Wachhund der Demokratie oder Polit-Kabarett?

Medien-Monitoring 2015 für Rumänien: Trends in der politischen Berichterstattung

Der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk eröffnete die Pressekonferenz des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Foto: Nina May

Diagramm 1: Parteien und Institutionen (aus der Studie, PDF unter www.kas.de/medien-europa/de/publications/44528/)

In Rumänien stehen sich Medien und Politik zu nahe, wird vielfach kritisiert. Hinzu kommt, dass sich für Printmedien eine düstere Zukunft abzeichnet: Tageszeitung liest von den jungen Leuten heutzutage kaum noch jemand. Eine Meinung bildet man sich online, meist durch „Freunde“ auf Social Media. Auch im Fernsehen haben politische Sendungen eher unterhaltenden als aufklärenden Wert. Wer „Antena 3“ guckt, tut dies, weil er „den Gâdea“ sehen will, den scharfzüngigen Redakteur, der durch Spott unterhält – auch eine Art Meinungsmache. Auf der Rangliste der Pressefreiheit bei „Reporter ohne Grenzen“ rangiert Rumänien 2015 von 180 Ländern auf Platz 52. Deutschland belegt Platz 12, im regionalen Vergleich allerdings schneiden wir vor Kroatien mit Platz 58, Ungarn 65, Serbien 67, Moldawien 72, Bulgarien 106 und der Ukraine 129 weniger schlecht ab. Sind die rumänischen Medien besser als ihr Ruf? Erfüllen sie ihre Aufgabe als Wachhund der Demokratie – oder sind sie zum Polit-Kabarett verkommen?

Am 16. März präsentierte die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zusammen mit dem Center for Independent Journalism (CIJ) mit der dritten jährlichen Pressekonferenz des Medienprogramms Südosteuropa die Studie „Medien-Monitoring 2015: Trends in der politischen Berichterstattung in Rumänien“, die rumänischen Medien auf den Zahn fühlt. Untersucht wurden 19.162 politische Nachrichten in vier Tageszeitungen („Adevărul“, „Evenimentul Zilei“, „Jurnalul Naţional“ und „România Liberă“) und vier Fernsehsendern („Antena 1“, „PROTV“, „Realitatea“ und TVR1). Verglichen wird die Häufigkeit, mit der Politiker und Institutionen erwähnt werden, als Maß für deren Sichtbarkeit.
„Zugang zu Information und Urteilsfähigkeit sind Grundvoraussetzungen für Bürger einer Demokratie, um selbstbestimmte politische Entscheidungen treffen zu können“, betont der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk in seiner Eröffnungsrede. Wo also sind die seriösen Medien, an die man sich als Informationssuchender halten kann? Welche Tendenzen sind im Vergleich erkennbar?

Im Prinzip zufriedenstellend

CIJ-Analystin Ioana Avădani interpretiert das Überwiegen von negativen Erwähnungen von Politikern gegenüber positiven zunächst als gutes Zeichen: „Im Großen und Ganzen erfüllen die Massenmedien ihre Rolle als Wachhund der Demokratie“. Am wenigsten negative Kritik entfiel dabei auf Präsident Klaus Johannis und PSD-Chef Liviu Dragnea, am meisten mussten Elena Udrea und Traian Băsescu einstecken. An Sichtbarkeit gewonnen haben gegenüber dem Vorjahr Präsident Johannis, das Parlament und die Antikorruptionsbehörde (DNA).

