Von der ADZ zum Wall Street Journal

Eine Journalistin mit Nomadenblut berichtet über heiße Themen

Valentina Pop bei „The Wall Street Journal“

Valentina Pop nimmt den Preis „Europäischer Journalismus“ der Evens-Stiftung (Belgien) in Empfang (2013) Foto: privat

Valentina Pops Artikel in der ADZ vom 24. Mai 2005 Foto: Laura Căpățână Juller

Als junge Absolventin der Journalismus-Hochschule der „Babeș-Bolyai“-Universität aus Klausenburg/Cluj-Napoca begann Valentina Pop im Jahr 2004 mit ihrer Arbeit bei der ADZ. Es folgten Anstellungen in der rumänischsprachigen Presse, danach Beiträge für „The Economist“ und „EUobserver“, die sie von Berlin und später von Brüssel aus schrieb. In der belgischen Hauptstadt lebt sie noch heute. Pops Sonderbeiträge (breaking stories) zu EU-Themen, über die Welt der Brüssler Bürokratie, persönliche Geschichten über die Flüchtlingskrise sowie Artikel über Terrorismus haben ihr mehrere Auszeichnungen eingebracht. Über das Leben von Valentina Pop konnte ADZ-Redakteurin Laura Căpățână Juller Näheres erfahren.

Was war dein Ziel als du die Uni beendet hast?

Ich wollte nach Bukarest ziehen und im Print-Journalismus arbeiten. Ich hatte mich für einen Dokumentaristen-Job bei der „Academia Cațavencu“ beworben und sah, dass auch die ADZ junge Journalisten suchte. Mit dem „Cațavencu“-Job klappte es leider nicht, aber als ein Jahr später der „Cotidianul“ gekauft wurde, boten sie mir eine Anstellung an, um über die EU-Politik zu berichten. Das war 2005, und Personen mit Fremdsprachenkenntnissen waren damals sehr gefragt.

Dein erster Job war bei der ADZ. Woran erinnerst du dich noch?

Die Redaktion war wie eine Zeitreise in ein Dekor, das ich noch aus Familienalben kannte. Das überdimensionierte Pressehaus mit langen, kalten Korridoren, knarrenden Holzmöbeln, alten Computern oder sogar Schreibmaschinen, die einige Redakteure noch benutzten. Und das Rauchen im Büro, das immer noch erlaubt war. Die Menschen waren unglaublich warmherzig. Ich kann mich noch erinnern, dass ich eines Tages eine Blinddarmentzündung hatte, kaum laufen konnte und Herr Reichrath alles liegen ließ und mich mit seinem Auto zum Krankenhaus fuhr. Er sagte mir, dass ich ihn an ihn selbst erinnerte, als er jung war.

Von Annett Müller hab ich das A und O des Journalismus gelernt – aus dem Büro rausgehen, mit Leuten sprechen, ihre Geschichte erzählen, und warum sie für die Leser relevant ist. Im Sommer 2004 schickte sie mich auf eine Reportage-Serie über die aussterbenden Jobs in Bukarest. Ich kann mich immer noch an die Stickereien der Aufzug-Frau im Nationaltheater erinnern, die berühmte wie unbekannte Leute mit dem Aufzug hoch- und runterfuhr.

Wolltest du ins Ausland? Für welche Publikation wolltest du schreiben?

Erst wollte ich nach Bukarest, aber nach fünf Jahren wollte ich weg. Vielleicht habe ich Nomadenblut, keine Ahnung. Es scheint durchdacht, aber eigentlich war es mehr eine Reihe von Zufällen. Als ich bei „Cotidianul” war, habe ich auch angefangen, auf Englisch zu schreiben, erst für „Southeast European Times”, dann für „The Economist”, und mir wurde klar, dass die rumänische Presse nie die Qualität der englischen oder amerikanischen Presse erreichen wird. Für eine Weile wollte ich einfach nur für ausländische Zeitungen schreiben, aber Rumänien ist dafür nicht gerade das attraktivste osteuropäische Land, und eine englische oder amerikanische Zeitung stellt selten lokale Journalisten ein – eher schickt sie einen Korrespondenten, der dann mit lokalen ‚Stringern’ arbeitet. Und ein Leben lang Stringer bleiben wollte ich nicht. Ich hatte immer die EU-Politik verfolgt und darüber hinaus auch für den „EUObserver” aus Rumänien gearbeitet. In 2008 bekam ich ein Job-angebot aus Brüssel. Ich war damals schon bei „NewsIn”, und sie wollten jemanden nach Brüssel schicken, weil sie dort keinen Korrespondenten hatten. Das war eine goldene Gelegenheit für mich, und ich hatte keine Zweifel, dass ich das tun soll.

Eine Arbeit für „The Wall Street Journal“ – war das so geplant?

