Urlaub am Rande der Gesellschaft

Ein Besuch im „Gypsie Hostel“ in Mureș

Alltag im Hause Gabor: Klara malt mit ihrer kleinen Tochter.

Roma-Chic: Gäste nächtigen in traditionell bunt eingerichteten Räumen.

Freitags ist der Markt in Bălăușeri, circa 15 Minuten von Vălenii entfernt, einen Besuch wert.

Im idyllischen Dorf Vălenii empfängt Familie Gabor Gäste. Circa 20 Prozent der Bevölkerung hier sind Roma, der Großteil des Dorfes ist ungarisch.
Fotos: die Verfasserin

„Sitzen ein Deutscher, ein Franzose, ein Rumäne und ein Zigeuner im Flugzeug. Der Deutsche nimmt ein Bier, trinkt einen Schluck und wirft es aus dem Fenster. Der Franzose nimmt ein Baguette. Er beißt einmal ab und wirft es aus dem Fenster. ‚Warum werft ihr die Sachen aus dem Fenster?‘, fragt der Rumäne. Die beiden antworten: ‚Wir haben genug davon.‘ Der Rumäne sagt: ‚Ach so!‘, nimmt den Zigeuner und wirft ihn aus dem Fenster.“ Margret schaut erwartungsvoll in die Runde, spielt mit der Schleife der roten Bänder in ihren langen Zöpfen. Zurückhaltendes Lachen und betroffene Blicke sind die Resonanz auf den Witz, der das Lebensgefühl der rumänischen Roma zynisch auf den Punkt bringt. Margret grinst, sie hat diese Reaktionen wohl erwartet, schließlich ist die junge Romni seit Jahren eine Vermittlerin zwischen den Kulturen, zwischen Gästen aus aller Welt und ihrer Roma-Familie.

In Vălenii, einem zum größten Teil ungarischen Dorf zwischen Schäßburg/Sighișoara und Neumarkt/Târgu Mureș, wird die Begegnung möglich. Die Familie Gabor unterhält hier ein kleines Hostel, bietet verschiedene Aktivitäten an, kocht auf Anfrage und empfängt Tagesgäste auf der Durchreise zu Kaffee und Kuchen. Das Hostel ist auf Backpacker und Reisende mit geringem Budget ausgelegt, für eine Übernachtung mit Frühstück fallen 35 Lei an. Es ist schlicht, aber gemütlich, bietet den Reisenden Frühstück, Plumpsklo und eine von der Sonne erwärmte Dusche. „Wir wollen einer möglichst großen Bandbreite von Gästen die Möglichkeit geben, hier Erlebnisse zu sammeln.“, erklärt der Initiator Chuck Todaro. Er möchte die Menschen ermutigen, mit den Roma in Kontakt zu treten, über sie zu lernen und damit das Verständnis zwischen den Kulturen fördern. „Wir sagen den Gästen nicht, was sie denken sollen. Wir zeigen einfach das ganz normale Leben hier.“ Viele Gäste kommen nur für wenige Nächte, aber sie bleiben meistens länger als zunächst geplant. „Ein Mädchen wollte nur für ein Wochenende kommen und ist einen ganzen Monat geblieben!“, erinnert sich Margret, die jüngste Gabor-Tochter, lachend.

Zu Gast in der obersten Kaste

Die Familie Gabor, das sind der Partiarch des Hauses, Gabi Gabor, mit seiner Mutter und seiner Frau Gizi und ihre Kinder, die erwachsene Tochter Klara mit ihren zwei kleinen Kindern, die 14-jährige Margret und der 11-jährige Gabi. Während der Familienvater seinen Berufen als Automechaniker, als Polizist und dem Familienhandwerk, der Schmiedekunst, nachgeht, kümmern sich die Frauen um Haus und Hof und betreuen die Gäste. Die Kinder tollen sorglos durch das stetige Treiben im Gabor-Haushalt, zumindest bis die Schule nach den Sommerferien wieder beginnt. Die Gabors in Vălenii gehören zu der recht großen Familie der Gabors, die sich in der ersten Kaste der Roma befinden. Das strenge Kastensystem findet seinen Ursprung in der indischen Herkunft der Țigani, wie sich die Gabors selbst bezeichnen. „Wir haben wenig gemein mit den Vorurteilen, die man so hört“, erklärt Margret. „Wir sind sehr traditionell, sprechen Rrom, haben meistens feste Berufe und stehlen und betteln nicht.“ Natürlich gebe es kriminelle Țigani, aber die seien so gut wie nie aus der oberen Kaste. Über die Kasten, die Sprache, die Kleidung und viele weitere kulturelle Besonderheiten können die Gäste im „Lernzentrum“ erfahren. In einer Ecke des Hostels bieten aufschlussreiche Broschüren und vertiefende Literatur Einblicke. Und die Gabor-Töchter, die neben Rrom, Ungarisch und Rumänisch beide exzellentes Englisch sprechen, sind offen für jede Frage. Ob sie das neugierige Nachfragen nicht manchmal nervt? Klaras Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Nein! Dafür ist das Projekt ja da!“

Tzigania ist ein Projekt, das von Chuck Todaro angeregt wurde. Der Italoamerikaner aus New York arbeitete als Journalist in Rumänien und auf dem Balkan und war fasziniert von den Roma, die er in den Straßen und Städten sah. „Sie waren so unerreichbar, eine ganz eigene Welt.“ Durch Kontakte gelangt er in ihre Mitte, freundet sich an, knüpft Bande. „Als Chuck vor zehn Jahren zu uns gekommen ist, wollte er ein Buch schreiben über uns, er hatte dann die Hostel-Idee.“, berichtet Margret. Sie ist mit den Gästen aus aller Welt groß geworden. Seit sechs Jahren nehmen die Gabors Gäste auf, zunächst im eigenen Haus, dann in einem Gästehaus in einer Nebenstraße. Doch auch die Buchidee ist nicht vergessen. „Im Moment bin ich im Gespräch mit New Yorker Verlegern“, berichtet Todaro.

