Wanderer zwischen zwei Kulturen

Ein Gespräch mit dem Diplom-Volkswirt und Unternehmer Hans Prömm

Zwei Wochen in Deutschland, zwei Wochen in Rumänien, über Jahre hinweg – das dürfte anstrengend sein. Oder macht es sogar Spaß?  Hans Prömm scheint von der zweiten Variante überzeugt zu sein. Er wurde in Weidenbach/Ghimbav bei Kronstadt/Braşov geboren und übersiedelte 1985 mit der Familie nach Deutschland, wo er nach dem Abitur die Offizierslaufbahn einschlug. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Staatswissenschaften an der Universität der Bundeswehr und nahm Mitte der neunziger Jahre am IFOR-Einsatz auf dem Balkan teil. 1997 wechselte er in die freie Wirtschaft und machte dort Karriere, bis zur Position des Geschäftsführers der Philips Oral Healthcare Deutschland GmbH. 2005 kaufte er dann – gemeinsam mit Werner Braun, dem jetzigen Vorsitzenden des Deutschen Wirtschaftsklubs Kronstadt (DWK) – die Firma Caditec GmbH & Co KG und war am Aufbau des rumänischen Standorts in Kronstadt maßgeblich beteiligt. 2007 – 2010 widmete sich Prömm in Deutschland als geschäftsführender Gesellschafter der HEEAG GmbH dem Thema „Erneuerbare Energien“, kam 2011 aber wieder nach Rumänien, um bei Caditec den Aufbau der Fertigung von Präzisionsfräs- und Drehteilen zu übernehmen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt abwechselnd in Hamburg und in Kronstadt. Mit Hans Prömm führte ADZ-Redakteurin Christine Chiriac folgendes Gespräch.

Herr Prömm, welche Gründe haben Sie dazu bewegt, gleich nach der Auswanderung in die Bundeswehr einzutreten?

Nun, ich hatte schon immer ein Faible für das Militärische, weil mich die gewaltige Kraft des geplanten, koordinierten und diszipliniert geführten Zusammenwirkens von Tausenden einzelnen Menschen – das ist eine Armee – schon als Kind faszinierte. Ich schätze klare und effiziente Strukturen und Prozesse, ehrliche Lagebeurteilungen ohne Wunschdenken und höfliche Umschreibungen, eindeutige Entschlüsse sowie den unbedingten Willen, gesetzte Ziele zu erreichen. Mein Ideal damals war der preußische Offizier, und so einer wollte ich gerne werden. Deswegen war für mich die Offizierslaufbahn der erstrebenswerteste „Beruf“ überhaupt. Erst nach und nach habe ich dann festgestellt, dass die Bundeswehr ein Abbild der Gesellschaft ist – nicht so homogen und „preußisch“, wie in meinen Jugendvorstellungen.

Trotzdem verdanke ich dem Militär sehr viel: Wenn man beispielsweise mit 20 Jahren Zugführer wird und Verantwortung für 40 Menschen und teures Material bekommt, dann kann man das Managementhandbuch gar nicht so schnell lesen, wie Entscheidungen von einem abverlangt werden. Ich durfte Menschenführung, Krisenmanagement und Durchsetzungsvermögen sehr real üben und lernen. Außerdem habe ich bei der Bundeswehr Volkswirtschaftslehre studiert und viele Zusatzausbildungen gemacht. Was mich menschlich sehr geprägt hat, war der IFOR-Einsatz von 1996 im ehemaligen Jugoslawien. Ich konnte nicht glauben, dass sich Nachbarn plötzlich gegenseitig abschlachten, mitten im heutigen, „modernen“ Europa. Aber es ist geschehen und ich befürchte, dass Menschen immer wieder dazu in der Lage sein werden.

Wie verlief Ihre zivile Tätigkeit?

Meine Zeit nach der Bundeswehr könnte ich als Bilderbuchkarriere bezeichnen: Ich war zwei Jahre lang Assistent, dann vier Jahre Prokurist/Abteilungsleiter und schließlich zwei Jahre Geschäftsführer. Ich hätte wahrscheinlich bis zur Pension so weitermachen können, aber der Drang, „etwas Eigenes“ zu machen, hat mich nicht losgelassen. Deswegen  habe ich mich an Caditec  beteiligt und so „musste“ ich nach 19 Jahren, im Dezember 2004, zum ersten Mal nach Rumänien zurückkehren.