Nein, das kam völlig unerwartet. Stephen Fidler, der Bürochef des WSJ Brüssel, bot mir den Job im November 2014 an. Gleichzeitig kriegte ich ein Angebot von „Politico”, die gerade ihre Europa-Ausgabe starteten und versierte Brüssel-Journalisten suchten. Ich nahm mir Zeit, überlegte gut und entschied mich für WSJ, weil das eine der großen amerikanischen Zeitungen ist. Aber es war ein Kulturwechsel. „EUObserver” war wie eine Familie, wir waren alle gut miteinander befreundet. Es fiel mir schwer, mich von ihnen zu trennen. Natürlich sind wir immer noch befreundet, aber jetzt ist es anders. Der Wechsel war wie von einem Schlauchboot, in dem du mit Freunden auf einem kleinen Bach ruderst, auf ein gigantisches Kreuzfahrtschiff im Ozean.

Woher dein Interesse an europäischer Politik?

Ohne EU- und NATO-Mitgliedschaft wäre Rumänien heutzutage eine Version von Moldova, der Ukraine oder Belarus. Das habe ich immer im Hinterkopf, auch wenn EU-Entscheidungen manchmal frustrierend sein können. Und für Europa selbst gilt das auch. Zwei Weltkriege, unzählige Tote. Unsere Geschichte ist voller Beispiele, was Nationalismus, Rassismus, Xenophobie und Anti-Semitismus alles tun können. Da habe ich die graue Brüsseler Bürokratie lieber.

Was ist dein Lieblingsthema?

Die Menschen, was sie antreibt, im Guten wie im Schlechten. Die Geschichte eines syrischen Vaters, der seine Tochter fast verlor, als sie in einem überfüllten LKW wegen Luftmangels ohnmächtig wurde. Wie er ein Küchenmesser ergriff, um ein Loch in der Plane, mit der der LKW bedeckt war, zu schneiden. Wie glücklich er war, als sie wieder zu sich kam, nachdem er sie minutenlang mit dem Gesicht gegen das Loch hielt. Wie er sogar, als sie später von der Autobahnpolizei entdeckt und verhaftet wurden, immer noch glücklich war und lächelte, weil sie alle am Leben waren.

Oder die Psychologie des Terroristen. Was einen Menschen treiben kann, Eltern oder Freundin zurückzulassen, um in den Krieg zu gehen und Leute zu enthaupten, im Namen des Islamischen Staates.

Was war dein gefährlichster Auftrag?

Terrorismus. Im Haus eines Terror-Verdächtigen, in das wir von einem Nachbarn hereingelassen wurden, um Fotos von der eingedrückten Tür zu machen, wurde ich von einem Kumpanen des Verdächtigen die Treppe hinuntergeschubst. Es ist nichts passiert, aber meine Kollegen mussten mich schnell von dort wegbringen, denn ich wollte noch mit diesem Typen streiten, weil er eine Frau geschubst hat.

Und was war der spannendste?

Als ich im August 2015 in Wien landete und direkt zum Hauptbahnhof ging, um mit den Flüchtlingen, die aus Budapest kamen, zu sprechen. Eine Frau aus Aleppo, mit zwei Kindern, war so schockiert, dass sie mit Blumen und Spielzeug und klatschenden Menschen empfangen wurden. Warum klatschen sie? fragte sie mich. Sie wollen euch zeigen, dass ihr willkommen seid. Fast-forward ein paar Monate, leider gab es keine Kekse und klatschende Österreicher. ,Grenzen dichtmachen´ war nun das Motto.

Du hast einen kleinen Koffer immer bereit, falls du spontan auf Dienstreise geschickt wirst. Klingt spannend. Stellst du dir vor, dein Leben lang den Koffer bereitzuhalten?

Ja. Nomadenblut, wie gesagt.

Was ist dein Traum?

Ein kleines Haus am Meer, in dem ich Kurzgeschichten schreiben kann, die im ,New Yorker´ erscheinen. Das ist mein Traum.

Wie sieht denn ein Arbeitstag bei dir aus?

Bitte nicht zu früh aufstehen. Obwohl ich bei „EUObserver“ jeden Tag um sieben Uhr wach sein musste, weil wir morgens bis 9.30 unsere Artikel einschicken mussten. Das ging von zu Hause aus, jetzt gehe ich ins Büro, normalerweise 9.30-10 Uhr, und dann bleibe ich bis spät in die Nacht, wenn ich eine Story habe, denn New York könnte immer noch Fragen haben – die dann natürlich auch von zu Hause aus beantwortet werden können.

Wie denkst Du über die rumänische Presse?

Leider ist die Qualität seit den 2000er-Jahren immer weiter den Bach runtergegangen. Was mir Hoffnung gibt, sind die unabhängigen Investigationsjournalismus-Initiativen wie „Casa Jurnalistului“ oder „RISE Project“. Aber in Rumänien ist Journalismus entweder ein schlecht bezahltes Leidenschafts-Projekt, oder mehr oder weniger gutbezahlte Propaganda. Kein Wunder, dass heute so wenige junge Leute Journalisten werden wollen.

Planst Du, nach Rumänien zurückzukehren?

Vielleicht für das kleine Haus ans Meer. Aber das wird eher für die Rente sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch!