„Unsere Sprache ist goldener Honig“ und „Faustbook“

Veranstaltungen zum Welttag des Buches 2015 in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest

Jan Koneffke (links)und Vlad Zografi im Gespräch

Das jugendliche Publikum im Goethe-Institut

Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ in rumänischer Übersetzung

An diesem herrlich sonnigen und frühlingshaften Nachmittag des 23. April präsentierte sich das Goethe-Institut Bukarest in seiner neuen Bibliothek gleich mit zwei Veranstaltungen anlässlich des von der Unesco initiierten Welttags des Buches. In Zusammenarbeit mit dem Institut Français, der Städtischen Bibliothek Bukarest und der Rumänischen Nationalbibliothek, die parallel ebenfalls Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten anboten, wandte sich das Goethe-Institut besonders an seine jugendlichen, aber auch an alle anderen Literaturbegeisterten.

Und die folgten der Einladung trotz lockenden Sonnenscheins und ungewöhnlichem Termin in überraschend großer Zahl. Immerhin flimmerten an der Fotowand im Hintergrund die alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus Baltschik, der heute in Bulgarien gelegenen Sommerfrische vieler Rumänen, mit seiner üppigen mediterranen Vegetation und seinem damals noch spürbaren orientalischen Flair.

Unter dem Titel „Unsere Sprache ist goldener Honig“, einem Zitat aus „Die sieben Leben des Felix Kannmacher“ von Jan Koneffke, las und erläuterte der Autor im Zwiegespräch mit seinem Freund, dem Dramatiker und Schriftsteller Vlad Zografi, einige Passagen aus diesem Roman. Die beiden haben schon manche Medienschlacht gemeinsam geschlagen, wobei es sicher hilfreich ist, dass Jan Koneffke, verheiratet mit einer Rumänin, der Landessprache mächtig ist, und Vlad Zografi die rumänische Übersetzung (2013) des Romans von Ana Popa redaktionell begleitet hat.

Die Lesungen erfolgen abwechselnd bald auf Deutsch, bald auf Rumänisch, wobei die jeweilige Übersetzung auf dem Bildschirm im Hintergrund eingeblendet wird. Mitunter recht ausführlich geraten die Ausführungen und Fragen von Vlad Zografi, die um die Struktur des Buches kreisen, der Stellung der Religion im Roman, wie sie in der Figur des jüdischen Kasinobesitzers Slumowitz aufgeworfen wird mit seinem janusköpfigen Gott des „Massels und Schlamassels“ oder um die historische Authentizität der Romanfiguren.

Manche Fragen von Vlad Zografi lassen sich auch mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. So ist der Dirigent Furtwängler kein Vorbild für die Figur Victor Marcu. Um eine Frage zu dem Stellenwert des Humors in seinem Roman zu stellen, bemüht Zografi einen jener klischeebeladenen Witze über die Europäer im Himmel, respektive in der Hölle. Letztlich läuft es meist darauf hinaus, dass der Deutsche zwar gut organisieren kann (Himmel), aber eben keinen Humor hat (Hölle).

Dass dies zumindest bei Koneffke nicht der Fall ist, belegt Zografi mit der Lesung des Kapitels, in dem Kannmacher von einem Arzt die Finger gebrochen werden in dem vergeblichen Bemühen, sie wieder zu richten, wobei der sich eines drolligen Deutsch bedient: „kaputt - bankrott total“. Wie ihm die eigene Geschichte, die er ja selbst erzählt, unwahrscheinlich vorkommt, so schwingt im Nachhinein bei manchen selbst grausamen Geschichten etwas wie Homerisches Gelächter mit. Denn dies seien Momente wie im Theater, erklärt Koneffke, wenn sich die Spannung ins Unerträgliche steigert, kann ein Gelächter befreiend wirken. Will heißen, dass in jeder Tragödie ja auch ein Moment der Komödie mitschwingt, wie auch umgekehrt in der Komödie ein Kern der Tragödie enthalten ist. Besonders ausführlich widmen sie sich jedoch dem Komplex des historischen Hintergrunds des Romans.

Die nostalgischen Bilder, die hier gezeigt werden, aus dem Baltschik der 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, finden ihre Erklärung in der Lesung aus dem ersten Kapitel des Buches. Hierin hat es den Protagonisten Felix Kannmacher alias Johann Gottwald verschlagen, der unter der falschen Identität eines Siebenbürger Sachsen aus Kronstadt der dreizehnjährigen Tochter Virginia des berühmten Pianisten Victor Marcu als Hauslehrer, Kindermädchen und Geschichtenerzähler dient. Felix befindet sich auf der Flucht vor den Nazis, da er in Berlin in die Razzia eines jüdischen Lokals geraten ist und nur durch die Intervention Victor Marcus, der ihn somit unter seine Fittiche nimmt, zunächst nach Bukarest und dann auch nach Baltschik entweichen kann.