Politiker an der Medienfront

Die in allen Medien am häufigsten erwähnte Person war 2015 der scheidende Premierminister Victor Ponta mit 25 Prozent – im Vorjahr waren es noch 36 gewesen. Im Vergleich dazu ist die Sichtbarkeit von Präsident Johannis von 14 Prozent auf 19 Prozent gestiegen. Auf diesen folgen Ex-Präsident Traian Băsescu, 2014 noch mit 24 Prozent, 2015 nur noch 10; PSD-Chef Liviu Dragnea mit 8 statt 6 Prozent und Elena Udrea gleichbleibend mit 7 Prozent. Der amtierende Premierminister Dacian Cioloş – 2014 praktisch abwesend – wurde 2015 mit 3 Prozent Häufigkeit erwähnt.
Betrachtet man die TV-Kanäle gesondert, fällt die Reihung ein wenig anders aus: Ponta, Johannis, Udrea, Băsescu, Dragnea. „Realitatea“ erwähnt im Vergleich zu den anderen Kanälen fast alle Politiker am häufigsten, mit Ausnahme von Udrea. Ponta liegt dort mit 34 Prozent an der Spitze, gefolgt von Johannis mit 19, Băsescu mit 10, Dragnea mit 9. TVR1 reiht: Ponta 23 Prozent, Johannis 18, Dragnea 7, Băsescu 5, Udrea 4; „PROTV“: Ponta 22, Johannis 19, Udrea 8, Dragnea 7, Băsescu 5. „Antena 1“ überrascht mit Udrea (14) an der Spitze, Ponta und Johannis bei 12, Băsescu 5 und Dragnea ein Prozent. Bei „Antena 1“ werden am wenigsten Politiker in den Nachrichtensendungen erwähnt.
Bei den Printmedien lautet die Reihung: Ponta, Johannis, Băsescu, Dragnea, Udrea. Aufgeschlüsselt liegt bei „Adevarul“ Ponta mit 35 Prozent an der Spitze, gefolgt von Johannis mit 20, Băsescu und Dragnea mit 10, Udrea mit 6. „România Liberă“ reiht: Ponta 25, Johannis 20, Băsescu 12, Dragnea 8, Udrea 7; „Jurnalul Naţional“: Ponta 30, Johannis 18, Băsescu 9, Dragnea und Udrea 8; „Evenimentul Zilei“: Ponta 18, Johannis und Băsescu 15, Udrea 11, Dragnea 7.

Jenseits von Bukarest alles dunkel

Von den staatlichen Institutionen werden am häufigsten erwähnt: die Regierung mit 20 Prozent, DNA mit 19, die Parteien PSD 18 und PNL 13, das Parlament 13, die Abgeordnetenkammer 6, der Senat 6, dann folgen ein paar Ministerien, der SRI und der Verfassungsgerichtshof, die alle unter 5 liegen. Das Bukarester Rathaus mit 3 Prozent ist ähnlich „uninteressant“ wie die Europäische Union. Und was in Rumänien außerhalb der Hauptstadt vorgeht, bleibt nahezu völlig im Dunkeln: Die lokalen Behörden werden mit 3 Prozent allenfalls im Zusammenhang mit Korruptionsfällen erwähnt. Von 2014 auf 2015 an Präsenz zugenommen haben die DNA mit 12 auf 19 Prozent und das Parlament mit 7 auf 13. Im Fernsehen wird die DNA am häufigsten erwähnt, dann folgen Regierung, Parlament, PSD, PNL, Justizministerium, Senat, Abgeordnetenkammer, Gesundheitsministerium und als Schlusslicht die „Stimme der Straße“.
Bei den Printmedien lautet die Reihung: Regierung, PSD, DNA, PNL, Parlament, Abgeordnetenkammer, Senat, SRI, Justizministerium, Finanzministerium – Demonstranten spielen überhaupt keine Rolle. „România Liberă“ widmet Regierung und DNA besondere Aufmerksamkeit, während „Evenimentul Zilei“ mehr über DNA und SRI berichtet.

