Urlaub auf den Spuren von Kaiserin Sissi

Vatra Dornei – trotz fortgeschrittenem Verfall eine Reise wert

Nur zu gern entfloh Kaiserin Sisi dem steifen Wiener Hofzeremoniell. Wohin? Natürlich am liebsten in entlegene Kurorte und Schlösser möglichst am Rande des Kaiser- und Königreichs Österreich-Ungarn. Einer dieser Zufluchtsorte war neben Bardejovske Kupele (heute Slowakei) der Badeort Vatra Dornei im äußersten Süden des österreichischen Kronlandes Bukowina. Vom kaiserlichen Glanz ist nicht mehr viel übriggeblieben...

Das Kasino - zuerst auf einer alten Postkarte, dann heute...

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Kein Kurbetrieb mehr im Kurhaus

Rehabilitiert: die Sentinela-Quelle

Reichhaltiges Kaffeehaus-Angebot

Die Synagoge
Fotos: Günther Krämer www.lustwandeln.eu, www.viakarpatica.eu

Die Bukowina wurde nach dem 2. Weltkrieg aufgeteilt, der Norden der Sowjetunion zugeschlagen, der Süden fiel an Rumänien. Die bis dahin das Land prägende Bevölkerungsgruppe der Buchenlanddeutschen wurde „heim ins Reich“ geholt. Nach bitteren Enttäuschungen kamen nur wenige in ihre Heimat zurück, die meisten wanderten später aus.

In den Städten bildete die jüdische Bevölkerung die größte Gruppe. Nach Verfolgungen durch die großrumänische Eiserne Garde und der Deportation nach Transnistrien wurde sie in Auschwitz hingemordet - obwohl sie sich als Deutsche fühlten und als Muttersprache Deutsch angaben. So waren nach 1945 die beiden kulturell prägendsten und wirtschaftlich aktivsten Bevölkerungsgruppen nicht mehr vorhanden.

Niedergang eines berühmten Badeortes

Seitdem ist Vatra Dornei heruntergekommen wie andere rumänische Kurorte mit großer Vergangenheit -Borsec, Herkulesbad/Băile Herculane, Băile Tușnad. Dennoch lohnt es sich, hier Urlaub zu machen, nicht nur um k.u.k.-Spuren zu suchen. Beginnen wir an der Fußgängerbrücke über die Dorna und blicken zum ehemaligen Kurbereich, wie die ganze Stadt von Bauten aus der Amtszeit des Bürgermeisters Vasile Deac (1875-1902) geprägt: Vor uns liegt das neobarocke Hotel Maestro, dahinter geht es in den Kurpark mit seinen alten Bäumen und den vielen Eichhörnchen. Linker Hand lässt Großrumänien grüßen mit einer überdimensionierten orthodoxen Kirche aus den 1920er Jahren, in der priesterlicher „Widerstandskämpfer“ gegen den Kommunismus gedacht wird.

Davor die Ehrenallee großer Rumänen, oben endend mit dem Denkmal für Nationaldichter Eminescu, das von einem großen Ärgernis verdeckt wird, nämlich einer Vermietung von lärmenden Elektroautos für Kinder, die den Kurparkgenuss massiv stören. Links daneben der schöne alte Pavillon, früher Schauplatz der Kurkonzerte. Weiter westlich dann die Quellfassung des Eisensäuerling-Heilwassers, die Sentinela-Quelle. Viele Jahre geschlossen und als Mülleimer missbraucht, kann man heute wieder an einer Zapfstelle Wasser abfüllen. Öffentlichen Kur- und Badebetrieb gibt es in Vatra Dornei nicht mehr. Immerhin bieten die Hotels Dorna, Caliman und Carol Anwendungen gegen eine Vielzahl von Zipperlein.