Zur Tarnung, doch nicht ohne Eigennutz beschäftigt Marcu Felix nun als Erzieher seiner Tochter, die launisch und verwöhnt instinktiv die Situation ausnutzt und den wehrlosen Felix alias Johann schikaniert und dennoch nicht umhin kann, von ihm unablässig Geschichten zu fordern. Ähnlich einer männlichen Scheherazade erzählt Kannmacher um sein Leben, so Koneffke über ein Strukturelement dieser Anfangskapitel. Selbstredend, dass das Geschichtenerzählen wie in 1001 Nacht, wenn auch nicht unmittelbar, so doch später, unausweichlich eine Liebesgeschichte zwischen Felix und Virginia aufkeimen lässt. Dies ist jedoch nicht die einzige Rolle, die die eingestreuten Geschichten für die fortlaufende Handlung spielen, wie Koneffke Zografi auf seine spätere Frage hin erklärt.

Gleichzeitig spiegeln sie die Entwicklung der Figur, die, von der pommerschen Küste stammend, eher wortkarg, hier an der Schwelle von Orient zu Okzident zum Erzähler wird, was auch dem gealterten Felix hilft, seine eigene Geschichte wiederzugeben. Die Erzählungen bremsen den Erzählfluss, sagen dabei auch durchaus etwas über die jeweilige Gegenwart, d. h. Gegenwart und Geschichte spiegeln einander bzw. sind miteinander verzahnt und bieten gleichzeitig eine Flucht aus der Zeit, die für die Protagonisten bedrückend ist.

Dem orientalischen Zauber von Baltschik wie auch der detailreichen Schilderung des damals recht unbeschwerten Lebens der Boheme hat sich Koneffke auf Nachfrage von Vlad Zografi durch zeitgenössische Schilderungen genähert. So fand er z. B. die Tagebücher aus den Jahren 1935–1944 von Mihail Sebastian sehr hilfreich, ebenso die alten Fotografien der Königin Maria oder die Bilder der rumänischen Malerschule, die hier ihre Inspiration fanden. Aber auch ein persönlicher Besuch, wie er durch eigene Aufnahmen aus dem Jahr 2007 belegt, wo hier und dort auch außerhalb des berühmten Botanischen Gartens noch die alte Pracht zu spüren ist, sei es bei einigen noch traditionellen Häusern, sei es in den Ruinen der zerfallenden venezianischen Villa Storck, hat wesentlich dazu beigetragen, sich in die damalige Zeit zu versetzen. Wichtig ist ihm bei der Schaffung seiner Prosa, dass auch die Alltagsgeschichte und die herrschende Stimmung zum Zuge kommen. Deshalb das Recherchieren in Antiquariaten, die Hinzuziehung von Zeitzeugen, Karten und Bildern, bis ihm diese Welt so geläufig erscheint, dass er diese Zeit selber lebt und somit seine Figuren sich darin mühelos bewegen können.

Ganz ähnlich fällt die Antwort auf die Frage nach der authentischen Schilderung des Bukarests jener Jahre aus, in dem sich Kannmacher nach einer Auseinandersetzung mit dem eifersüchtigen Vater Marcu schließlich mittellos wiederfindet. Allerdings kommen hier noch zwei Aspekte hinzu. Koneffke zeigt sich fasziniert von der nostalgischen Verklärung der Zwischenkriegszeit in Rumänien vor allem in den späten 90ern. War dies ein Ausdruck von Verzweiflung mit den existierenden Verhältnissen oder lag darin ein Hoffnungsschimmer, der in einen inneren Antrieb zur Veränderung münden kann? Seine Beschäftigung über einen Zeitraum von 10 Jahren mit dieser Epoche ließ ihn glauben, dass dieser Mythos ein sehr realer Mythos war. Real insofern, als sich das Rumänien der Zwischenkriegszeit tatsächlich auf der Schwelle zur Modernisierung befand, einem Modernisierungsprozess, der leider dann brutal durch den Zweiten Weltkrieg und auch danach durch die kommunistische Ära abgebrochen wurde.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf das innere Erleben des Felix Kannmacher, der sich nun allein, schutzlos in einer ihm unbekannten Stadt befindet. Hier fließen eigene autobiografische Züge ein, da Koneffke selbst sich bei seinem Besuch 1998 gefühlsmäßig in einer ähnlichen Situation befand. An dieser Stelle wird ein weiteres Pseudonym gelüftet. Kannmacher entspricht dem polnischen Koneffke, wenn auch weitestgehend fiktiv, verarbeitet er die eigene Biografie und Familiengeschichte in einer Trilogie.

