Temeswarer Industriegebäude verschwinden

Die ehemalige Hutfabrik soll abgerissen werden

Die Industriearchitektur wird durch die Stadtentwicklung aus der Landschaft beseitigt. Foto: Zoltán Pázmány

Der Reihe nach verschwinden die ehemaligen Industriegebäude aus Temeswar/Timișoara. Entweder sind es bankrott gegangene Betriebe oder sie haben ihre Produktionsstätten außerhalb der Stadt verlagert, es sind verlassene und sanierungsbedürftige Hallen. Diese Bauten und deren Geschichte bleiben künftig bloß in Geschichtsbüchern und auf alten Fotografien. An deren Stelle entstehen hingegen moderne Büro- und Wohngebäude.

Die ehemalige Hutfabrik von Temeswar „Paltim“ wird demnächst ebenfalls Geschichte. Das Gebäude soll abgerissen werden und Platz für einen neuen Wohnkomplex machen. Die Ankündigung machte der Vorsitzende des Kulturvereins „Salvați Patrimoniul Timișoarei“ (Rettet das Erbe Temeswars), Ilie Sîrbu. „Derzeit steht der Bebauungsplan (PUZ) zur öffentlichen Debatte offen. Die ehemalige Hutfabrik wird abgerissen – allein das historische Gebäude, das einst die Büroräume der Fabrik beherbergt hat und das unter Denkmalschutz steht, soll noch erhalten bleiben“, sagte Ilie Sîrbu.

Die gesamte Gegend des Nordbahnhofs soll sich demnächst verändern. Auf dem ehemaligen Electrometal-Gelände gegenüber von der Jiul-Eisenbahnunterführung, in der Circumvala]iunii-Straße, erhebt sich seit einigen Jahren der Wohnkomplex „City Of Mara“. Auch die ehemalige Schuhfabrik „Banatul“ wurde komplett abgerissen, wobei an deren Stelle ebenfalls eine Wohnsiedlung entstehen soll. Aus der Industrielandschaft der Stadt sind im Laufe der Jahre alte Traditionsfabriken wie die Milchfabrik, Fructus und Bega-Pam, ILSA, Kandia oder die Strumpffabrik beseitigt worden. Der letztere Bau ermöglichte aber ein interessantes Projekt: Die Mauern der alten Strumpffabrik wurden bei der Neugestaltung 2015 beibehalten, saniert und in ein neues Architekturkonzept integriert. Vom 700er Marktplatz ist vor mehreren Jahren der Konfektionsbetrieb „Modatim“ verschwunden. An seiner Stelle entstand das Bürogebäude City Business Center.

„Wir können uns der Stadtentwicklung nicht widersetzen. Wir, als Verein, wussten schon von Anfang an, dass zahlreiche Industriegebäude mit der Zeit verschwinden werden. Es ist jedoch schade, dass die Immobilienentwickler nicht versuchen, die alten Geschichten und Ansichten der Stadt in ihre Projekte zu integrieren“, sagt Ilie Sîrbu.

Die Hutfabrik „Paltim“ in der Josefstadt/Iosefin wurde etwa in den Jahren 1882 bis 1899 errichtet – die Quellen in Bezug auf das Gründungsjahr variieren. Das Gründungskapital betrug 1,5 Millionen Kronen, wobei es dem Gründer der Firma „Paltim“, Philip Lenstein, gelang, 600.000 Kronen österreichisches Kapital der Unternehmer Faller, Pieck und Riecken heranzuziehen. Dies war die erste Fabrik ihrer Art im Südosten Europas. Die Kopfbedeckungen, die im Werk in der Nicolae-Titulescu-Uferstraße Nr. 5 hergestellt wurden, wurden europaweit vermarktet; sie wurden aber auch nach Nord- und Südamerika exportiert. Während des Ersten Weltkriegs fertigte die Temeswarer Hutfabrik Hüte und Stiefel für das österreichisch-ungarische Militär. Zur ursprünglichen Produktpalette kamen 1952, nach Investitionen, zivile und militärische Barette hinzu. Die Fabrik war die einzige in Rumänien, die diese Produkte herstellte. 1948 wurde das Unternehmen verstaatlicht, ging aber 1990 wieder in Privateigentum über. Die Produktion hier wurde Ende 1996 eingestellt, aber im April 1997 wieder aufgenommen.

2006 wurden über 60 Prozent der Unternehmensanteile von SC „Romarta” SA aus Bukarest übernommen. Im selben Jahr wurde auch der letzte Hut produziert, bevor die letzten 140 Arbeiter die Fabrik im folgenden Jahr verlassen mussten. Zuletzt erzeugte die Fabrik Hüte und Mützen aus Wolle, Baumwolle und Kaninchenfell, zivile und militärische Barette, Hüte aus Thermoplast, Handschuhe und Schals aus verschiedenen Geweben. Später folgte die Übernahme durch einen amerikanischen Immobilien-Investmentfonds. Heute wird die Fabrik von Künstlern als Atelier und Begegnungsstätte genutzt. Im Gebäude und im Hof der ehemaligen Hutfabrik sind heute u. a. Fitness- und Tanzstudios sowie ein Kletterclub, der Rockclub Daos, das Kulturcafé „Ambasada“ und das Forumstheater „Basca“ untergebracht.