Hitliste des schlechtesten Rufs

Politiker werden häufiger im negativen Sinne als positiv erwähnt. Den Haupttreffer der Negativliste landet Elena Udrea mit stolzen -14,5 Prozent, mit einer Spitze im Februar zur Zeit der Verhöre durch die DNA. Positiverwähnungen zu Udrea liegen im ganzen Jahr fast bei Null, mit Ausnahme des Februars – ein Phänomen, das Avădani als Opfersympathie bezeichnet. Das geringste negative Rating entfällt auf Johannis mit -3,7 Prozent. Spitzen im Mai/April, Juni/Juli, September/Oktober/November, korrelieren mit den Diskussionen zu einem neuen Wahlgesetzpaket, dem Konflikt mit Ponta und dem Brand im Club „Colectiv“. Băsescu liegt bei -8,6 Prozent, mit Negativspitzen zur Zeit der Verhaftung Udreas. Bei Gabriel Oprea (-7,8 Prozent) korreliert die Spitze (-43!) mit dem Brand im Club „Colectiv“ und dem tödlich verunglückten Polizisten. Ponta „brilliert“ mit -8,5 Prozent, die Spitze im Juni/Juli erklärt sich mit seinem monatelangen Fernbleiben vom Amt, die im September/Oktober mit dem Prozessbeginn. Dragnea kommt mit 3,8 Prozent glimpflich davon.

Schwarz, weiß, grau

In der Zuordnung von Politikern und Institutionen zu einem positiven, negativen oder neutralen Pol liegen die Tendenzen wie folgt:
Fernsehkanäle:
Bei „Antena 1“ liegt Dragnea nahe am Positivpol, Udrea, PSD und Regierung am Negativpol, Băsescu neutral. Bei „PROTV“ sind Regierung und Parlament negativ, Ponta, Băsescu und Johannis neutral. „Realitatea“ stempelt Ponta, PSD, PNL negativ, Dragnea ist neutral. Bei TVR1 sind Johannis und Ponta neutral, den Negativpol umkreisen die Regierung, PSD und PNL. Als Überraschung bezeichnet Avădani, dass Dragnea bei allen TV-Kanälen relativ nahe am Positivpol liegt, Johannis im eher neutralen Bereich und Băsescu eher negativ.
Printmedien:
Bei allen vieren ist der Positivpol vereinsamt. „Adevărul“ hat Ponta und die PSD am Negativpol; Parlament und Regierung neutral. „Evenimentul Zilei“ sieht Johannis neutral, Ponta und PNL negativ. „Jurnalul Naţional“: Băsescu negativ, Johannis neutral. „România Liberă“: Oprea, Ponta, PSD negativ, PNL und Regierung neutral.

„Verhaftungen – möglichst in Unterhose!“

Auf die Vorstellung der Studie folgte eine von Christian Spahr (Leiter Medienprogramm Südosteuropa KAS) moderierte Paneldiskussion mit Dan Tăpălagă ( „Hotnews“), Ioana Avădani (CIJ), Sven-Joachim Irmer (KAS-Rumänien/Rep. Moldau) und Gelu Trandafir (Freedom House Rumänien). Inwiefern rumänische Medien ihre Aufgabe als „Wachhund der Demokratie“ erfüllen, erklärt Tăpălagă anhand eines Histogramms: Institutionen, die Schlüsselentscheidungen treffen, etwa das Gesundheits- oder Bildungsministerium, sind darin grob unterrepräsentiert. Statt dessen steht „Parteien-Blabla“ im Blickpunkt. Der Schwerpunkt auf den Parteien lässt sich mit der finanziellen Unterstützung der Medien durch politische Akteure erklären. Beim Fernsehen werden inhaltsleere Polit-Talkshows als Selbstdarstellungsplattformen kritisiert – Goldesel für die Sender, die wenig Aufwand erfordern. Der Wahrheitsgehalt solcher Sendungen ist fragwürdig und wäre mal eine separate Untersuchung wert, bemerkt Tăpălagă. Nachrichtensendungen manipulieren weniger durch den Inhalt, jedoch durch Auswahl der Themen.

