Vom Tellerwäscher zur Haute Cuisine

Ein Maramurescher flieht vor der Armut und kehrt mit einem reichen Schatz zurück: der Leidenschaft zum Kochen

Schnell noch ein paar Hände voll Petersilie über das Gulasch gezaubert...

„Ich schätze alles, was ich habe und glaube an die Kraft der Gedanken“, bekennt Vasile Hotca. Fotos: George Dumitriu

Auf dem Weinfestival und zum Sachsentreffen in Mediasch sorgten Vasile Hotca und seine Kollegen von „Master of Flames“ für das leibliche Wohl der Gäste.

„Ich habe im Gebüsch geschlafen“, lächelt Vasile Hotca. „Und am Morgen habe ich mich in der Toilette eines Restaurants gewaschen und rasiert.“ Wo genau das war in Wien weiß er heute nicht mehr. Gut zwanzig Jahre ist es her, dass der junge Mann aus der Maramuresch mit einem Schengen-Visum allein und ohne ein Wort Deutsch oder Englisch zu können ins Blaue gen Westen fuhr. Nur weg aus der Armut! „Nix Arbeit“, stellte er sich dort tagtäglich in Gastbetrieben vor. Schließlich fand er einen Job als Tellerwäscher...


Es klingt wie eine Geschichte aus dem frühen Amerika. Millionär ist Vasile Hotca zwar nicht geworden, doch immerhin hat er auf seinem kantigen Lebensweg seine Leidenschaft entdeckt - und sie zum Beruf erkoren. Im November tritt er eine Stelle als Chefkoch in einem italienischen Lokal in Paris an. „Es gehört mir zwar nicht, aber ich darf einstellen, wen ich will und in der Küche alles entscheiden“, freut sich der junge Mann, der bereitwillig seine Lebensgeschichte erzählt.

Auf dem Weinfest in Mediasch lernten wir ihn an einem Septemberabend kennen. Ein Schnaps, den ein Kumpel von ihm ausschenkte, war Auftakt zu dem Gespräch. „Ihr müsst mein Essen probieren!“, ruft Vasile plötzlich und lotst uns zu dem Stand mit allerlei Köstlichkeiten: Gulasch, nicht im Kessel, sondern auf der Platte geschmort, Rippchen vom Mangalitza-Schwein, Stiernackenbraten, hausgemachte Würste, Bauernkartoffeln mit Speck, buntes Grillgemüse. Ringsum sitzen Gäste auf Bierbänken und Strohballen, verkosten Wein und schlemmen.

Ein Hund, der an der Leine vorbeigeführt wird, schnappt sich kurz entschlossen einen Müllsack mit Essensresten. Alles lacht! Am Wochenende darauf, erzählt Vasile, wird er auf dem Kastanienfest in Baia Mare kochen: „Marinierte Muscheln mit knuspriger Bröselkruste, eine Schicht Kastanienpüree obendrauf - leicht süßlich und etwas pikant.“

Wenn Vasile vom Essen spricht, gleitet sein Blick ins Schwärmerische ab. Der melancholische Zug um seinen Mund verschwindet. Auf Festivals Kochen ist sein Hobby, seit er 2014 drei Runden in der TV-Kochshow „MasterChef“ gewann und seither als Mitglied von ACEEA – der größten gastronomischen Kulturvereinigung in Rumänien - an Wettbewerben im ganzen Land teilnimmt.

Inniges Gebet unter dem Busch

Seine Leidenschaft zum Kochen entdeckte der junge Mann in Wien. In dem Lokal, das ihn als Tellerwäscher anstellte, freundete er sich mit dem alten Küchenchef an, beobachtete jeden Handgriff, fest entschlossen, sich alle kulinarischen Geheimnisse abzuschauen und anzueignen. „Es gab viel Fleisch mit Soße, viel Kartoffeln. Besonders beeindruckt war ich vom Spanferkel, das auf der Sommerterrasse gegrillt wurde.“

