Vieles vertraut, anderes fremd

Tagung und Ausstellung zu Vergangenheit und Gegenwart der Bessarabiendeutschen

Zwischen dem Aufruf von Zar Alexander I. von 1813 ...

… und jenem zur Umsiedlung von 1940 spielte sich die Geschichte der Bessarabiendeutschen ab.

Die Ausstellung im Foyer des Forumshauses erfreute sich großen Interesses.
Fotos: die Verfasserin

Den Ersten der Tod, den Zweiten die Not, den Dritten das Brot. Es ist eine Erfahrung, die mehrere deutsche Siedlergruppen machten, die in das heutige Rumänien kamen. In der Ausstellung über die deutschen Siedlungen in Bessarabien mit dem Titel „Fromme und tüchtige Leute …“ war die Aussage auf einem der Banner ebenfalls zu lesen. Die Eröffnung der Exposition am Samstagnachmittag im Haus des Deutschen Forums bildete den Abschluss der Tagung, in der die 200 Jahre Siedlungsgeschichte von Deutschen in Bessarabien im Mittelpunkt gestanden hatten. Selbst wenn diese Siedlergruppe nur wenige Jahre ihrer Geschichte zu den Deutschen Rumäniens gehört hat, konnten doch sehr viele Beziehungen und Ähnlichkeiten zu den anderen deutschen Gemeinschaften Rumäniens festgestellt werden.

Die Ausstellung veranschaulicht auf thematisch geordneten Bannern die Existenz der Siedler zwischen zwei Aufrufen: Dem Aufruf von Zar Alexander I. an die Deutschen im Herzogtum Warschau vom 29. November 1813, die deutschen Kolonisten unter dem besonderen Schutz der russischen Regierung zu empfangen und dem Aufruf des deutschen Bevollmächtigten für die Umsiedlung, der bekanntgab, dass die Regierungen des Deutschen Reiches und der Sowjetunion übereingekommen sind, dass die deutschstämmige Bevölkerung „frei und unbehindert auf deutschen Boden ausreisen kann“, und mitteilt, dass die Umsiedlung am 15. September 1940 beginnt. Präsentiert werden in Worten und Bildern die Einwanderung und Ansiedlung, die Entwicklung der Dörfer und der sozialen Einrichtungen, die interethnischen Beziehungen aber auch das politische Leben. Die Wanderausstellung wurde bislang im moldauischen Nationalmuseum in Chi{in²u aber auch in mehreren deutschen Städten und in den USA gezeigt. Bei der Vernissage stellte Dr. Ute Schmidt ihr Buch „Bessarabien. Deutsche Kolonisten am Schwarzen Meer“ vor, das derzeit ins Rumänische übersetzt wird und von dem es bereits eine russische Fassung gibt.

Sehr viel Wissenswertes über die Geschichte und Gegenwart der Deutschen in Bessarabien erfuhren über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Herbsttagung des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen e. V., die in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Siebenbürgen im Hans-Bernd-von-Haeften-Tagungshaus am Freitag und Samstag (30. - 31. August) ausgerichtet worden ist. Die drei Referenten kamen aus Deutschland, hatten aber bessarabiendeutsche Wurzeln, was sie allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt ihres Berufslebens veranlasst hat, sich mit der Problematik dieser Siedlergruppe auseinanderzusetzen. Über die Ansiedlung der von Zar Alexander nach Russland gerufenen Kolonisten, denen eine zweite Ansiedlergruppe aus Württemberg gefolgt war, referierte Dr. Ute Schmidt. Die Politikwissenschaftlerin schilderte die Strapazen der Reise und die Enttäuschung über das Nichteinhalten der Versprechen.

Dank ihrer besonderen rechtlichen Stellung – sie waren freie Bauern, was es ansonsten im russischen Zarenreich nicht gab – konnten die deutschen Kolonien die „Keime“ der Entwicklung und Reformen tatsächlich werden, ein den Bessarabiendeutschen vom Fürsorgekomitee zugeordnetes Bild, mit dem sie sich identifizierten. In ihren Dörfern gab es ausdifferenzierte Ordnungen für Gemeinde und jeden Einzelnen und einen pietistischen Lebenswandel. Die rund 100.000 Menschen lebten in weitgehend homogen deutschen Siedlungen inmitten anderer Nationalitäten, mit denen sie im Austausch waren und bis in die 1930er Jahre in gutem Einvernehmen lebten. Entscheidend für die Abgrenzung von den anderen Völkerschaften war die überwiegend evangelische Konfessionszugehörigkeit.

