Was nun?

Ein Gespräch mit Bezirkskirchenkurator Ortwin Hellmann über die Kirchtürme in Radeln und Rothbach

Fast wie ein Querschnitt zeigt sich das Mauerwerk der Turmes in Radeln: zur Linken die Ummantelung des Kirchenturmes, als dieser zu Wehrzwecken verstärkt wurde. Zur Rechten, das Mauerwerk des ursprünglichen Turmes. Die beiden Mauern waren jedoch nie miteinander verbunden und der jetzige Spalt - von über zehn Zentimeter - entstand nach und nach durch externe Einwirkungen wie Bodenbewegungen und Temperaturschwankungen. Das Mauerwerk selbst besteht aus Fluss- und Bruchstein, mit Kalkmörtel verbunden. Dieser hat seine Hafteigenschaft schon vor sehr langer Zeit verloren und bröselt nun wie ein vertrockneter Kuchen bei kleinster mechanischer Einwirkung.
Foto: Ortwin Hellmann

Bezirkskirchenkurator Ortwin Hellmann während des Gespräches
Foto: Hans Butmaloiu

Eine Postkarte deren Erscheinungsdatum nicht genau bekannt ist, aber etwa um 1900 liegen könnte, zeigt den Platz vor der Kirchenburg in Rothbach und deren Turm. Deutlich sind die Pechnasen an den Seiten, in der selben Höhe wie der Glockenstuhl zu erkennen. Noch ein Beweis, dass der Turm auch zur Verteidigung diente.
Foto: KR Archiv

Die Fakten sind mittlerweile allgemein bekannt: am 14. Februar stürzten ein Teil des Kirchturms in Radeln und am 19. Februar, um 21.13 Uhr der ganze Kirchturm in Rothbach ein. Darüber wurde ausführlich berichtet und sehr viele nahmen Stellung, noch viel mehr ereiferten sich in Kommentaren, doch jetzt ist es höchste Zeit zu handeln. Über einige der gemachten Feststellungen und vor allem über die Zukunftsvorstellungen führten wir ein Gespräch mit Bezirkskirchenkurator Ortwin Hellmann, der sich an den ersten Feststellungen vor Ort beteiligt hat.

Fangen wir mit einem Tatbestand an: was liegt vor?

Wir kennen die Unglücke und zum Teil auch die Ursachen: Radeln war absehbar, deshalb war das Bauwerk ja schon auf der Liste der EU-Finanzierungen gesetzt und die Arbeiten sollten im Laufe dieses Jahres beginnen. Rothbach war dagegen die totale Überraschung. Es hat absolut keine Hinweise oder Vorwarnungen gegeben, obwohl nachträglich Meinungen geäußert worden sind, der Turm hätte im letzten Jahr etwas schiefer gestanden. Die Gründe für den Kollaps, wie die Fachbezeichnung lautet, ist erstens die Bauweise. Diese Bauten sind nicht für eine Lebensdauer von Jahrhunderten errichtet worden und es ist fast ein Wunder, dass heute noch so viele von ihnen in einem relativ guten Zustand stehen.

Diese Bauten wurden in einer Zeit errichtet, als sie liturgischen UND defensiven Ansprüchen gerecht werden mussten. Dafür dienten die dicken Mauern mit den eben verfügbaren Baustoffen, fast immer unter großem Zeitdruck stehend erbaut. Dann kommen die zeitlich bedingten Faktoren: Klimawandel, Bodenbewegungen, Verfall der Bausubstanz, Umwelteinflüsse. Nicht zu vergessen die sehr oft völlig unfachmännischen so genannten „Restaurierungen“. Dazu gehören inadäquate Baustoffe wie z.B. Zementverputz an Stellen wo Wasser eindringen kann, welches bei Frost die Bausubstanz regelrecht sprengt. Das wären fast allgemein übertragbare Feststellungen.
 
Gehen wir bitte konkret auf Radeln ein: was liegt da vor?

Radeln kann als Musterbeispiel der vorher erwähnten Doppelfunktion dienen: der ursprüngliche Kirchturm wurde, um auch als Burg dienen zu können, mit einer 1,4 Meter dicken Ummantelung versehen, so dass es dort zwei ineinander liegende Türme gibt, zwei konzentrische Türme, welche sich im Verlauf der Zeit voneinander losgelöst haben. Das haben die schon erwähnten Gründe bewirkt, hinzu kommen auch andere Gründe, wie die überdimensionierten Glocken. Jetzt befindet sich Radeln in einem Prozess der Neubewertung, um zu sehen ob und wie das ursprüngliche Projekt noch seine Gültigkeit hat, da sich ja die Vorgaben völlig verändert haben. Es stimmt, dass der Turm steht, die Glocken sind noch an ihrem Platz, das Dach auch, es fehlt eigentlich nur eine Ecke des Turmes. Ein Abtragen wird aber mit großer Wahrscheinlichkeit stattfinden müssen, um den Wiederaufbau durchführen zu können. Mit dem Abbau der Glocken fangen schon die Probleme an.

Das mag wohl sehr einfach klingen: man hebt sie mit einem Kran an und bringt sie herunter. Doch was für ein Kran und wie kommt dieser an die Kirche heran? Wir waren mit Fachleuten einer Baufirma aus Hermannstadt vor Ort: der Kran hat schon ein Eigengewicht, das um ein Vielfaches die Mindestlast der zwei Brücken übersteigt, welche überquert werden müssen um bis zur Kirche zu kommen. Jetzt sind wir dabei, die Genehmigungen für Überquerungen und Anfahrt  einzuholen, denn auch die Straße hat noch nie solches Baugerät tragen müssen.

Damit kommen wir in den Bereich der Bürokratie…

…Der fürchterlich ist. Für solche Situationen benötigt man besondere Genehmigungen und Bewilligungen, denn wir haben es mit zwei ausgewiesenen, gesetzlich erfassten und geschützten Baudenkmälern zu tun, wie sie im Buche stehen! Da unterstehen alle Eingriffe, ob geläufige oder als Folge von unvorhergesehenen Schäden besonderen Auflagen. Jenseits dieser gesetzlichen Auflagen kommen dann die Reaktionen der Behörden, die sich nicht unbedingt immer freundlich zeigen. Nebenbei will ich bemerken, dass bis jetzt die freundlichste Behörde das Kulturministerium war, von wo die Ankündigung für einen Notfond gekommen ist. Wie das praktisch verlaufen wird, wird uns die Zeit zeigen.    

Wir haben uns ein wenig von den sofortigen auf die etwas weiter liegenden Maßnahmen zu bewegt…

Ja, kommen wir zurück: eine erste Maßnahme war, das mobile Inventar aus beiden Kirchen zu bergen. Dazu gehört die Orgel aus Radeln, die aus dem Jahr1838 stammt. Diese war schon auf der Liste der Orgelwerkstatt in Honigberg - jetzt weiche ich wieder ein wenig ab – Orgeln haben nicht nur herabstürzende Steine als Feinde sondern auch Marder, Feuchtigkeit und Holzverfall. Sie wird demnächst auf die Empore der Schwarzen Kirche überführt.

Zum Unterschied gegenüber der Orgel aus Rothbach, die sich in einem viel schlechteren Zustand befindet.