Trauerspiel um das Kasino

Das repräsentative Hotel Carol, seit 112 Jahren erstes Haus am Platze, steht im Kontrast zum Kasino daneben. Das Kasino wurde ab 1896 mit finanzieller Unterstützung Kaiser Franz Josephs I. und des griechisch-orthodoxen Religionsfonds erbaut. Leider zerfällt dieses die Stadt prägende Gebäude zusehends. Während es ab 1898 mit dem Theater, einem Lesesaal, einem guten Restaurant, einer Konditorei und weiteren öffentlichen Einrichtungen im Mittelpunkt des städtischen Kulturlebens und Kurbetriebs stand, ging es nach 1918 steil bergab: Die orthodoxe Kirche erhielt das Gebäude als Teil der Wiedergutmachung durch Österreich übereignet. Es wurde umgebaut, die Nutzung verändert, im 2. Weltkrieg teilweise zerstört und im Kommunismus bei fortschreitendem Zerfall nur notdürftig erhalten. In den ersten Wochen des Jahres 1990 wüteten Vandalen und stahlen alles, was nicht niet- und nagelfest war. Mehrfach wechselten die Besitzer. Die Stadt und potenzielle Investoren konnten angeblich wegen der unklaren Besitzverhältnisse nichts unternehmen. 2004 wurde das Kasino wieder der orthodoxen Kirche übertragen. Erst 2017 einigten sich Stadt und Kirche auf einen Renovierungsplan mit geschätzten Kosten von fünf Millionen Euro. EU-Fonds sollen einen Gutteil der Kosten tragen. Wie soll das Gebäude zukünftig genutzt werden? So unverfänglich wie überflüssig: als Museum.

Es gibt nämlich schon zwei Museen in Vatra Dornei: Im Rathaus befindet sich das sehenswerte Ethnographische Museum mit einer Sammlung von Trachten verschiedener Bevölkerungsgruppen, von bemalten Eiern und verschiedenen traditionellen Gegenständen. Das Naturmuseum in der Strada Unirii ist mit seinen vielen ausgestopften Tieren vor allem für Kinder interessant. Aber auch Erwachsene können ihr Wissen über die Lebensräume in den Karpaten erweitern. Beide Museen könnten mit geringem finanziellen Aufwand moderner Museumspädagogik angepasst werden!

Vom Kurhaus zum Bahnhof

Gleich gegenüber steht ein interessantes Gebäude aus dem Jahr 1898 mit Inschrift „Qui si sana“ – das ehemalige Kurhaus. Kuren sind dort nicht mehr möglich, dafür eine Vielzahl von sicher nicht gesunden Nutzungen. Und gegenüber schräg über die Dorna hinweg eine Drahtseilrutsche, mit der Wagemutige über Abgründe hinweg schweben – derzeit ein absoluter Hype in Rumänien.
Gehen wir auf der Str. Republicii nach Osten Richtung Markt, fällt rechts das Hotel Belvedere auf, das von dem Schriftsteller Lucian Blaga in den 1920er Jahren erbaut wurde. Der Markt bietet typisch rumänisches Marktleben. Was ihn von anderen unterscheidet, ist das saisonal große Angebot an Heidelbeeren, Pfifferlingen und Steinpilzen, gesammelt von Zigeunern in der Umgebung.

Kurz nach der Brücke über die Dorna führt ein Fußweg nach links über die Bahn und parallel dazu zum Bahnhof Vatra Dornei B˛i, wieder ein Bauwerk aus der Zeit der k.u.k-Monarchie, aus dem Jahr 1910. Acht Jahre älter ist der eigentliche Bahnhof Vatra Dornei, stadtauswärts in Richtung Iacobeni gelegen. Grund ist, dass das Eisenbahnnetz zunächst auf das Zentrum Czernowitz ausgerichtet war und die Verbindung nach Siebenbürgen ins Ilva-Tal erst später gebaut wurde. Leider haben beide Bahnhöfe einen dringenden Renovierungsbedarf, wie fast alle rumänischen CFR-Bahn-Anlagen. Zudem wird das Angebot an Dienstleistungen und Bahnverbindungen immer geringer – und das, obwohl kaum ein Bahnhof günstiger für Gäste liegt als der Bad-Bahnhof von Vatra Dornei.

