Verloren in Armut und Ausweglosigkeit

Emanuel Pârvus Debütspielfilm „Meda“ in den rumänischen Kinos

Wer die Kehrseite der meist idyllisch beschriebenen und oftmals folkloristisch verherrlichten Dorfwelt Rumäniens kennenlernen will oder auch nur an sie erinnert werden möchte, für den ist der Debütspielfilm von Emanuel Pârvu ein absolutes Muss. Der Film mit dem Doppeltitel „Meda sau Partea nu prea fericită a lucrurilor“ (Meda oder Die nicht allzu glückliche Seite der Dinge) gewann beim 23. Filmfestival in Sarajewo im vergangenen Sommer gleich zwei Preise – die Herzen von Sarajewo für Emanuel Pârvu als den besten Regisseur sowie für Şerban Pavlu als den besten männlichen Schauspieler – und kam erst vor einigen Wochen in die rumänischen Kinos. Ein 15-minütiger Kurzfilm desselben Regisseurs mit dem identischen Titel „Meda“ und gleicher Thematik wurde bereits 2016 gedreht und war kürzlich auch im rumänischen Fernsehen auf HBO zu sehen.

Emanuel Pârvu, der für seine beiden „Meda“-Filme auch die Drehbücher geschrieben hat, ist dem rumänischen Kinopublikum bisher eher als Schauspieler bekannt, etwa für seine Rollen in „Aniversarea“ (Die Geburtstagsfeier), „Bacalaureat“ (Abitur) oder in „Amintiri din Epoca de Aur“ (Erinnerungen aus der Goldenen Epoche). In seinem Debütspielfilm wendet er sich als Regisseur der rumänischen Dorfwelt und ihrer ökonomischen und sozialen Realität zu, die in „Meda“ radikal dystopisch geschildert wird. Alkoholismus, archaisch-patriarchalische Strukturen, Armut, Abhängigkeit, Ausweglosigkeit, Gewalt, Misshandlung, Korruption, Versagen der Sozialsysteme und fehlende Solidarität kennzeichnen das Leben auf dem Dorfe, in dem Doru (Şerban Pavlu) als Ziehvater des vierzehnjährigen Waisenmädchens Meda (Ana Radu) leben und überleben will und muss.

Der Film setzt ein mit dem Tod von Dorus Frau, die an den Folgen eines Gehirntumors gestorben ist. Mit diesem Schicksalsschlag droht die fragile Welt von Dorus Existenz plötzlich in sich zusammenzustürzen. Nicht nur fehlt ihm buchstäblich das Geld, um das Fürsorgerecht, geschweige denn die Adoption der Ziehtochter Meda zu beantragen, sondern er gerät auch an den anderen Fronten seines finanzschwachen Daseins unter Druck. Seine Schwiegereltern, die Doru die Schuld am Tod ihrer Tochter geben, drohen mit dem Entzug des Grundstücks, auf dem er lebt, sowie mit der Einforderung ihres Erbteils, obwohl die eigentliche Schuld nicht beim Witwer, sondern beim herrschenden Gesundheitssystem liegt, das über schwerkranke Arme automatisch das Todesurteil verhängt.

Um seiner Ziehtochter etwas Anständiges vorzusetzen, beschafft sich Doru seine Fleischmahlzeiten als Fallensteller und wird prompt beim Wildern erwischt. Die gegen ihn verhängte Geldstrafe verschärft sein finanzielles Problem, zumal andere Einkunftsmöglichkeiten entfallen: die saisonale Verdingung als Waldarbeiter, die ihm sonst ein mehr oder weniger legales Nebeneinkommen bescherte, scheitert an der fehlenden Rodungsbewilligung durch die zuständigen Stellen wie der Verkauf von Vieh an den bestehenden gesetzlichen Vorschriften, die aber in den Vorjahren oft genug umgangen wurden.

