Temeswar, die Kulturhauptstadt: ein Jahrmarkt der Eitelkeit

Kulissenkämpfe werden nun offen ausgetragen, mehr Bürokratie ist die Lösung

Simona Neumann und Bürgermeister Nicolae Robu. Zu den Widersachern der Vereinsleiterin zählen der Universitätsprofessor Bazil Popovici, früherer rumänischer Konsul in Marseille, und Marcel Tolcea, ebenfalls Universitätsprofessor und ehemaliger Intendant des Banater Kunstmuseums. Gegenwärtiger Museumsdirektor ist Simona Neumanns Ehegatte, Victor Neumann, der auch jenem Gremium angehört, der für die Kontrolle der Tätigkeit von Simona Neumann zuständig ist.

Die altehrwürdige k. u. k. Stadtkommandantur auf dem Freiheitsplatz/Piaţa Libertăţii: Hier soll das neu zu gründende Museum der Revolution von 1989 untergebracht werden, doch die Chancen, dass das Museum noch vor dem 30-jährigen Revolutionsjubiläum 2019 eröffnet werden kann, sind gering.
Fotos: Zoltán Pázmány

2016 wurde die Stadt Temeswar zur Europäischen Kulturhauptstadt für das Jahr 2021 gewählt, den Titel wird sie sich mit der serbischen Stadt Neusatz/Novi Sad und einem knapp 30.000 Einwohner zählenden Vorort von Athen, Elefsina, dem altertümlichen Eleusis mit seinen Mysterien, teilen. An der Bega sind sich alle einig, dass die Stadt mit der Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt die größte Chance bekommen hat, die sich ihr nach 1989 bieten konnte, und dass es eine weitere nicht so schnell geben wird. Dass sich nun die Möglichkeit bietet, Temeswar zu einer in Ostmitteleuropa lebenswerten Stadt zu machen, ihren Bekanntheitsgrad deutlich zu erhöhen und Voraussetzungen für ein nachhaltiges, gesundes Wachstum zu schaffen. Ein bisschen nur, so hoffte zumindest einer der Teilnehmer der offenen Gesprächsrunden von 2011, die die Temeswarer Kandidatur vorbereiteten, sollte Temeswar wie Linz werden. Oder wie Graz, zwei ehemalige Kulturhauptstädte, aus deren Beispiel und Erfahrung man durchaus Schlüsse ziehen könnte.

Es kommt jedoch anders. Denn viel weiter als 2016 scheint man inzwischen nicht zu sein. Immer mehr Beobachter der Temeswarer Polit- und Kunstszene begreifen allmählich, dass der Stadt die Zeit davonläuft und man aus dem Stadium des Wunschdenkens nur schwer herauskommt. Vor allem die entflammten Diskussionen der letzten Wochen haben das eindeutig bewiesen, einige der ehemaligen Enthusiasten scheinen sich nun zumindest vorübergehend aus dem Projekt zurückzuziehen. Denn das Ganze erinnert an eine lächerliche Provinzposse, an einen Jahrmarkt der Eitelkeit, der wahrscheinlich dem einen oder anderen nützt, aber der Stadt sicherlich schadet.

Mit Simona Neumann an der Spitze konnte der Kulturhauptstadt-Verein die Temeswarer Kandidatur erfolgreich zum Abschluss bringen, Neumanns Verdienst kann und darf nicht geleugnet werden. Sie soll, so ein mit dem Kulturleben der Stadt bestens vertrauter Insider dieser Zeitung gegenüber, über alle Fähigkeiten verfügt haben, die damals, in der Etappe der Vorbereitung, essenziell waren. Deshalb hat sich Temeswar letztendlich gegen Klausenburg behaupten können, obzwar die siebenbürgische Großstadt mehr Kapital in das Vorhaben investiert hatte. Neumann und ihr Team sollen besser verstanden haben, worum es den Experten der Europäischen Kommission ging, und gerade darauf legten sie in der Präsentation der Temeswarer Kandidatur den allerhöchsten Wert.

Seit September 2016 soll es allerdings im Kulturhauptstadt-Verein und um ihn herum gebrodelt haben, viele Temeswarer Intellektuelle protestierten, zunächst im Verborgenen und dann immer lauter, gegen den Führungsstil der Vereinsleiterin und gegen einige ihrer Entscheidungen. Kritik wird vor allem an Chris Torch geübt, dem künstlerischen Leiter des Kulturhauptstadt-Vereins, aber auch an der mangelhaften Kommunikation. Das Kulturhauptstadt-Projekt sei kaum bekannt, selbst die Temeswarer wissen noch wenig bis gar nichts darüber, ganz zu schweigen, dass weder in Rumänien noch im Ausland überhaupt etwas davon zu hören war. Ein Exempel: Das Eröffnungsevent der zweijährigen Start-Up-Phase des Projekts (2017– 2018), der von Chris Torch organisierte Auftritt der schwedischen Künstlertruppe „Circus Cirkör“ Ende 2017 in der Olympia-Halle, soll ein Fiasko gewesen sein: Viele Bürger dachten, sie würden einen klassischen Zirkus erleben und sind mit kleinen Kindern hingegangen.