Welches waren Ihre ersten Eindrücke?

Ich kannte das Bukarest des Jahres 1984, eine elende, graue Stadt, in der es nachts keine Beleuchtung gab. Bei der Landung in Otopeni fiel mir als erstes auf, dass nun alles hell war. Ich musste lächeln, aber gefallen wird mir Bukarest nie. Dann fuhren wir in Richtung Kronstadt. Beim Anblick des alten Bahnhofs in Sinaia bekam ich Gänsehaut: Längst vergessene Erinnerungen kamen hoch. Bei der Einfahrt in Kronstadt hatte ich Tränen in den Augen.

In der Stadt selbst und in Weidenbach erkannte ich die Häuser, in denen früher Bekannte und Freunde, Siebenbürger Sachsen, gelebt hatten. Ich kam mir vor wie „im verlorenen Land“, das von mir fremden Menschen in Besitz genommen worden war. Die Häuser sind jetzt anders gestrichen, als wir sie gestrichen hatten, das Dorf- und das Stadtbild haben sich verändert. Die kleinen Bächlein wurden zugeschüttet, die Birnenbäume sind verschwunden und die Straßen asphaltiert. Aus den mittelalterlich, deutsch-sächsisch geprägten Ortschaften ist eine Art ungeordnete Moderne geworden, die ihren Stil noch finden muss.    

Sind Sie heute noch melancholisch, wenn Sie nach Rumänien kommen?

In den Anfangsjahren war ich ziemlich verschlossen und kam nach Kronstadt strikt auf Dienstreise, ohne am sozialen Leben teilzunehmen. Die Enteignungen und Ungerechtigkeiten, die unserer Familie – wie allen Siebenbürger Sachsen – in Rumänien und durch Rumänen angetan wurden, konnte ich nicht verdrängen. Ich musste erst lernen, nach vorne zu blicken, bzw. die vielen warmherzigen rumänischen Kollegen und Freunde um mich herum brachten es mir bei. So habe ich, peu à peu,  mit dem Land und den Leuten Frieden geschlossen und in der bunten Mischung, im derzeit noch „Unfertigen“, immer mehr Positives entdeckt – vornehmlich die vielen Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, die es in sehr geordneten Gesellschaften nicht mehr gibt. In Rumänien zu leben und zu arbeiten ist mir keine Last mehr. Im Gegenteil, ich freue mich, dort wo unsere Vorfahren vor 800 Jahren begonnen haben, ebenfalls etwas Neues gründen zu können.

Sie sagten, „etwas Eigenes“ aufzubauen sei für jede Karriere die Krönung. Gilt das auch in Rumänien?

Es gilt überall, denn solange man einen Chef, einen Vorstand oder einen Aufsichtsrat hat, ist man nicht wirklich selbstständig. Nur wer aus dem Nichts etwas aufbauen und sich selbst und andere davon ernähren kann, ist ein echter Unternehmer. In Deutschland oder in Rumänien oder in Kasachstan – die Selbstständigkeit bleibt für mich das Höchste.

Inwiefern lässt sie sich hierzulande umsetzen?

Es ist klar, dass in Rumänien auch im wirtschaftlichen Bereich nicht alles so reguliert und zuverlässig läuft, wie in Deutschland.  Hier ist es fast unmöglich, einen Terminkalender einzuhalten. Als wir in Kronstadt anfingen, gab es ständig Stromausfälle, Probleme mit dem Internet, adäquate High-Tech-Büros waren nicht zu finden. Die 3D-Konstruktion war noch nicht in allen Betrieben „angekommen“, einige zeichneten noch auf dem Reißbrett. Das hat sich heute geändert, die Unternehmen, die überlebt haben, sind in der Regel auf neuestem Stand.

Ein Dauerproblem ist aber der kontinuierliche „Braindrain“ der guten rumänischen Ingenieure in Richtung Westen, dem  wir als kleine Firma nichts entgegensetzen können. Rumänien scheint ein Land für Menschen mit sehr viel Tatkraft und Schaffensdrang, mit Idealismus und Durchhaltevermögen zu sein. Um hier erfolgreich zu arbeiten und zu leben, muss man sehr spontan und flexibel sein und Unsicherheit aushalten können. Manche überfordert das jedoch und sie wandern lieber aus. Damit sich das ändert, und die Menschen im Land bleiben, sollte sich der Staat  weiter bemühen, Rechtssicherheit zu garantieren und Kleinunternehmer und  Mittelstand zu stärken. Es müssten weiterhin ausländische Investoren angeworben werden, und zwar nicht nur „die ganz Großen“ unter ihnen.