Am anderen Ende der Gesellschaft

Vălenii ist nicht die einzige Station von Tzigania. Auch andere Roma-Gruppen sind in dem Projekt vertreten: Ein Besuch bei einer Familie, die mit traditioneller Roma- und auch anderer Kleidung handelt, ist möglich. „Ich nenne den Laden ‚Candy Store’, er ist so voller Farben und ich kann mich nie beherrschen und kaufe immer viel zu viel!“, lacht Todaro. Es besteht ein Kontakt zu einer Gruppe Musikanten im Umkreis von Neumarkt, bei denen Musikfreunde einen Einblick in die musikalische Welt der Roma erhalten, die auch schon die Folk- und Popmusik inspirierte. Auch eine Roma-Gruppe, die sich auf Korbflechten spezialisiert hat, bietet ihr traditionelles Handwerk als Demonstration oder Kurs an. Ganz besondere Erfahrungen können in Hetea gemacht werden, einem kleinen Dorf in Covasna. Die Roma hier gehören zu den untersten Rängen und erfahren neben der üblichen Ausgrenzung bedingt durch ihre Ethnie sogar Diskriminierung aus den eigenen Reihen. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit Pilzesammeln in den das Dorf umgebenden Wäldern, Familie Racos lädt Gäste ein, dies gemeinsam zu tun. Im einem nahen Dorf soll im kommenden Jahr ein weiteres Hostel seine Pforten öffnen.

Auf den Trampelpfaden und zwischen den improvisiert zusammengebauten Hütten in Hetea wird klar: auch innerhalb der Roma gibt es riesige Unterschiede. Die Gabors in Vălenii leben ein anderes Leben als die Racos in Hetea, sprechen einen anderen Dialekt, kleiden sich anders, haben ein anderes Selbstverständnis, nennen sich anders. „Wir wollen, dass unsere Gäste verstehen, dass es nicht ‚die Roma’ gibt, es gibt viele verschiedene Roma“, merkt Chuck Todaro an. Doch eins haben die meisten Roma gemeinsam: Sie stecken in einem ewigen Teufelskreis. Es ist ein Kreislauf aus Vorurteilen seitens Nicht-Roma, die zur Diskriminierung der Roma führen, welche wiederum zu Benachteiligung und Armut führt, die in einigen Fällen in kriminellen, manchmal jedoch überlebenswichtigen Handlungen resultiert. Dadurch fühlen sich Nicht-Roma in ihren Vorurteilen bestätigt und das ewige Rad von Diskriminierung und Kriminalität dreht sich weiter und weiter.

Das Rad der Diskriminierung anhalten

Das Projekt will dieses Rad anhalten, Gästen Einblick in die verschiedenen Perspektiven geben und Vorurteile durch Erlebnisse und Erfahrungen austauschen. Hier mangelt es Todaro jedoch an Unterstützung. „Ich habe so viele E-Mails geschrieben und Menschen angesprochen, NGOs, Reisebüros, staatliche Programme. Falls sie antworteten, sagten sie: ‚Was ihr macht ist toll, wir rufen euch an!’“, doch der Anruf folgte nie. Er scheint tief enttäuscht. „Es ist der einfachere Teil, mit Roma zusammen zu arbeiten. Der schwierige Teil ist es, Unterstützung und Akzeptanz von außen zu erhalten.“ Er sieht Tzigania als Graswurzelbewegung, ein Projekt, das aus der Gemeinschaft, aus der Basis der Gesellschaft, erwächst. Und auch als pragmatischen Ansatz, die Rumänen und andere Außenstehende von der Wichtigkeit und der Relevanz der Roma zu überzeugen. „Wir wollen wirtschaftliche Argumente bringen: ‚Hier steckt Geld drin, hier könnt ihr profitieren.’“ Und das kleine zusätzliche Einkommen ist den Gastgebern mehr als willkommen. Doch bei aller Initiative und Begeisterung, die sowohl die einzelnen Roma-Gemeinschaften als auch Todaro in das Programm stecken, so richtig abheben will es nicht. „Uns fehlen die Gäste, wenn nur ein Bruchteil der knapp zwei Millionen Touristen in Rumänien zu uns kommen könnten, das würde reichen. Wir müssen an unserer Sichtbarkeit arbeiten.“

Für die Gäste bedeutet ein Aufenthalt an einem oder mehreren Standorten mehr als Entspannung und gute Gesellschaft, es bedeutet, auch vieles zu lernen und sich auf Perspektivwechsel einzulassen. Es bedeutet, sich mit der Realität eines Lebens am Rande der Gesellschaft auseinanderzusetzen und konfrontiert zu werden mit gesellschaftlichen, kulturellen Regeln und Ideen, die ferner der eigenen wohl nicht sein könnten. Und es bedeutet, auf einem gemütlichen, bunten Sofa zu sitzen und köstlichen Kaffee zu schlürfen, während Margret Röcke bügelt und die Kinder durch den Raum flitzen. Aufgenommen zu werden in den Kreis von Menschen, die sich frei machen wollen von stumpfen Vorurteilen und eindimensionalen Argumentationen. Und außerdem gerne Kaffee trinken.

Hier gibt es alle Informationen, Kontaktadressen, mehr Eindrücke und vertiefende Lektüre: www.tzigania.com