Wandergesellentreffen in Hermannstadt

ADZ-Gespräch mit Dr. Andreas H. Apelt, Bevollmächtigter des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft e.V.

Dr. Andreas H. Apelt, Bevollmächtigter des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft e.V., bei der Eröffnung der Schauwerkstatt 2016 in Hermannstadt.
Foto: Eveline Cioflec

Seit zehn Jahren gibt es im Sommer ein mehrwöchiges Wandergesellentreffen mit einer Schauwerkstatt in Hermannstadt/Sibiu, an dem viele Wandergesellen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz teilnehmen. Das Projekt wurde von der Deutschen Gesellschaft e.V. initiiert, eine der aktivsten überparteilichen Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, die sich für Projekte und Veranstaltungen in den Bereichen Geschichte, Politik, Kultur und Europäische Werte einsetzt. Über das Wandergesellentreffen hat sich ADZ-Redakteurin Eveline Cioflec in Hermannstadt/Sibiu mit Dr. Andreas H. Apelt, Bevollmächtigter des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft e.V., unterhalten.

Herr Apelt, welche Beweggründe gab es für die Deutsche Gesellschaft e.V., das jährliche Wandergesellentreffen in Siebenbürgen zu verankern?

Dieses Projekt haben wir aus mehreren Gründen hier installiert. Erstens waren wir der Meinung, es müsste eine Art von Wiedergutmachung für den Weggang von siebenbürgisch-sächsischen Handwerkern geben. Die Wiedergutmachung besteht darin, dass Gesellen hierher wandern und ihre Handwerkstechniken, welche die siebenbürgisch-sächsischen Handwerker mit nach Deutschland genommen haben, zurückbringen – deswegen Wiedergutmachung. Das funktioniert: Hier werden bestimmte Schmiedeeisentore gebaut, Holztore restauriert mit alten Techniken, und vieles mehr. Das war unser Anspruch. Darüber hinaus ging es auch immer darum, dass wir europäische Tore bauen wollten zwischen Deutschland und Südosteuropa im Sinne, dass wir zeigen, dass es früher eine ganz enge Verbindung gab, die dann abgebrochen ist durch die Kriege, die kommunistische Herrschaft des letzten Jahrhunderts, aber die es jetzt wieder zu beleben gilt.

Was macht Hermannstadt besonders attraktiv für Wandergesellen?

Hermannstadt war eine Wandergesellenhochburg, ein Anziehungspunkt für diese älteste Form des Kulturtransfers, der durch die Wandergesellen bewerkstelligt wurde. Es liegt in unserem Interesse, diese Form von Kulturtransfer vor Ort aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt der Reiz, alte Traditionen zu erhalten, alte Handwerkstechniken oder die Tradition des reisenden Gesellen, das hat auch noch Bestand im 21. Jahrhundert.

Das Wandergesellenprojekt ist das einzige dieser Art, das von der Deutschen Gesellschaft unterstützt wird. Wie hat das Ganze angefangen?

Vor 12 Jahren, als ich mit anderen Projekten der Deutschen Gesellschaft e.V. in Hermannstadt war, habe ich zwei Gesellen in der Kneipe getroffen und fragte mich, was sie hier suchten. Wie kommt man auf die Idee, als Wandergeselle hierher zu gehen? Da erzählten sie mir voller Begeisterung, dass sie gerne nach Hermannstadt gegangen sind, weil sie das nicht kannten. In Deutschland hatte kaum jemand Hermannstadt auf dem Schirm. Da dachte ich mir, das ist doch eine tolle Idee. Man muss einfach mal ein großes Projekt starten, in dem man ganz viele Leute hierher wandern lässt – aus Deutschland, aus der Schweiz, aus Dänemark, von überall, wo es die Tradition des Wanderns gibt – damit sie etwas kennenlernen, was man sonst nicht kennenlernen würde.

Und dann war dieses Projekt geboren. Das war im Jahr 2005, und weil ich wusste, 2007 ist Hermannstadt europäische Kulturhauptstadt, bin ich zum evangelischen Stadtpfarrer gegangen und habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, mitzutun an dem Projekt. Der Pfarrer war damit sofort einverstanden. Somit nahm ich mir vor, das Geld zu besorgen, damit wir ein großes Projekt daraus machen – Projekt heißt ja nicht nur Schauwerkstatt, sondern auch Diskussionsrunden, Ausstellungen, Filmvorführungen und Lesungen. Seit zwei Jahren gibt es auch eine Wandergesellenband, die hier spielt, also insgesamt sehr viel mehr weiteres Programm auch für die Gesellen.

Hat es vorher bereits Projekte der Deutschen Gesellschaft e.V. mit Wandergesellen gegeben?

Nein. Mir waren zwar die Wandergesellen bekannt – ich bin Historiker und ich weiß auch in etwa, was sich dahinter verbirgt. Aber diese Verbindung durch Wandergesellen zwischen Deutschland und einer Stadt, die selber früher Wandergesellen weggeschickt hat, die ist genial. Und das war für mich der Nachdruck: die besondere Form von Kulturaustausch, die man nicht mit Hochkultur macht. Das heißt, dass wir nicht etwa ein Sinfonieorchester nach Hermannstadt schicken, sondern eben Wandergesellen, die ihre Handwerkstechniken mitbringen. Das hat mich sofort angesprochen, weil es vieles verbindet: den Brückenbau zur deutschen Minderheit, die Idee der Wiedergutmachung, die Idee des nichtakademischen Kulturtransfers, und es verbindet auch die Vergangenheit mit der Zukunft.