Ein zusätzliches Problem aller Unternehmen – und meines Erachtens eins der größten Versäumnisse der rumänischen Regierungen nach der Wende – ist der Mangel an Facharbeitern. Die körperliche Arbeit, das Handwerk – das, was der Engländer „Blue-Collar-Job“ nennt – wird hier als minderwertig betrachtet. Es herrscht die Mentalität, dass „mein Kind“ unbedingt Akademiker werden muss. Warum denn nicht auch Mechatroniker, Dreher oder Fräser? Aber langsam tut sich etwas, die Regierung wacht auf, in Kronstadt haben sich die Unternehmen selbst geholfen und gemeinsam mit dem Deutschen Wirtschaftsklub die Berufsschule Kronstadt gegründet. Ich hoffe, dass sie im ganzen Land Nachahmer finden wird.

Wie sieht das Leben aus, wenn man zwischen Deutschland und Rumänien „pendelt“?

Mir gefällt es im Moment sehr gut. Ich genieße die Vorteile beider Gesellschaften: Wenn ich zu Hause in Deutschland  bin, läuft alles geordnet und  geplant, ich führe ein ruhiges Leben und widme der Familie viel Zeit. Hier in Rumänien gibt es dann so viel zu tun, dass man zwei Wochen durcharbeiten könnte. Egal, wie Sie den morgigen Tag planen – es kommt immer etwas dazwischen.
Den Mentalitätsunterschied zwischen den beiden Völkern will ich so umschreiben: Die Deutschen verstehen unter „ich will“ eine Entscheidung zum schöpferischen Tätigwerden. Wenn der Deutsche  sagt „ich will“, dann bedeutet das, „ich werde es tun“. Die Rumänen sagen oft  „ich will“ und meinen damit „ich wünsche mir, dass es geschieht“. Natürlich ist das eine Verallgemeinerung, aber Menschen mit Willenskraft wurden im sozialistischen Rumänien nicht gerade gefördert und da muss das Land jetzt umso mehr aufholen.

Und was versteht der Siebenbürger Sachse unter „ich will“?

Meiner Meinung nach sind die Siebenbürger Sachsen die „echteren“  Deutschen, weil sie noch mehr Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl und Willenskraft haben. Meine Siebenbürger Sachsen sind generell nicht besonders schnell, wenig diplomatisch und lieben eher die klare Ansage als die feinfühlige Konversation. Worauf man sich aber bei ihnen immer verlassen kann: Durchsetzungskraft, Fleiß und Ehrlichkeit.  

Wie stehen Sie heute im Verhältnis zu Ihren siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln?

Am Anfang war ich fest entschlossen, vor allem in Weidenbach möglichst viel zu tun, um das Erbe meiner Vorfahren zu erhalten. Eine Zeit lang habe ich beispielsweise Rückerstattungsprozesse finanziert, aber das war ein Kampf mit den Windmühlen: In vielen Fällen hat sich herausgestellt, dass das Haus, das man nach einem langwierigen Gerichtsverfahren zurückbekommen hat, kaum noch die Anwaltskosten wert war. Ich habe außerdem für Restaurierungsarbeiten gespendet. Aber immer mehr erkenne ich, dass solch kleine Aktionen langfristig das Verschwinden dieser ehemals deutschen Kulturlandschaft nicht verhindern werden, es sei denn, der rumänische Staat will sie erhalten.

Zwar sind die Siebenbürger Sachsen in Deutschland als „Gemeinschaft der Erinnerung“ noch sehr aktiv – doch das Wachhalten der Erinnerung kann kein siebenbürgisch-sächsisches Leben mehr nach Siebenbürgen bringen. Das Dach, das heute an einer Kirchenburg repariert wird, ist in einigen Jahrzehnten wieder kaputt. Und dann? Wichtig wäre es, die Geschichte der deutschen Städte und Dörfer in der Öffentlichkeit viel sichtbarer darzustellen, sodass sie von der rumänischen Bevölkerung stärker wahrgenommen und als erhaltenswert eingestuft wird. Zum Beispiel sollten deutsche Friedhöfe unter Denkmalschutz gestellt werden oder es könnte an dem einen oder anderen Bahnhof den Hinweis geben, dass im Januar 1945 von dort Siebenbürger Sachsen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden.

Um abschließend in die Zukunft zu blicken: Haben Sie im Bereich erneuerbare Energien auch in Rumänien Erfahrungen gemacht?

Ich habe mich an einem Projekt beteiligt, doch leider bietet die Rechtslage hierzulande keine ausreichende Sicherheit: Der Netzbetreiber ist nicht – wie in Deutschland – verpflichtet, den Strom anzunehmen, den ein Windpark, ein Wasserkraftwerk oder ein Photovoltaik-Park produziert. Man muss also einen Abnehmer finden, wobei die meisten Abnehmer nicht nur dann Strom brauchen, wenn die Sonne scheint oder der Wind bläst, sondern durchgehend. Also muss der Windparkbetreiber auch Strom zukaufen, was in Rumänien noch nicht verzugslos an der Börse möglich ist. Man muss hier den Strom sehr teuer vom Netzbetreiber kaufen, und so gesehen ist das Risiko für den Investor zu groß, denn möglicherweise reichen die Zertifikate gar nicht aus, um eine ordentliche Rendite abzuwerfen. Im Moment kann in Rumänien nur derjenige in erneuerbare Energien investieren, der selber ein Energieversorger-Konglomerat betreibt und somit immer Strom liefern kann.

Rumänien kann aber die Netzbetreiber nicht per Gesetz verpflichten, den „erneuerbaren“ Strom abzunehmen, weil die Netze nicht modern genug sind und in manchen Landesteilen zusammenbrechen könnten. Es ist eine Situation, die nicht unbedingt zum guten Image des Landes und der Politiker beiträgt, deswegen diskutiert man hierzulande wenig darüber. Ich bin gespannt, was der neuen Regierung dazu einfällt.

Nach den politischen Aufregungen des vergangenen Jahres: Inwieweit ist Rumäniens Platz in der EU?

Auf diese Frage hören Sie täglich zu viele verlogene – weil interessengelenkte – Antworten. Die Aufnahme Rumäniens 2004 in die NATO war verfrüht, sie lag im geostrategischen Interesse der USA und über-haupt nicht im Interesse Deutschlands. Die Aufnahme in die EU 2007 wurde als „proaktiver Schritt“ zur europäischen Eingliederung begründet. Tatsächlich befanden sich 2007 alle rumänischen Institutionen (außer der Zentralbank) fest im Würgegriff der bekannten Seilschaften, Korruption war allgegenwärtig, die Gerichte nicht unabhängig und die Exekutive nicht in der Lage, eine effektive Verwaltung zu gewährleisten. Statt das Land erst bei hinreichender „gesellschaftlicher und politischer Konvergenz“ in die EU aufzunehmen, machte man es wie beim Euro: Genau umgekehrt. Man nahm Rumänien in die EU auf und hoffte, damit Konvergenz zu stimulieren. Seit damals sehe ich jedoch keine Anstrengung der Regierungen, diesem Land die langfristigen Grundlagen für eine „vollwertige“ EU-Mitgliedschaft zu schaffen: einen intelligenten und integren Verwaltungsapparat, eine unabhängige Justiz, ein starkes Bildungswesen und das klare Bekenntnis zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten. Insofern gesehen gehört Rumänien genauso in die EU wie z. B. Griechenland, nämlich gar nicht.

Andererseits braucht in Deutschland niemand den Zeigefinger zu heben: Auch dort verteilt das Parteienkartell einen riesigen Kuchen an öffentlichen Geldern, auch dort wachsen die Schuldenberge und dort gibt es vor allem eine immer groteskere „political correctness“, die   manchmal kafkaeske oder diktatorische Züge annimmt. Auch in Deutschland erlebt man „Präsidentenabsetzungen“, deren Stil nicht „deutsch“ genannt werden kann, Manipulation der öffentlichen Meinung über die Medien und auch dort ist ein Verlust an Gemeinsinn, also eine „Balkanisierung“ der Sitten, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zu verzeichnen. Aber, es gibt Hoffnung: Die Euro-Krise wird in den nächsten fünf Jahren zu einer Neuordnung der Europäischen Union führen. Deshalb sollten wir Deutsche heute nicht nach dem Platz Rumäniens in der EU fragen, sondern „Was für eine EU will Deutschland und welche Werte und Regeln sollen ihr Fundament sein?“.