Dabei ging es unter anderem um Flüchtlinge und Internierungslager. Man hatte es versäumt, den Temeswarern richtig und zeitgerecht zu erklären, dass es sich bei der schwedischen Truppe nicht um Clowns, Tigerdressuren und Akrobatik-Nummern handelt, sondern um angebliche Gegenwartskunst.

Auch gibt es im Verein Probleme mit der Tatsache, dass Simona Neumanns Ehemann, der Universitätsprofessor und Direktor des Banater Kunstmuseums, Victor Neumann, in einem Gremium des Vereins sitzt, der die Direktorin, seine Gattin, kontrollieren muss. In den Augen vieler, auch des Bürgermeisters, ein eindeutiger Interessenkonflikt.

Und weil Neumanns Kritiker Bürgermeister Nicolae Robu über die Missstände im Verein informiert hatten, sah sich dieser unter Zugzwang geraten und griff auf seine laute, manchmal etwas unbedacht wirkende Art ein. Über Facebook legte er zunächst einmal die Finanzierungsquellen des Kulturhauptstadt-Vereins offen. In der Tat, es ist nicht gut um das Vorhaben bestellt, es fehlt an Geld. 1,6 Millionen Euro allein im vergangenen Jahr. Die Stadt Temeswar hat zwar den Verein finanziert, aus der Wirtschaft kam aber so gut wie gar nichts und auch die Regierung in Bukarest scheint noch keinen Wert auf die Kulturhauptstadt Temeswar zu legen. Klar ist, dass die Stadt viel Geld braucht und dass bisher kostbare Zeit versäumt worden ist. Eine Akquise-Strategie gibt es anscheinend nicht und sollte es sie doch geben, ist sie bislang erfolglos. Das Kulturhauptstadt-Projekt hängt an den Mitteln des Rathauses, das in den kommenden Jahren hohe Summen locker machen muss, wenn aus dem Jahr 2021 doch noch etwas werden soll.

Dass dies so ist, geht ohne Zweifel aus der Liste der Investitionen und Projekte hervor, die die Stadt Temeswar in Brüssel vorgelegt hat und die schon umgesetzt hätte sein müssen. Geschehen ist, wie erwartet, nichts. Große Schuld trägt das Bürgermeisteramt selbst, denn vieles auf der Liste kann und muss nicht vom Verein erledigt werden, sondern von der Stadtverwaltung. Beispiel Nr. 1: Die Errichtung eines Zentrums für Kunst, Technologie und Experimente, das 2020 eröffnet werden soll. Kein Spatenstich ist bislang erfolgt. Beispiel Nr. 2: Die Errichtung eines neuen Spielsaals für das Deutsche Staatstheater, Termin: 2018. Nichts ist geschehen, Bürgermeister Robu hat sich mit dem erfolgreichen DSTT-Intendanten gestritten, ihn kurzerhand abgesetzt und auch noch die beleidigte Leberwurst gespielt. Drittes Beispiel: Ein Kulturzentrum im ehemaligen Spital der Barmherzigen Brüder, das 2017 fertig sein sollte. Viertes und fünftes Beispiel: Die Sanierung der Innenstädter Synagoge und der Hauptfassade der Nationaloper, Fertigstellungstermin 2018 – vielleicht werden die Arbeiten heuer beginnen, die Schuld schiebt Robu dem Kulturministerium und der Landeskommission für Denkmalschutz in die Schuhe. Beispiel Nr. 6: Das Revolutionsmuseum in der ehemaligen Stadtkommandantur. 2018 sollte auch dieses eröffnet werden. Ein weiterer Wunschtraum. Insgesamt 19 solcher Vorhaben listet die Lokalpresse auf, entnommen sind sie dem offiziellen Kandidaturpapier von Temeswar. Keines ist in Angriff genommen worden.

Und während Temeswars Künstler, Intellektuelle, Großunternehmer und Journalisten über das Schicksal der Vereinsleiterin streiten und Argumente für und gegen ihre Absetzung zusammentragen, während sie sich gegenseitig beschuldigen, verborgene Interessen zu verfolgen, und sich bereits mehrere Schlammschlachten geliefert haben, versucht Bürgermeister Robu der Sache Herr zu werden. Wie? Über Facebook und WhatsApp. Und über neue Kommissionen, Räte und Ausschüsse, die er demnächst gründen will. Ein Ethikrat, eine Kommission für interinstitutionelle Zusammenarbeit und ein Beraterausschuss sollen dem Bürgermeisteramt und dem Kulturhauptstadt-Verein helfen. Dann soll es halbjährliche Berichte, Satzungsänderungen und weitere Maßnahmen geben, die das Projekt sicherlich vorantreiben werden. Sie werden es zweifelsohne nicht. Dass die Lösung nur mit einem Plus an Bürokratie herbeigeführt werden kann, das ist ein, zugegeben, neuer Ansatz. Ein Neustart sozusagen.

Anfang 2018, mehr als zweieinhalb Jahre vor dem Start des Kulturhauptstadt-Jahres, ist die Zwischenbilanz in Temeswar eher unbefriedigend. Für die Robu-Administration und für die gegenwärtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten der Stadt Temeswar wäre ein erfolgloses Jahr 2021 eine herbe Niederlage. Allein zum Zweck der Vermeidung größerer Enttäuschungen müsste man sich so langsam daran gewöhnen.