Ja, das stimmt, doch füge ich im selben Zuge hinzu: nur teilweise! Fachleute, damit meine ich Orgelbauer, haben mich, uns, belehrt, dass es mit einer Orgel wie mit einem Auto nach einem großen Unfall ist: man kann sie wieder aufbauen, es ist eine Sache des Aufwandes, aber es ist machbar. Um aber mit Radeln abzuschließen: Turmdach, Glocken und Turm selbst werden abgetragen, bis auf eine Höhe, wo das Mauerwerk stabil ist.  Eine Notkonstruktion wird dann folgen, um zu verhindern dass Wasser und Witterung weitere Schäden anrichten. Federführend für alle Maßnahmen wird ein Sonderstab sein, welcher schon in Hermannstadt, dem Bischofsamt unterstellt, gebildet wurde und welcher sich auf erfahrene Architekten und Fachleute im Bauwesen stützt,  mit denen es schon eine über Jahre gehende Zusammenarbeit gibt. Es sind dieselben, welche alle Vorbereitungen des ersten und auch zweiten EU-Projektes ausgearbeitet haben und demnach die nötigen Vorkenntnisse haben.
 
An dieser Stelle muss ich aber wieder ein wenig abweichen: die Reaktion gleich nach  dem ersten Einsturz war, nach Schuldigen zu suchen, es gab Leute die versuchten, nachträglich alles besser zu wissen oder schon lange gewusst zu haben und die sich nur in den Vordergrund bringen wollen. Nachträgliche Behauptungen über Dinge, welche man unternommen hätte, wenn man das Sagen gehabt hätte, dienen nicht zur Lösung des Problems. Jetzt zu sagen, wie der Bürgermeister von Marienburg, man hätte ihm die Baudenkmäler überlassen sollen, denn er hätte schon EU Mittel beschafft ist, nicht angemessen, wenn man sich die Arbeiten an der Ritterburg anschaut, bei denen der Begriff „fachlich“ schwer anwendbar ist. Klammer zu!

Als direkte Folge hat es aber von der zuständigen Behörde, der Kronstädter Bauaufsicht, erst einmal eine Strafe gegeben, weil die Bauten nicht gepflegt worden sind, d.h. die Pflichten als Eigentümer nicht erfüllt wurden. Das mag zwar kontrovers klingen, doch da die Evangelische Kirche Eigentümer ist, hat es rechtlich seine Richtigkeit. Die Bauten sind aber gleichzeitig auch Baudenkmäler und sind unter dem Begriff „Kulturerbe“ gleichzeitig auch Staatseigentum. Damit ist der rumänische Staat genauso verantwortlich wie wir, daran führt kein Weg vorbei. Zu Rothbach nun, wo wir vor einem bedeutend größeren Umfang und Aufwand stehen. Was die Genehmigungen betrifft, ist es nicht viel anders: es braucht eine Baugenehmigung. An Bauten dieser Art, welche als A-Klasse ausgewiesen sind, braucht es auch für die einfachsten Eingriffe eine Genehmigung, für welche ein Sonderausschuss des zuständigen Kulturministeriums vor Ort sein muss. Diese Verfahren brauchen Monate, wobei Bauleute die eigentlichen Arbeiten auf fünf Monate ansetzen. Diese Beurteilungen sollten nur von Fachleuten gemacht werden und diese weltfremden Vorschläge sollten einfach ignoriert werden.   

Damit sind wir bei dem eigentlichen Wiederaufbau angelangt und die erste Frage, die ich stellen würde, ist: Wie soll dieser erfolgen? Was sagen die Fachleute dazu?

Klar dass auch diese Entscheidungen nur von Fachleuten getroffen werden können und dafür muss ein globales Konzept der Restaurierung ausgearbeitet werden. Was wir aber jetzt schon wissen, ist dass in Rohbach eine der Ursachen des Einsturzes eben ein solch unfachmännischer Eingriff war. Nach dem Erdbeben im März 1977 gab es Schäden an der Statik, welche mit den damals üblichen Methoden „behoben“ wurden: es wurden Verstärkungen, alle aus schwerem Stahlbeton, in das Mauerwerk eingebaut. Deren Gewicht war zu groß, und das hat sich auf das geschwächte Mauerwerk verteilt bis dieses nicht mehr tragfähig war. Heute gibt es andere Baustoffe, die Fachleute kennen diese, kommunizieren untereinander, tauschen Meinungen und vor allem Erfahrungen untereinander aus. Also die Gegebenheiten und Mittel sind heute völlig andere und ich bin mir absolut sicher, diese Erkenntnisse werden auch hier einfließen.

