Schulleiter, aber wir sind auch Politiker und das bedeutet, dass wir versuchen, diese Zusammenarbeit in einer weiteren Perspektive zu sehen. Es gibt also eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Schulen und sie wird in Zukunft noch enger.

Seit 23 Jahren gibt es auch eine Partnerschaft zwischen Karlsruhe und Temeswar. Was bringt diese Partnerschaft der Stadt Karlsruhe?

Uns bringt es viel. Es ist sehr wichtig, dass man die Welt in einer größeren Perspektive sieht. Ich persönlich bin Däne und gerade heute bin ich in einer sehr guten Laune, weil wir heute den dänischen Nationalfeiertag begehen. Aber ich lebe und arbeite in Karlsruhe. Wir haben in Karlsruhe die Partnerschaft mit Temeswar auf Augenhöhe entwickelt. Vor 20 Jahren ging es bei dieser Partnerschaft um Hilfe, weil diese für Temeswar notwendig war. Ich selbst kam mit Hilfstransporten nach Rumänien. Ich bin persönlich gut bekannt mit Präsident Klaus Johannis – er war in der Zeit, als ich nach Rumänien kam, Lehrer in Hermannstadt/Sibiu. Inzwi-schen hat sich die Partnerschaft Temeswar-Karlsruhe entwickelt, man diskutiert nun auf Augenhöhe. Man arbeitet im Bereich „Wirtschaft“ zusammen und diese gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die gemeinsame Entwicklung in Europa ist für uns sehr wichtig.

Inwiefern sind die ausgewanderten Banater Schwaben noch Träger und Initiatoren von Kontakten zwischen den beiden Städten?

Ich bin im Kuratorium für den Freundeskreis Temeswar-Karlsruhe und hier haben wir viele Mitglieder, die im Banat geboren, aufgewachsen und dann nach Karlsruhe gekommen sind. Wir treffen uns mehrmals pro Jahr mit mehreren Hunderten Banatern, wir arbeiten zusammen und wir haben auch ein traditionsreiches Fest, mit Traditionen aus dem Banat, die mit nach Karlsruhe gebracht worden sind.

Sie haben Klaus Johannis und Hermannstadt erwähnt. Temeswar bewirbt sich ja auch um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt”…

Und wir unterstützen das, so viel wir nur können! Ich habe vor zehn Jahren mein Herz hier in Temeswar verloren, davor war es in Hermannstadt, wo ich Mitbegründer einer Augenklinik bin. Ich habe seitdem die Entwicklung in Rumänien, in Hermannstadt und in Temeswar verfolgt.

Welche Stärken hat Temeswar in dem Kampf um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt”?

Temeswar hat eine Entwicklung, die ganz fantastisch ist, nicht nur vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt her. Man betrachte allein die Stadtentwicklung, wie die Innenstadt vor zehn Jahren war und wie sie heute aussieht. Die Stadt hat auch ein ausgeprägtes Kulturleben, was ich als sehr wichtig empfinde. Wir sitzen heute hier und feiern die Lenau-Schule mit zwei Nobelpreisträgern. Ich denke, dass Temeswar richtig gute Möglichkeiten hat, und wir unterstützen das, so gut wir können aus Karlsruhe.

Temeswar hat bestimmt auch seine Schwächen. Wo gäbe es denn Nachholbedarf?

Für die Kandidatur selbst ist es wichtig, dass man eine eindeutige Vision hat. Karlsruhe hat sich 2010 als Europäische Kulturhauptstadt beworben, aber wir haben diese Ehre nicht bekommen. Temeswar braucht ein deutliches Projekt, eine deutliche Vision und, was sehr wichtig ist: Dass es nicht eine kleine Elite ist, die sich dafür interessiert, dass Temeswar den Titel bekommt, sondern dass man auch die breite Bevölkerung miteinbezieht.

Wie könnten sich die Kulturkontakte zwischen den beiden Städten intensivieren?

Wir haben regelmäßig Theatervorstellungen aus Temeswar in Karlsruhe. Regelmäßig kommen auch Künstler aus Karlsruhe nach Temeswar. In dem Freundeskreis versuchen wir, den kulturellen Austausche so gut wie möglich zu intensivieren. Wir haben in Karlsruhe ein Gebäude, wo wir viele Ateliermöglichkeiten haben, und ich hoffe, dass wir Künstler aus Temeswar, die ein paar Monate in Karlsruhe leben und die Ateliers dort benutzen sollen, einladen können. Eine Art permanente Kunstausstellung von unserer Partnerstadt in Karlsruhe sollte sich etablieren.

Wie sehen Sie die Lösung für das Problem der streunenden Hunde in Temeswar?

Sie wissen wahrscheinlich, dass wir in Karlsruhe gesagt haben, dass man ehrlich gegenüber seinen Partnern sein soll und nicht nur Festreden halten soll. Wir haben ein Projekt mit den Politikern hier in Temeswar entwickelt, ein Hundekastrationsprojekt. Ich habe auch die verschiedenen Stellen in Temeswar besucht, wo Straßenhunde gehalten werden. Gemeinsam mit den Tierheimen in Karlsruhe, mit der ehemaligen Bürgermeisterin Salisch und mit meiner Schule, wo wir ein großes Fest gehabt haben, haben wir Gelder eingesammelt. Wenn Bürgermeister Nicolae Robu in Kürze nach Karlsruhe kommt, ist unsere Intention, dass die zwei Oberbürgermeister eine Partnerverabredung unterschreiben und wir das Kastrationsprojekt für die Straßenhunde durchführen.

Welche Frage hätten Sie von mir erwartet, die ich Ihnen jedoch nicht gestellt habe?

Ich habe eigentlich gedacht, dass Sie mich auch zur Bildungssituation befragen. Wie es ist, dass viele Rumänen nach anderen europäischen Ländern auswandern. Hier habe ich eine positive Entwicklung wahrgenommen. Lange Zeit, in diesen 20 Jahren, wo ich mit Rumänien zusammengearbeitet habe – und ich sage das, so höflich ich kann – war der Wunsch von jungen Menschen, weg von Rumänien zu kommen. Man wollte gern in anderen Ländern sein. Auch in Karlsruhe leben viele Rumänen. Aber so ist es nicht mehr. Viele junge Rumänen – besonders in einer Stadt wie Temeswar, wo man nahezu keine Arbeitslosigkeit hat – kommen zurück aus Europa oder wollen sich hier eine Zukunft aufbauen und aktiv bei der Entwicklung Temeswars mitwirken. Das ist eine neue Entwicklung, dass sich die junge Generation mit diesem Land identifiziert. Noch einmal sage ich das höflich. Rumänien hat nicht immer einen guten Ruf im Ausland. Deswegen ist es wichtig, dass wir, die wir Rumänien kennen, gut über Rumänien sprechen. Und wenn wir Leute treffen, die Schlechtes über Rumänien sagen, müssen wir entgegnen:  „Nee, da gibt es auch ein anderes Temeswar, ein anderes Rumänien”. Sie sind selbst eine junge Journalistin. Sie leben und arbeiten hier und ich bin überzeugt, dass Sie sich über Temeswar und ihre Identität freuen. Gerade dieses Gefühl müssen wir von außen unterstützen.