Dass der ehrgeizige rumänische Küchenhelfer im Park schlief, wusste dort anfangs niemand. Bis es eines Tages zu Dienstschluss in Strömen regnete und ihn die Chefin mit dem Auto mitnehmen wollte. Sie vermittelte ihm spontan einen Schlafplatz in einer Garage und später ein Zimmer. Ein Jahr blieb Vasile Hotca in Wien, dann bekam er Heimweh. „Wäre ich länger geblieben, hätte ich mehr gelernt“, bedauert er heute. „Wien hat mir gut gefallen“, fügt er an, „immer wenn ich Freizeit hatte, unternahm ich lange Spaziergänge im Schlosspark von Maria Theresia.“ Es war die Einsamkeit, die ihn nach Hause zurück trieb.

Vasile erzählt von seiner Kindkeit in Baia Mare. Schöne Erinnerungen sind es nicht: die Mutter geschieden, als er fünf war, vom Stiefvater regelmäßig verprügelt, acht Klassen Schule, zwei Jahre Berufsschule, dann Bäcker ohne Job. „Das Leben hat mich gelehrt, mit Schwierigkeiten zurechtzukommen. Ich weiß, wie es ist ohne Brot. Ich weiß, wie sich ein Mensch fühlt, der einen Monat lang sein Hemd nicht wechseln konnte.“ Da ist er wieder, der melancholische Zug, der in seltsamem Kontrast zu seinem Blick steht: ein wenig trotzig, doch mit weichen, sanften Augen.

In Baia Mare backt er an manchen Feiertagen Striezel für die Armen oder kocht für ein Altersheim, sammelt Kleider für bedürftige Familien. Vor zwei Jahren schuf er mit Freiwilligen für eine arme Familie in Târgu Lapuș, denen es ins Haus regnete, ein neues Heim. „Ich habe Freunde per Facebook mobilisiert, wir haben Materialien gesammelt und in einem Monat ein neues Haus von A bis Z aus dem Boden gestampft“, strahlt Vasile. „Nur Leute, die wissen, wie schwer das Leben ist, tun so etwas“, fügt er leise an.

Ob er gläubig ist? Vasiles Blick hellt sich auf: „Ich hab oft unterm Busch gebetet, wenn es geregnet hat“, gesteht er. „Und ich weiß: Gott hat mich erhört! Ohne Gott geht gar nichts, aber man muss ihn spüren - und ihm danken, wenn es einem gut geht, nicht nur bitten in schlechten Zeiten.“

Schritt für Schritt

Ein paar Monate nach der Rückkehr aus Österreich geht Vasile Hotca nach Italien. Mailand, Neapel, Sardinien, Sizilien. Zehn Jahre jobbt er dort, erst als Küchenhilfe, dann als Pizzabäcker, im letzten Jahr als Koch. Italienisch zu lernen fiel ihm leicht. Die italienische Küche begeistert ihn noch heute. „Man kocht leicht und schnell und alles ist frisch, nichts kommt aus der Gefriertruhe. Es ist die beste Küche der Welt!“ Er lernt, Salate und raffinierte Gerichte mit Tintenfisch und Meeresfrüchten zuzubereiten. Und sie zu essen: „Muscheln hab ich früher immer abgelehnt, so was kannte ich nicht.“

Vasile erzählt, wie er nach seiner Rückkehr in der Sendung „MasterChef“ gelandet ist. „Ich wollte Geld verdienen, hatte aber keine Firma, also bin ich auf einem Festival zu einem Stand gegangen und hab dem Besitzer angeboten, für ihn Strudel zu machen“ - „placintă creață“, erinnert er sich, ein Rezept aus der Maramuresch, der Teig nur aus Mehl und Wasser, hauchdünn, gefüllt mit Käse, Dill, Kartoffeln oder Kohl.

„Ich warf den Teig hoch, wie der Pizzabäcker in Italien“, lacht Vasile. Die Show sorgte für Aufmerksamkeit und auch seine Kochkünste fanden begeisterte Fans. Immer mehr Leute empfahlen ihm, sich bei „MasterChef“ zu bewerben. Drei Etappen hat er dort gewonnen, die Show war ein Türöffner: Vasile wird Mitglied bei ACEEA, nimmt an Reisen in die Ukraine, nach Italien und Griechenland teil.

