Verinnerlichte Identität

Robert Schwartz, Redaktionsleiter Deutsche Welle: „Viele Menschen bringen den Bezug zu Rumänien aktiv in ihre Tätigkeit in Deutschland ein“

Robert Schwartz im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin: „Ich glaube, die deutsche Minderheit in Rumänien hat eine Zukunft – nicht nur politisch-kulturell, sondern vor allem sozial – im Gefüge der Bevölkerung in Rumänien.“
Fotos: die Verfasserin

Robert Schwartz beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl - 2017 im Gespräch mit Autorin Ruxandra Hurezean: „Diese Treffen sind wichtig, denn man pflegt die Tradition in einem großen Rahmen und hat die Möglichkeit, sich als Gemeinschaft, als starke Gemeinschaft zu präsentieren“.

Blauer Anzug, schwarzer Bart und ein warmes Lächeln. So präsentiert sich Robert Schwartz im Berliner Gebäude der Bundespressekonferenz am Ufer der Spree. Der heutige Leiter der rumänischen Redaktion der Deutschen Welle (DW), dem internationalen Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, ist nach der Wende nach Deutschland ausgewandert und hat in seiner Wahlheimat eine journalistische Karriere eingeschlagen.


Doch die Geschichte beginnt früher, in einer anderen Ecke Europas, in Hermannstadt/Sibiu: Schwartz stammt aus einem interkulturellen Elternhaus, der Vater jüdischen Glaubens, die Mutter evangelische Siebenbürger Sächsin, wie er selbst erzählt. Dass er an der deutschen Brukenthalschule in Hermannstadt lernte, betrachtet er als „fantastisches Glück“: „Das war die Schule, die mich geprägt hat, durch die fantastische Atmosphäre, durch die Kultur, die einem dort mit auf den Weg gegeben wurden. Ich hatte das Glück, aus einem sehr offenen und liberalen Elternhaus zu kommen, sodass ich mich in der Brukenthalschule sehr wohl gefühlt habe.“

Nach dem Germanistikstudium in Bukarest hat er sich geweigert, eine Stelle als Lehrer im Kreis Buzau anzutreten. Der Grund: Dort wurde ihm nicht erlaubt, Deutsch oder Englisch zu unterrichten. Die Schulleitung habe ihm statt dessen Geografie, Mathematik und Sport angeboten. Schwartz erinnert sich, wie er dann als freier Mitarbeiter für die deutsche Radio- und TV-Sendung in Funk und Fernsehen tätig war und im Filmstudio in Buftea mit Regisseuren wie Dan Pita, Mircea Veroiu oder Mircea Daneliuc zusammengearbeitet hat.

Deutsche Schule – multikultureller Schmelztiegel

Die nächste Lebensstation begann Anfang der 80er Jahre: Mehrere Lehrkräfte von der deutschen Schule Bukarest waren während der Winterferien auf einmal weggeblieben: Sie hatten eine Neujahrsreise nach Griechenland unternommen und waren nicht zurückgekehrt. Die Schule war auf einmal halb verwaist. So wurde Robert Schwartz gefragt, ob er dort als Grundschullehrer anfangen würde. Heute betrachtet er diesen Moment als Sternstunde. Zu seinen Schülern konnte er sehr gute Beziehungen aufbauen:„Es war ‘meine’ Klasse und ich war ‘ihr’ Lehrer. Es waren sehr interessante Kinder, die heute schon 40 oder darüber sind, und die es gut bis sehr gut geschafft haben im Leben, verstreut in der ganzen Welt“.

Anschließend macht Schwartz einen Sprung zurück in die Vergangenheit. Seine Erfahrung als Schüler an der Brukenthalschule in Hermannstadt findet er wesentlich: „Das hatte ich einfach verinnerlicht und habe es in Bukarest bewusst, aber auch unbewusst, wieder mittransportiert.“ Die deutsche Schule in Bukarest (damals Industrielyzeum 34, dann Hermann-Oberth-Gymnasium und heute Goethe-Kolleg) war immer ein multikultureller Schmelztiegel.

Später, gleich nach der Wende, wurde Schwartz Schuldirektor. Schnell wurden Kontakte mit Schulen in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz geknüpft und Partnerschaften festgelegt. Fast tausend Schüler durften 1990 auf diese Weise das westliche Ausland kennenlernen. Es war wichtig für die Kinder, zu erleben, was Mittel- und Westeuropa bietet und wie eine funktionelle Demokratie aussieht.

 

„Minderheiten müssen beschützt werden, weil sie eine Bereicherung für jede Gesellschaft darstellen. Eine verantwortungsvolle Regierung unterstützt die Minderheiten nicht nur durch wohlklingende Absichtserklärungen auf irgendwelchen Feierlichkeiten, sondern auch finanziell, weil diese Minderheiten vor allem auch in den ex-kommunistischen Staaten wegen der Enteignung nicht mehr in der Lage waren, für sich selbst zu sorgen, und auch nach Rückgabe einiger der enteigneten Besitztümer nicht in der Lage sind, sich zu hundert Prozent zu verwalten.“


Wegziehen oder bleiben?

Die Schüler konnten dadurch zwei Wochen im Ausland verbringen. Sie waren aber nicht die einzigen, die das Ausland erleben sollten. Die meisten Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben „haben zusammen mit der Muttermilch die Idee der Auswanderung nach Deutschland eingepflanzt bekommen. Es war Teil unseres Werdegangs und unserer Erziehung“, erinnert sich Robert Schwartz. Manche Verwandte, die vorher ausgewandert waren, kamen im Sommer zurück – sie rochen nach Persil, hatten Kaugummi und Jeans – was es in Rumänien alles nicht gab in den 70er und 80er Jahren. 