„Warum werden Bürgermeister im TV kaum kritisiert?“, fragt sich Avădani. Antwort: Sie verfügen über ein Budget für Werbung. Werbefinanzierung stellt ebenfalls einen Einflussfaktor auf Medien dar.
Auch Irmer kritisiert das Infotainment im Fernsehen: Missgeschicke, Korruption, Liebschaften... “Man interessiert sich für die Aktivitäten des Bürgermeisters nur, wenn er verhaftet wird – und dann möglichst in Unterhose!“ Die Inhalte der Parteiprogramme stellt niemand vor und kaum ein politischer Kandidat wird gefragt: „Was wollen Sie für Rumänien erreichen?“

Sind Online-Medien „sauberer“?

Was ist die Ursache für die Krise von Presse und TV im Vergleich zu Online-Medien? Der Brand im Club „Colectiv“ verdeutlicht den Unterschied: Nur die Social Media zeigten real, was auf den Straßenprotesten passierte, so Tăpălagă. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Interaktivität. Nachrichten werden nicht nur konsumiert, die Meinung der Öffentlichkeit, Zusatzinfos und Gegenargumente können nicht ausgeblockt werden. Etablierte Medien verlieren hingegen weiter die Bindung zum Bürger: Letztes Jahr hielten nur 28 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage die rumänische Presse für frei! Auch die Abkoppelung vom Fernsehen zeigt sich am Beispiel „Colectiv“: Während Straßenproteste gegen Politiker sich sonst stets auch gegen TV-Sender richten, waren sie erstmals kein Thema. „Weil sie unwichtig geworden sind!“, schlussfolgert Tăpălagă.

Ein Vorteil der Online-Interaktivität ist die Möglichkeit zu Sanktionen: „Likes“ können zurückgenommen, Kritiken per „Share“ verbeitet werden. Avădani erinnert eine animierte Karikatur nach dem Versuch Dragneas, das Internet zu beschränken: Ein Säufer torkelt auf eine alte Dame zu und will ihr die Handtasche entreißen – doch er stolpert, fällt hin, und die Alte verprügelt ihn mit der Tasche. Auf der Figur des Betrunkenen steht „Dragnea“, auf der Dame „Facebook“ und auf der Tasche „Online“.
Doch der Nachteil des interaktiven Kommunikationsstils liegt auf der Hand: Social Media haben „oralen“ Charakter, nahe am Gerücht, kritisiert Avădani. Quellen werden selten hinterfragt. Was von „Freunden“ kommt, gilt als glaubwürdig.

Den Bürger nicht vergessen

„Wie sollen Politiker die Medien besser nutzen?“ will Spahr von der Runde wissen. Mehr Inhalt statt Gelaber, fordert Trandafir. Erkennen, dass die Presse kein Dienstleister für Politiker ist, ergänzt Tăpălagă. Avădani erwähnt Cioloş als Positivbeispiel: Auf seiner Facebookseite antwortet der Premier auf dringliche Fragen, ohne sich an endlosen Diskussionen zu beteiligen. Irmer kritisiert die allzu offen zur Schau gestellte Mentalität der Politiker, den Staat als Selbstbedienungsladen zu sehen: „Ich würde mich zurückziehen und mal definieren, wieso es meine Partei gibt“, rät er. Kritisiert wird auch die Gewohnheit, Politikern überall das Mikro vor die Nase halten. „Man muss nicht ständig antworten!“ so Irmer. Pressefragen könnten auf Veranstaltungen – etwa nach dem Modell der Bundespressekonferenz – effizienter gebündelt werden.
Deutschland als Beispiel? Auch dort gibt es Probleme, räumte Botschafter Lauk in seiner Rede ein. Allerdings reagierten die Medien auf die Vertrauenskrise prompt – mit mehr Raum für Leserbriefe, mehr Transparenz bei der journalistischen Arbeit. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind die Existenzgrundlage des hochkompetitiven Medienmarktes, erinnert Lauk. Und ergänzt: Es könne nicht schaden, ab und zu mal die Wirkung auf den Bürger zu prüfen.