Was ist, wenn Europa versagt?

Internationale Konferenz zum Thema in Bukarest

Die Debattierenden setzen sich während der Eröffnungsveranstaltung mit dem gegenseitigen Umgang in Europa sowie seinen Nachbarstaaten auseinander. Zur Begrüßung spricht Andrei Pleşu (stehend), der Leiter des Bukarester New Europe College.
Foto: Ben Uhder

Vor hundert Jahren versagte Europa. Innerhalb weniger Wochen befand es sich in einem Weltkrieg. Kann so etwas heute wieder passieren? Was ist, wenn Europa versagt? Um diese Frage zu behandeln trafen sich Wissenschaftler, Politiker und Autoren aus 10 europäischen Ländern zur Europa-Debatte „What if Europe fails?“ am 19. und 20. September in Bukarest. Veranstaltet wurde die Konferenz von der Bukarester Stiftung New Europe College, geleitet vom Kulturphilosophen Andrei Pleşu, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der S. Fischer Stiftung und der Allianz Kulturstiftung ...for Europe mit Unterstützung des Beauftragten der Bundesregierung Deutschlands für Kultur und Medien. Im Detail bestand das Programm aus vier Diskussions-Panelen, die sich mit folgenden Themen auseinandersetzten: „Der Umgang miteinander in Europa und seiner Nachbarschaft: Diplomatie, Sanktionen, Krieg“, „Nahe und abgelegene Nachbarn Europas: Russland und die Vereinigten Staaten“, „Volkszugehörigkeit in Europa. Die Renaissance von Nationalstaaten?“, „Die Grenzen Europas: Eine Risiko-, Grau- oder Handelszone?“
Es wurde viel über die Vergangenheit gesprochen und mit der Lage im Ersten Weltkrieg verglichen, auch wenn die deutschen Historiker Jörn Leonhard sowie Karl Schlögel dafür plädierten, sich nicht zu sehr auf die Vergangenheit und die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. Der Fokus sollte auf den Unterschieden liegen, um Antworten auf aktuelle Fragen zu erhalten.

Zudem war Unsicherheit und der Mangel an europäischer Identität mit Europas Werten ein großes Thema.
Abgesehen von der ukrainischen Autorin Oksana Sabuschko, die Russlands Politik mit Konsumkultur erklärte („Wenn dein Öl verbraucht ist, nimmst du das deines Nachbarn”), wurde Russlands Vorgehen weitestgehend mit Unsicherheit gedeutet. Politikwissenschaftler Ivan Krastev fügte der Unsicherheit noch Schwäche hinzu. Die Zurückhaltung Europas erklärte Krastev durch die Angst vor einer Überreaktion, wie es sie im Ersten Weltkrieg gab. Auch Rumäniens Außenminister Titus Corl²]ean sah die Gründe für Russlands Verhalten in der Unsicherheit. Jedoch erklärte er die europäische Zurückhaltung damit, Russland Hoffnung zu geben.
Die Unsicherheit auf Seiten der Länder Europas sei auf einen Mangel an Zugehörigkeit zurückzuführen. Der schwedische Journalist Richard Swartz sowie die Schweizer Autorin Ilma Rakusa erklärten dies mit der Globalisierung. Die Welt werde zu komplex und in den Menschen steigt der Wunsch nach Einfachheit. Jedoch wies Rakusa daraufhin, dass diese „Einfachheit” zu Ausgrenzung und Diskriminierung führt. Auch der türkische Historiker Edhem Eldem sieht die Europäische Union als Klub, der ausschließt und damit Frustration hervorruft.

Laut dem ukrainischen Historiker Yaroslav Hrytsak sei es jedoch wichtig, dass Europa wächst, um mit den Weltmächten China und den USA mithalten zu können. Auch Außenminister Titus Corlăţean sprach sich für mehr Solidarität aus: „Europa muss stärker werden und zusammenhalten.“ Jedoch sieht er, wie auch die meisten anderen Teilnehmer, Werte als wichtige Bedingung, um dies zu realisieren: „Die globalisierte Welt braucht mehr ethische Richtlinien“ Auch die russische Autorin Sonja Margolina befürchtet den Werteverlust. Laut Margolina seien die Werte nicht mehr universell und Länder wie China würden mit dem Beispiel vorangehen, dass es auch ohne liberale Demokratie funktioniert. Die kroatische Autorin Slavenka Darakulic erklärt den Wertewandel wiederum mit Unsicherheit durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, machte sich aber auch für gemeinsame europäische Werte stark und sah die Möglichkeit zur Schaffung von Identität im Konzept der Regionalität: Zugehörigkeitsgefühl zu seiner Region, seinem Land, jedoch mit gemeinsamen europäischen Werten. So soll ein Gefühl der Zugehörigkeit und Identität auf mehreren Ebenen entstehen.
Letztendlich versuchten die Debattierenden, weniger politische Ratschläge zu vermitteln, als zu analysieren, weshalb es zu dieser Entwicklung kam und wie man ein gemeinsames Europa stärken könnte.