Vereint und dennoch fremd

Als zweite Referentin präsentierte die Theologin Dr. Cornelia Schlarb die Geschichte der Bessarabiendeutschen in der Zwischenkriegszeit und also in jenen Jahren, in denen sie zu Rumänien gehörten. Geschildert wurden die Einflüsse auf Kirche, Schule und Politik, welche die Institutionen und Politiker der – ebenfalls evangelischen – Siebenbürger Sachsen hatten. Diese kamen mit der „... neue(n) Welt: deutsches Leben, von dem wir bis heute eigentlich keine Kenntnis hatten“ (so die „Kirchlichen Blätter“) erstmals Anfang 1919 in Kontakt, als sich Vertreter der beiden Gemeinschaften in Bukarest trafen. Für die bislang von Russland geprägte bessarabiendeutsche Gemeinschaft begann der Blick nach Westen: Es wurde der vertragsmäßige Anschluss an die siebenbürgische Kirche beschlossen, die Arbeitsmigration ins Banater Bergland und nach Siebenbürgen setzte ein, zur Berufsausbildung ging man nach Siebenbürgen und zum Studium nach Czernowitz, es bestand regelmäßiger Austausch zwischen den Lehrerverbänden. Stärker als es die konfessionelle Einheit hätte bewirken können, schafften die nationalsozialistische Volkstumsideologie aber auch die kirchenpolitischen Machtkämpfe das Heranrücken der Bessarabiendeutschen an die Sachsen, so Dr. Schlarb. Die Begegnung mit anders geprägten lutherischen Christen half jedoch mit, eine bessarabiendeutsche Identität zu entwickeln. Ein intensiver Austausch hätte nach den 20 Jahren Zugehörigkeit und geistig-kulturellen Kontakten zu den anderen deutschen Siedlergruppen Rumäniens beginnen können. Die Geschichte wollte es anders.

Auf die Folgen der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen und das „heute“ ging Pfarrer Karl-Heinz Ulrich ein, in Norddeutschland geboren von aus Bessarabien stammenden Eltern. Im Rahmen seiner Tätigkeit im Diakonischen Werk wurde er erst nach der politischen Wende in Osteuropa von seinen Wurzeln eingeholt: Ab 1997 war er für den Aufbau der Diakonie und der deutsch-lutherischen Kirche in der Ukraine zuständig und über einige Jahre Pastor in Odessa. Bei der Umsiedlung waren ca. tausend Deutsche in Bessarabien geblieben, nach dem Einmarsch der Sowjettruppen 1944 allerdings gab es keine mehr, da sie nach Sibirien verschleppt worden waren. Viele hatten erst nach dem Zerfall der Sowjetunion die Möglichkeit, nach Bessarabien zurückzukehren. Ähnlich wie im Fall der Bukowina- oder Dobrudschadeutschen wurden auch die von den Sowjettruppen auf dem Westmarsch eingeholten Bessarabiendeutschen in ihre angestammten Gebiete zurückgeschickt.

Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion bekannten sich viele Menschen nach 1990 zu ihrer deutschen Herkunft und wollten nach Deutschland. Angesichts des Ausreisedrucks wurde zwischen Deutschland und der Ukraine ein Abkommen unterzeichnet, etwa 100.000 Deutsche aus Kasachstan in der Region um Odessa anzusiedeln, wozu dort, in der Nachbarschaft ehemals deutscher Siedlungen neue Ansiedlungen gebaut wurden. Das Ansiedlungsprojekt schlug größtenteils fehl, die meisten Leute zogen nach Deutschland weiter. Für die heute rund 30.000 in der Ukraine lebenden Deutschen ist derselbe Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung zuständig wie für jene in Rumänien und es gibt dieselben Förderprogramme. Vieles war den Tagungsteilnehmern vertraut, manches fremd, der Blick über den Tellerrand allseits willkommen.