Endlich fand er auch zuhause einen Job: „Es war ein Selbstbedienungslokal, wo über tausend Portionen gekocht wurden – aber immerhin alles frisch.“ Beharrlich arbeitet er sich stetig hoch. „Ich wollte ein professionelles Niveau erreichen - aus eigener Kraft. Und ich will weiter hoch, aber Schritt für Schritt, denn dabei soll man sich nicht beeilen.“

Besucht man Vasiles Facebook-Seite - Vasile Hotca (Vasy), Chefkoch im L’Ulivo in Baia Mare – ist der Anfänger nicht mehr zu erkennen. Statt dessen läuft einem beim letzten Posting das Wasser im Mund zusammen: zartrosa Shrimps mit Jakobsmuscheln, fein angerichtet auf einem Klecks Soße, links ein Salatbukett, rechts ein Nest schwarzer Nudeln - Haute Cuisine!

Keine Pläne – hehre Träume

Vasile heiratet. Leider hält die Ehe nicht. Doch sein achtjähriger Junge ist sein ganzer Stolz. Wieder allein, wieder frei - wieder einsam. Darüber helfen auch die vielen Freunde nicht hinweg. „Ich wünsche mir eine Partnerin, mit der ich zusammen kochen kann, zusammen arbeiten, zusammen unterwegs sein“, gesteht Vasile. Sein Traum: Irgendwann will er sich ein als Küche eingerichtetes Wohnmobil kaufen und durch ganz Rumänien ziehen, um alte Rezepte zu sammeln und für die Nachwelt zu bewahren.

„Ich will mit Leuten aus dem Dorf auf ihrem Hof zusammen kochen – und es dann auf Facebook und Youtube der ganzen Welt zeigen“, schwärmt er. „Und später vielleicht durch ganz Europa touren.“ Traditionelle Rezepte gehen verloren, weil sie keiner mehr praktiziert, motiviert Vasile Hotca. Und kritisiert: „Heute wollen alle Fine Dining, doch nichts hat mehr Geschmack. Nur Design und viel Gelatine! Ein Essen, das im Mund und im Kopf in Erinnerung bleibt, gibt es kaum noch.“

Doch nicht nur die Bewahrung von alten Rezepten, auch kreatives Kochen begeistert ihn. Lieblingsgerichte sind Krautwickel mit „pasat“ (einem gröberen Maismehl), gebratener Maisbrei mit Sesamkruste, Suppen, Strudel und Käsecreme mit Bärlauch, auch mit Sauerampfer oder Brennnesseln experimentiert Vasile gerne.

Im November geht es dann von Baia Mare direkt nach Paris! Das Restaurant liegt gegenüber der Philharmonie, derzeit sei es noch im Bau, verrät er. „Symphony“ soll es heißen, Küche: italienisch. Die Geschichte der Besitzer, einem Paar aus der Maramuresch, das vor 15 Jahren ausgewandert ist: Der Mann, Inhaber einer Baufirma, hatte einen Prä-Infarkt erlitten. Auf dem Krankenbett nahm er sich vor, seiner Frau den Wunsch ihres Lebens zu erfüllen - ein eigenes Restaurant.

„Sie wollen es fünf Jahre lang aufbauen und sich dann in Südfrankreich zur Ruhe setzen.“ Wo er sich selbst in fünf oder zehn Jahren sieht? Vasile seufzt leise: „Ich mache keine langfristigen Pläne... Ich hatte einen Kollegen, dem ist in der Küche plötzlich schlecht geworden. Hirntumor.“
„Ich bin glücklich“, sagt Vasile unvermittelt. Fügt an: „Nur leider allein.“ Doch wenn der liebe Gott Gebete unter einem Busch im Regen in Wien erhört, dann bestimmt auch aus einer Gourmetküche in Paris...