Der erste Band, „Eine nie vergessene Geschichte“, spielt in Pommern und dreht sich um den real 1933/34 verschwundenen Onkel, hier im Band zwei erdichtet er diesem Onkel eine Biografie in Rumänien, womit er gewissermaßen nicht nur ihm, sondern auch sich selbst ein Leben erfunden habe. Der dritte Teil der Trilogie wird wieder in Deutschland spielen – so die Auskunft des Autors nach der Lesung – und wird unter dem Titel „Ein Sonntagskind“ im Herbst 2015 erscheinen. Als Hauptfigur wird dann Konrad, der Sohn Ludwigs, d. h. Felix’ Neffe erscheinen und somit die Geschichte der Nachkriegsgeneration der Familie Kannmacher behandelt werden. Aber Rumänien wird auch in Zukunft im Fokus des Autors bleiben, versichert er, vielleicht wird dabei die Zeit nach 1989 eine entscheidende Rolle spielen. Die Verschränkung von Persönlichem und Fiktivem scheint dabei einen Teil der Motivation des Autors auszumachen.

Trotz einiger eher theoretischen Ausführungen verfolgten auch die jugendlichen Zuhörer den Dialog auf der Bühne recht angetan. Dass Jan Koneffke und sein Gesprächspartner Vlad Zografi  sie zum Lesen animieren konnten, zeigen die Anfragen nach der Veranstaltung, da einige am liebsten vor Ort ein Exemplar des besprochenen Buches erwerben wollten.

Faustbook. Aktuelle Buch-Covers

Ob die nächste Aktion zu Ehren des Buches, „Faustbook. Aktuelle Buch-Cover für klassische deutschsprachige Autoren in der Vision von Julien Britnic“, ebenso von Erfolg gekrönt sein wird, muss sich noch erweisen. Vorgestellt wurde Julien Britnic, der im Anschluss seine Inspirationen zu den Covern erläuterte, durch Christa Ganterer, stellvertretende Institutsleitung und Leitung der Sprachabteilung, die darauf hinwies, dass diese Ausstellung noch bis zum 8. Mai in Bukarest zu sehen sei , wonach sie weiter, zunächst nach Temeswar und danach hoffentlich auch noch in weitere rumänische Städte wandere.
Die ursprüngliche Idee entwickelte Julien Britnic vor zwei Jahren für klassische rumänische Werke im Auftrag von „Remixt Books“. D

iese Idee gefiel dem Goethe-Institut so gut, dass man ihn bat, entsprechendes für deutsche Klassiker in rumänischer Übersetzung zu entwerfen. Nun prangen hier also 15 Klassiker von Goethes „Faust“ bis zu Fontanes „Effi Briest“ oder Lessings „Nathan der Weise“ in ihrem neuen Gewand. Der „Radetzkymarsch“ von Joseph Roth mutiert auf dem Cover nun zum „Gangnam Style“, die „Metamorphosen(dt: die Verwandlung)“ von Kafka, man kann es raten, sind nun „Transformers“, und in die Rolle des Nathan schlüpft Yoda aus „Star Wars“. Allein das Cover für Effi Briest ist nicht ganz so leicht zu deuten. Zwar prangt hier der Schriftzug „Desperate Housewives“, aber zu sehen ist Emma Thompson als Nanny McPhee oder Effie Gray? Immerhin haben im Netz, wo diese Cover auch zu finden sind, die User die Neugestaltung des Faust als Geist-Icon, der sich via eBay verkauft, glatt so ernst genommen, dass sie versuchten, selbiges zu ersteigern.

Die Bücher, die diese Cover zieren, sind leer, stattdessen werden hier drei Fragen gestellt, von deren Beantwortung die Veranstalter sich Aufschluss über das Leseverhalten rumänischer Jugendlicher erhoffen. Als Beispiel: „Bitte beantworten Sie kreativ mindestens eine der folgenden Fragen. Dies kann mit Worten, Symbolen und/oder Zeichnungen geschehen. Bitte fangen Sie für Ihre Antworten eine neue Seite an.

1. Warum soll man noch klassische Literatur lesen?
2. Welche Verbindung sehen Sie zwischen Cover und Titel des Buches?
3. Welche gedanklichen Assoziationen haben Sie zu dem Titel „Radetzkymarsch?“

Ferner wurde in diesem Sinne ein Wissenstest durchgeführt, bei dem die Schüler den zum Titel passenden Autor nennen sollten und der bereits großen Anklang gefunden hat. Dem Gedanken der lebendigen Bibliothek wurde zumindest an diesem Nachmittag voll entsprochen, und zu hoffen bleibt, dass sich zumindest die ausgestellten Bücher rasch kreativ füllen.

Die Ausstellung ist bis zum 8.Mai in der Bibliothek des Goethe-Instituts (Str. Tudor Arghezi 8-10) zu sehen.