Vergangenheitsbewältigung in Rumänien

20 Jahre seit der Gründung des Memorials Sighet

Begrüßt wurde das zahlreiche Publikum von (v.l.n.r.) Stéphane Courtois (Forschungsleiter im Rahmen des Zentrums für wissenschaftliche Forschung, Paris), Jose Maria Ballester (ehemaliger Leiter der Direktion für Kultur, Kultur- und Naturerbe im Europarat), Ana Blandiana (Leiterin der Bürgerakademie), Nicolae Idu (Leiter der Filiale der Europäischen Kommission in Rumänien), Göran Lindblad (Präsident der Plattform für das Gedächtnis und Gewissen Europas) und Sven Joachim-Irmer (Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rumänien und in der Republik Moldau)
Foto: Aida Ivan

Wird im postkommunistischen Rumänien die problematische Vergangenheit aufgearbeitet? Wer kümmert sich darum und wie werden die grausamen früheren Zeiten im Gedächtnis wach gehalten?  Kann man hierzulande über die Existenz einer Erinnerungskultur sprechen?

Die Bürgerakademie (rum. Academia Civică) verwaltet die Gedenkstätte Sighet zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Rumäniens seit den 90er Jahren. Die erste Gedenkstätte für Kommunismus beging heuer ihr 20-jähriges Bestehen: Die Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des Widerstands – Memorial Sighet ist eines der größten europäischen Museen und ist die erste Institution ihrer Art weltweit. Zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung ist die Bilanz gewaltig: 6000 Stunden Aufzeichnungen von Zeitzeugen, mehr als 80 Bücher und mehrere Hunderte von Referenten der Sommerschule. Eingeladen zu Konferenzen, die die kommunistische Vergangenheit Rumäniens aufarbeiten, wurden Historiker, Politologen, Schriftsteller, Filmemacher aus verschiedenen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich, aus der Schweiz, Großbritannien, Tschechien, Polen, der Republik Moldau, aber auch aus den USA.

Zusammen mit der Bürgerakademie feierte auch die Konrad-Adenauer-Stiftung das 20-jährige Jubiläum Mitte Juli. Begonnen wurde mit verschiedenen Veranstaltungen wie Buchpräsentationen, Ausstellungen und Kolloquien zum Thema kommunistisches Unterdrückungsregime. Abgeschlossen wurde das Jubiläum mit einer Debatte, an der sich die Referenten beteiligten, die im Laufe der Zeit bei Symposien oder bei der Sommerschule Sighet mitgewirkt hatten. In der Bukarester Vertretung der Europäischen Kommission wurde eine Erörterung unter dem Titel „Gedenken als Form der Justiz. 20 Jahre Memorial Sighet“ organisiert. Die Debatte der Persönlichkeiten, die im Laufe der 20 Jahre im Rahmen der Veranstaltungen über verschiedene Aspekte des Kommunismus referiert haben, war der Höhepunkt der Jubiläumsveranstaltungen.  

„Wir müssen zusammenarbeiten, um den Opfern Gerechtigkeit zu schaffen“

Die Debatte wurde von der Leiterin der Bürger-Akademie, Ana Blandiana, moderiert. Eröffnungsansprachen haben Göran Lindblad (Präsident der Plattform für das Gedächtnis und Gewissen Europas, eines Projektes der EU), Jose Maria Ballester (ehemaliger Leiter der Direktion für Kultur, Kultur- und Naturerbe im Europarat), Stephane Courtois, (Forschungsleiter im Rahmen des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung, Paris) gehalten. Da die Bürgerakademie seit Mitte der 90er Jahren ständig von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird, hat auch Sven Joachim-Irmer, Leiter der Stiftung in Rumänien und in der Republik Moldau, das Wort ergriffen.

Im Gefängnis Sighet wurde die Elite Rumäniens der Zwischenkriegszeit vernichtet. An der Veranstaltung haben sich Vertreter der rumänischen Kultur und Politik  beteiligt, wie der ehemalige Justizminister Cătălin Predoiu, der Publizist Mircea Carp und der Literaturkritiker Dan C. Mihăilescu. Zahlreiche ausländische Wissenschaftler wie Dennis Deletant (Universität London), Pierre Hassner (Sciences Humaines, Paris), Anneli Ute Gabanyi (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) waren auch anwesend. Unterstrichen wurden dabei die Wichtigkeit und die Wechselwirkung des Gedächtnisses, der Geschichte und der Justiz.