Man sollte mich nicht falsch verstehen, aber wenn man vor beiden Trümmerhaufen steht, muss man eine sehr beängstigende Feststellung machen; in keinem der Fälle gab es noch Bindefähigkeit des Mörtels, aber überhaupt keine mehr! Der Mörtel, dessen Aufgabe es ist, die Steine des Mauerwerkes zu verbinden, hat sich im Verlauf der Zeit zersetzt und war nur noch eine Masse, die zerrieben werden konnte, ohne einer Spur Haftung. Die Steine haben sich bis zum Einsturz nur noch durch ihr Gewicht gehalten. Heute gibt es für solche Restaurierungen die passenden Baustoffe, deren Einsatz untersteht der Bauüberwachung, diese Baustoffe werden von Qualitätsbescheinigungen begleitet, also der Bereich ist genauestens geregelt. Mit dem Einsatz dieser Baustoffe wurde im ersten EU Projekt schon Erfahrung gesammelt und eine strenge Bauaufsicht wird die gewünschten Ergebnisse bringen.
Es ist,wie gesagt, abzuwarten was hier die Fachleute zu sagen haben, denn nur für Rothbach haben wir jetzt schon ein sehr breites Spektrum an Ideen. Eine davon ist sogar eine Art von Denkmal zu bauen.


Damit kommen wir eigentlich zur letzten Frage, was soll zukünftig mit den Kirchenburgen geschehen, denn nach den beiden Unfällen dürften wohl Bedenken bei den Besuchern auftreten, solche Bauten zu betreten.

Es ist undenkbar, schlicht und einfach unmöglich, und jetzt beziehe ich mich nicht nur auf Radeln und Rothbach, dieses Erbe alleine zu pflegen und zu erhalten. Es sind Kirchen, Kirchenburgen aber auch Schulgebäude und bewohnbare Gebäude, deren Erhaltungskosten mehr betragen als durch die wenigen Lei einer Eintrittskarte gedeckt werden. Die Reiserouten zu den Kirchenburgen sind unrealistisch, solange es keine Infrastruktur gibt. Wie sollen Besucher kommen, wenn es bei den Anlagen nicht einmal die vorgesehenen Toiletten gibt, geschweige denn das, was ein Besucher an minimalem Komfort verlangt. Das wäre die Nutzung der Bauten als Besucherziele. Als Eigentümer der Bauten haben wir aber die Pflicht, diese in gutem Zustand zu erhalten, denn das ist und bleibt die erste Pflicht des Eigentümers! Was aber in den Gemeinden, wo dies über Jahrhunderte gemacht wurde, und die heute praktisch so etwas nicht mehr tragen können? Wir leiden unter einem akuten Personalmangel.

Um sie zu warten und zu pflegen, braucht es jetzt für jeden Bau ein Gutachten, dessen Umfang die Mittel und Möglichkeiten der Gemeinden weit überschreitet. In solch einem Gutachten ist nämlich alles erfasst, von archäologischer Studie bis zum mikrobiologischen Zustand des Holzes oder der Wandmalereien. Das wäre bei jetzigem Stand, es ist kein Geheimnis, an die 10.000 Euro für jedes Objekt! Diese Vorbereitungsmaßnahmen sind unbezahlbar, zumal viele dieser Kirchen nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck dienen werden. Kirchen sind Sakralbauten und dazu bestimmt, den Menschen ein Leben lang zu begleiten, von der Taufe, Konfirmation, der Trauung bis zum Abschied, bei nicht mehr vorhandenen Gemeinden entfällt das. Ein Konzept zu erfinden, wie eine Kirchenburg genutzt werden kann, für andere Zwecke als die definitionsbedingten,  ist eine heikle und sehr schwierige Sache.

Wir bedanken uns für die Ausführungen!

Die Fragen stellte Hans Butmaloiu