Stadtrundgang

Wir queren die Str. Dornelor und gelangen ins alte Geschäftsviertel der Str. Luceaf˛rului, dessen älteste Gebäude schon im 18. Jahrhundert, zu Beginn der österreichischen Herrschaft, erbaut wurden und unter Denkmalschutz stehen. Zur Linken ein jüdisches Bethaus, heute nicht mehr genutzt. Schräg gegenüber in einem unansehnlichen Haus aus der Ceau{escu-Zeit ein Kaffeehaus mit einem verführerischen Angebot an k.u.k. und rumänischen Köstlichkeiten. Die kurze Fußgängerzone endet an der früheren Prachtstraße Str. Mihai Eminescu. Einige Bürgerhäuser und Hotels aus den 1890er Jahren sind heute im Besitz von Banken, die zumindest Fassade, Erdgeschoss und Dach renovieren ließen.

Wenden wir uns zunächst in Richtung Westen, wo am Ende der Straße die drei wichtigsten Gebäude zu finden sind: Die große Synagoge von 1908, außen notdürftig renoviert, die Inneneinrichtung ist zum Teil noch erhalten, daneben die Stadtbibliothek von 1901 und schließlich die ehemalige evangelische Kirche aus dem Jahr 1905. Sie wurde, nachdem die Karpatendeutschen „heim ins Reich“ geholt wurden, gegen eine Entschädigung vom rumänischen Staat übernommen, der orthodoxen Kirche übergeben und umgebaut zur heutigen Biserica Nașterea Maicii Domnului.

Richtung Osten dann das Rathaus, erbaut 1897, in dessen Erdgeschoss das ethnographische Museum untergebracht ist. Und natürlich steht daneben ein Denkmal für den umtriebigen Bürgermeister Vasile Deac. Nach einem heruntergekommenen ehemaligen Hotel erreichen wir schließlich die neoklassizistische katholische Kirche aus dem Jahr 1905. Anschließend gehen wir auf der Str. Mihai Eminescu zurück und belohnen uns in der Cofetăria Bristena mit feinen Süßigkeiten.

Fazit

Die Spurensuche in Vatra Dornei zeigt exemplarisch die wechselhafte und tragische Geschichte der Bukowina. Mit einem Gefühl für Ästhetik wurde vor dem 1. Weltkrieg ein Badeort aus einem Guss entwickelt, in einem attraktiven Stil, der gleichzeitig österreichisch, modern (damals Jugendstil und Historismus) und auch regional-karpatisch ist, mit rumänischen und ungarischen Akzenten. Umso trauriger, dass das heutige Rumänien diese nicht nur touristisch wertvolle Substanz verkommen und verfallen lässt oder dilettantische, unzureichende und geschmacklose Veränderungen vornimmt. In Vatra Dornei spiegelt sich die Unfähigkeit der rumänischen Regionalentwicklungspolitik wieder. Die Finanzierung wäre dank EU kein Problem! Aber da müsste man EU-Regeln beachten: Ordentliche Projektplanung, Einholung von mindestens drei Angeboten zur Realisierung, ein gewisser Eigenanteil des Besitzers oder des Projektträgers, Verpflichtung zum langfristigen Erhalt, dreifache Kontrolle von Umsetzung und Abrechnung... Leider gibt es bei dieser Abwicklung kaum eine Möglichkeit, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Kein Wunder, dass Rumänien nur einen Bruchteil der zustehenden EU-Gelder abruft ...

Trotz alldem: Vatra Dornei ist eine Reise wert – natürlich mit der Bahn bis zum Bahnhof Vatra Dornei Băi!