Nach der Wende – Schwartz saß als Vertreter der deutschen Minderheit im ersten provisorischen Parlament (CPUN) in Bukarest – kam der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, in die rumänische Hauptstadt und sagte im Januar 1990 den Rumäniendeutschen, dass das Tor für sie offen bliebe. „Ich glaube, das war die richtige Botschaft, wenn man sieht, wie kompliziert die rumänische Gesellschaft heute ist, Nationalismus und Rassenhass werden heute von einigen Vertretern der Mehrheitsbevölkerung weiterhin auf höchstem Niveau betrieben“, sagt Schwartz.

„Wer damals ausreisen wollte und es auch getan hat, der hat keinen Fehler gemacht. Auch wer sich entschlossen hat, in Rumänien zu bleiben, hat keinen Fehler gemacht. Es gibt einige Vertreter, die es ja durchaus geschafft haben, zu zeigen, dass es sich lohnt, dort zu bleiben, vom Staatspräsidenten nach unten gibt es in allen Bereichen Leute“, meint Schwartz, der selbst die Entscheidung getroffen hat, im September 1990 auszuwandern. „Ich finde es richtig, dass ziemlich viele Menschen, die den Sprung nach Deutschland gemacht haben, den Bezug zu Rumänien nicht verloren haben, und im Gegenteil, diesen Bezug aktiv in ihre Tätigkeit in Deutschland mit einbringen.“

Robert Schwartz wollte selbst sehen, wie es ist, in einer europäischen Demokratie zu leben. In Deutschland wollte er jedoch nicht mehr als Lehrer tätig sein. In der Medienbranche hat er seinen Platz gefunden. Seit 1992 arbeitet er bei der DW, seit 2002 leitet er die rumänische DW-Redaktion.

Brückenbauer zwischen zwei Ländern

Schwartz meint, er könne diese Brückenfunktion durch seinen aktuellen Arbeitgeber noch aktiver wahrnehmen. Er hält es für wichtig, dass Menschen wie zum Beispiel Bernd Fabritius, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, bewusst zu ihrer Identität als Siebenbürger Sachsen stehen und dann diese Identität durch ihre Ämter in der Bundesrepublik nicht nur vertreten, sondern auch darüber erzählen. „In der Mehrheitsgesellschaft in der Bundesrepublik werden die Aussiedler und Spätaussiedler nicht immer als dazugehörig empfunden, was natürlich falsch ist, aber man muss auf die Mehrheitsgesellschaft zugehen und aktiv die kulturelle Identität dieser Minderheit, der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, präsentieren - nicht nur in Dinkelsbühl oder Ulm einmal im Jahr zu Pfingsten, sondern auch in der Gemeinschaft, in der man lebt.“

Der Journalist findet den Einfluss der deutschen Minderheit aus Rumänien auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien groß. „Es ist ja auch ein Gewinn, dass ein Vertreter der deutschen Minderheit Staatspräsident in Rumänien geworden ist, es ist ein Gewinn, dass in den verschiedenen Ministerien Vertreter der deutschen Minderheit ihren festen Platz haben. Das heißt, die deutsche Minderheit ist aktiv daran beteiligt, diese bilateralen Beziehungen gemeinsam zu gestalten“.

An den Heimattagen der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl hat Robert Schwartz mehrmals als Moderator von Podiumsdiskussionen teilgenommen. Dort wurde oft das Thema des kulturellen Erbes zur Sprache gebracht: Was ist wichtiger, das Erbe oder die Erben? „Dadurch, dass über 90 Prozent der Schüler an den deutschen Gymnasien in Rumänien der rumänischen Mehrheitsbevölkerung angehören und Deutsch als Muttersprache mit auf den Weg bekommen, werden diese jungen Menschen mit zwei Muttersprachen aufwachsen und das sind dann nicht nur die Menschen, die das Erbe verwahren, es sind die Erben“, erklärt Robert Schwartz. Sie sind die Träger der Kultur, der Sprache und der Identität. Dabei ginge es nicht darum, dass man sich das siebenbürgisch-sächsische Hemd oder die Tracht anzieht und zweimal im Jahr tanzen geht. Es ginge da-rum, dass man diese Identität verinnerlicht, sie ein Stück weit lebt – eine Bereicherung, sowohl für die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, aber auch für die rumänische Mehrheitsbevölkerung. „Es gibt eine Art Hoffnung, wenn man sieht, dass diese deutschen Schulen sehr wohl die Identität, die Sprache, die Kultur in eine Mehrheitsbevölkerung weiter hinein tragen, und es gibt dann auch die ersten zwei-drei Rückkehrer nach Siebenbürgen oder ins Banat – die Zahl wächst langsam, aber stetig, wird mir erzählt –, sodass der oft erwähnte ‚Exitus letalis’ offensichtlich doch nicht in naher Zukunft bevorsteht.“

 

„Es sind nicht mehr die angestammten Erben, aber die Gruppe der Erben ist größer geworden. Das heißt, der Siebenbürger Sachse, der Banater Schwabe an sich, als Gemeinschaft, wird immer kleiner, aber die Erben, die gibt es noch aus der Mehrheitsbevölkerung. Sie haben ein Bewusstsein für die Kultur, die Identität, die Sprache der deutschen Minderheit in Rumänien entwickelt und pflegen dieses Erbe weiter. Natürlich sind das die Erben, es sind nicht nur die Verwalter dieses fantastischen Erbes, sondern es sind die Erben.“

 


Dieser Artikel ist im Rahmen des Programms Europäische Journalisten-Fellowships der Freien Universität Berlin entstanden.