In ihrem Grußwort betonte Ana Blandiana die Bedeutung der Gründung des Memorial Sighet als erste Gedenkstätte der Welt, die dem Kommunismus gewidmet wurde. Die Tatsache, dass diese sich unter der Schirmherrschaft des Europarats befindet, markiert den Anfang der unglaublichen Veränderung der europäischen Mentalitäten, sagte sie. „Eines der Argumente, mit dem wir den Europarat vor zwanzig Jahren überzeugt haben, war dieses: Wir können nicht ein geeintes Europa durch die Vereinigung der Politik, der Wirtschaft usw. werden, wir sollen auch unsere Obsessionen vereinigen. Die Obsession der Länder aus Osteuropa war und wird es noch lange sein – die Geschichte des Kommunismus: Warum und wie wir das erlebt haben und was wir machen sollen, damit wir verhindern, das wieder zu erleben“, meinte die Bürgerrechtlerin.

Der schwedische Politiker Göran Lindblad erinnerte an das Vorhaben der Plattform, die aus 40 Organisationen besteht, zu kooperieren, damit die Verbrechen der totalitaristischen Regierung im Gedächtnis bewahrt werden: „Die Plattform funktioniert, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“, meinte Lindblad. Die Diktaturen Europas aus den 20. Jahrhundert sammelte er unter dem Konzept des Totalitarismus. Das bedeute aber nicht, dass  zwischen verschiedenen totalitaristischen Systemen Vergleiche gezogen werden, erklärte er. „Ich denke an den Schaden eines jeden, auf diese Weise hat man mehr politische  Einsicht. Wir müssen uns auf das Schicksal der Opfer konzentrieren“, hieß es weiter.

Ana Blandiana hob die Unterstützung seitens der Konrad-Adenauer-Stiftung bei der Entwicklung der Sommerschule hervor. „Politische Erziehung und Einstellung haben sich verändert“, konnte Sven Joachim-Irmer danach schlussfolgern. „Die Frage bleibt aber offen, wie die Teilnehmer an der Sommerschule in Sighet die erworbenen Kenntnisse im Alltag anwenden werden“, meinte er.

Präsentiert wurde anschließend das Buch „Geist hinter Gittern. Die rumänische Gedenkstätte  Memorial Sighet“ (Hrsg. Helmut Müller-Enbergs, Katharina Kilzer, Frank & Time Verlag, 2013) von Katharina Kilzer. Das Buch spricht über politische Gefangenschaft im kommunistischen Rumänien. Im Mittelpunkt steht das Museum in Sighet als „eine Werkstatt des Nachdenkens“, wo die Sommerschule seit mehr als 15 Jahren stattfindet. Im Rahmen dieser „Schule des Gedächtnisses“ treffen sich jährlich weltweit anerkannte Wissenschaftler, Zeitzeugen, Schüler und Studenten, um die kommunistische Vergangenheit Rumäniens aufzuarbeiten.

„Gedächtnis als Form der Justiz“: Ein neuer Ausstellungsraum in der Hauptstadt

Rumänien geriet durch die Entstehung der Gedenkstätte Sighet auf die „Thanatos-Tourismus-Karte“ Europas. Das Memorial Sighet ist aber seit zwei Monaten nicht das Einzige, das dieses Thema behandelt. Auch in Bukarest wurde ein Ausstellungsraum eröffnet: Im Anschluss an die Abschlussveranstaltung im Gebäude der Bukarester Vertretung der Europäische Kommission wurden die Teilnehmer eingeladen, das Geschichtsmuseum „Gedenken als Form der Justiz“ in der Jean-Louis Calderon-Straße 66 zu besichtigen. Es stellt die Chronologie und Geografie der kommunistischen Unterdrückung in Rumänien vor. Veranschaulicht wird beispielsweise, wie Propaganda gemacht wurde, was die „goldene Zeit“ eigentlich bedeutete. Gezeigt werden Episoden aus der grausamen fast fünfzigjährigen Periode, wie die Bărăgan-Deportation. Konzipiert wurden die Schautafeln vom Internationalen Zentrum für Kommunismusstudien, dessen Leiter Romulus Rusan ist, der Ehemann von Ana Blandiana.

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Die Gedenkstätte Sighet

Das Memorial Sighet ist eine Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands in Rumänien, die 1993 von der Leiterin der Bürger-Allianz (Alianţa Civică), Ana Blandiana, initiiert wurde. Es besteht aus einem Museum im ehemaligen politischen Gefängnis in Sighetu Marmaţiei, Kreis Maramuresch, an der Grenze zur Ukraine und aus dem Internationalen Zentrum für Studien über den Kommunismus mit dem Hauptsitz in Bukarest. Das Memorial Sighet steht seit 1995 unter der Schirmherrschaft des Europarats. 1997 hat sich die Institution weiter entwickelt, die Internationale Sommerschule für Jugendliche wurde gegründet. Memorial Sighet gehört zu den drei wichtigsten Gedenkstätten in Europa, die für das Bewahren des europäischen Gedächtnisses bestimmt wurden.