Was verstehen Sie unter „nichtakademischem Kulturtransfer“?

Das Europa von heute leidet ja ein wenig darunter, dass es ein Europa der Kulturen ist. Jene, die vielsprachig sind, die Interesse an anderen Kulturen haben, reisen viel durch Europa. Der Nichtakademiker nimmt die Chance Europa kaum wahr. Er fährt dann im Urlaub auf Mallorca, stellt vielleicht noch fest, dass er in Spanien war, aber das war’s dann auch schon. Genau deshalb ist diese Kultur des Reisens, um eine andere Kultur kennenzulernen, andere Sprachen zu lernen, etwas Besonderes. Es ist toll, wie die Wandergesellen miteinander reden. Es gibt ja die Compagnons, also müssen sie mit den Franzosen klar kommen. Entweder sie sprechen Englisch oder Französisch, manchmal etwas gebrochen, aber gut genug, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten.

Heutzutage sind Wandergesellen weniger bekannt. Noch weniger bekannt ist wohl, dass es noch junge Leute gibt, die diesen Weg wählen. Wie werden sie in Deutschland gesehen?

In Deutschland sind Wan-dergesellen anerkannt, ich würde sagen, immer mehr anerkannt. Es gibt eine Art Renaissance dieser traditionellen Art zu leben, die Anerkennung findet. Ich glaube schon, dass in Deutschland viele Leute wissen, was sich dahinter verbirgt, hinter den merkwürdigen Gestalten, den archaisch anmutenden Gewändern. Auch Projekte wie dieses hier tragen dazu bei, dass sich Leute in Deutschland damit beschäftigen. Wir werben auch mit unseren Broschüren. Jedes Jahr widmen wir den Wan-dergesellen zwei Seiten. In der Zwischenzeit gibt es ein riesiges Interesse daran.

Die Schauwerkstatt in Hermannstadt feiert dieses Jahr bereits ihr zehnjähriges Jubiläum. Wie schätzen Sie das Projekt nach so vielen Jahren ein?

Es ist gelungen, weil bei den Gesellen die Einsicht vorherrscht, dass es nicht nur ein tolles, sondern auch ein substanzielles Projekt ist. Hier kann man etwas bewegen, hier kann man etwas machen. Hier werden einem Möglichkeiten geboten, die man in Deutschland nicht hat: Man lernt ein anderes Land, eine andere Kultur kennen, man begegnet der deutschen Minderheit hier, wird kundig bezüglich der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte. Von daher ist es ein echtes Bildungsprogramm. 2007 hat Bundespräsident Köhler – damals in Deutschland – das Projekt eröffnet und seitdem machen wir jedes Jahr eine große Herberge mit vielen Leuten. Davor kamen zwei bis drei Wandergesellen. Jetzt sind es an die vierzig. 2007 kamen sogar 100. Sie kommen während der Schauwerkstatt hierher und sie zeigen, was sie können.

Wie geht das Projekt weiter?

Was wir auch zukünftig versuchen wollen, ist, mehr Angebote zu machen. Bildhauerwerkstätten, wie in diesem Jahr, wollen wir weiterhin unterstützen. Wir haben auch schon Theaterstücke aufgeführt aus dem Metier der Wandergesellen. Was wir überlegen, ist, ob wir hier vielleicht noch Akzente setzen können. Wir haben auch schon Zusammenarbeiten mit Berufsschulen gepflegt, auch das war für uns wichtig. Wir sind immer offen für neue Ideen, um das Projekt nicht langweilig werden zu lassen.

Welche weiteren Projekte haben Sie in Hermannstadt durchgeführt?

Als Rumänien noch nicht Mitglied der Europäischen Union war, haben wir Schulung gemacht für Verwaltungsangestellte rumänischer Städte und Kommunen hier in Hermannstadt, und bei einem dieser Verwaltungsprojekte habe ich die genannten Gesellen getroffen. Wir haben dann auch noch ein Projekt gestartet, gemeinsam mit der Evangelischen Kirche A. B., mit den Hermannstädter Stadtschreibern. Das waren Deutsche, die hierher gekommen sind, an einem Buchprojekt oder Roman geschrieben und die Stadt darin integriert haben – es ist eine alte Tradition, auch in Deutschland. Das ist dann nicht weitergegangen, weil wir keine Geldgeber mehr fanden. Allerdings hat das Deutsche Kulturforum östliches Europa e.V. dann unsere Idee aufgenommen und unterstützt Stadtschreiber an verschiedenen Orten im Osten Europas, leider noch nicht in Hermannstadt.

Gibt es noch andere laufende Projekte der Deutschen Gesellschaft e.V. in Rumänien?

Jedes Jahr organisieren wir mehrere Konferenzen zu Themen, die uns interessieren, wie die Minderheitenpolitik oder Deportation in die B˛rag˛nsteppe. Letztes Jahr gab es in Hermannstadt eine große Konferenz zum Thema Deportation nach Russland.

Kann man von Rumänien aus bei der Deutschen Gesellschaft e.V. einen Antrag auf Unterstützung für ein Projekt stellen?

Wir machen politische und kulturelle Bildung und wir sind immer offen für neue Ideen. Wenn wir neue Projekte bekommen, die für uns interessant sind, dann überlegen wir uns, ob wir sie fördern bzw. ob wir andere Partner suchen, die bereit sind, Geld dafür zu geben. Es soll schon etwas sein, was unserer Satzung entspricht, also sich etwa auf Völkerverständigung bezieht. Auch Themen zu deutschen Minderheiten interessieren uns sehr.