Doch für Doru wird in beiden Fällen keine Ausnahme gemacht, nicht weil das etwa unmöglich wäre, sondern weil Doru das Geld, das er Medas wegen braucht, hartnäckig einfordert, statt demütig auf den Knien darum zu bitten. Am Ende willigt Doru schließlich ein, gemeinsam mit drei andern Männern des Dorfes an der Jagdwilderei eines hohen Politikers mitzuwirken, die ihm die rettende Geldsumme oder eine Gefängnisstrafe einbringen kann.

Das offene Ende des Films unterstreicht den dokumentarischen Charakter des Streifens, dem es weniger um eine spannende Story zu tun ist als vielmehr um die Darstellung der gesellschaftlichen Misere in der dörflichen Welt. Die staatlichen Institutionen (Gesundheits-, Bildungs-, Verwaltungs- und Ordnungswesen) versagen, weil sie sich mit den bestehenden Verhältnissen lediglich arrangieren, anstatt sie aktiv zu verändern. Der wohlmeinende Dorfschullehrer (Adrian Titieni) etwa, der die körperliche Misshandlung eines seiner Schüler bemerkt, macht sich schließlich mitschuldig an dessen schweren Verletzungen, die ihm sein betrunkener Vater beibringt, weil er zuvor nicht energisch genug auf ein Eingreifen des Jugendamtes gepocht hat. Die Polizei versucht, statt das Gesetz selbst, eher den Bürger vor dem Gesetz zu schützen. Bürgermeister und Ärztin waschen ihre Hände in Unschuld, weil sie an der sie umgebenden Misere letztlich keine persönliche Schuld tragen. Und die Kirche lässt dieser Film gar nicht erst ins Dorf: sie tritt nicht einmal als Gebäude in Erscheinung.

Gezeigt wird der alleinige Kampf Dorus um das Sorgerecht für seine Ziehtochter, um seinen Lebensunterhalt, um seine Ehre, die er bis zuletzt verteidigt: als man ihm den Verkauf von Vieh auf sein Drängen hin schließlich doch gestatten möchte, gibt er wahrheitsgemäß zu Protokoll, dass seine Tiere das nötige Mindestalter noch nicht erreicht haben, und verscherzt sich damit die Möglichkeit, ans Ziel seiner finanziellen Wünsche zu gelangen. Die Fürsorge für seine Ziehtochter Meda macht Doru am Ende zum Hasardeur, der va banque spielt und alles auf Geld oder Gefängnis setzt.

Beeindruckend ist Emanuel Pârvus 82-minütiger Spielfilm nicht nur durch die trostlose Schilderung der widrigen Lebensumstände des Saisonarbeiters Doru, nicht nur durch die vielsagenden Dorf- und Landschaftsaufnahmen (Kamera: Silviu Stavilă), nicht nur durch die Leistungen der Schauspieler, unter denen der Hauptdarsteller Şerban Pavlu und die Nebendarsteller Adrian Titieni, Florin Zamfirescu, Rodica Negrea und Ana Radu hervorragen. Der Film besticht vor allem durch die Inszenierung eines Schweigens, das das gesamte Geschehen gleichsam lautstark begleitet: das beharrliche Schweigen Dorus, der seiner Ziehtochter nicht ins Gesicht sagen kann, dass er sie vielleicht bald wieder ins Waisenhaus zurückschicken muss; das Schweigen seiner Schwiegermutter in derselben Angelegenheit; das Schweigen der finsteren Männer des Dorfes über ihre Machenschaften; das Schweigen der Dorfgemeinschaft über die Misshandlung eines Kindes durch seinen gewalttätigen Vater; das überall hin hallende Schweigen der Komplizenschaft, des stillen Einverständnisses, der Schwäche, der Lethargie und der Kapitulation, das den Film auch und gerade in seinen sprachlichen Äußerungen zu einem, wenn auch schwer zu ertragenden, Erlebnis macht.