Weinberge und Haubentaucher im Revier von Kommissar Bärlach

Die Nordwestschweiz und das Jura bieten spannende Orte und Erlebnisse

Die Zweitausender des Berner Oberlandes thronen am Panorama über der Petersinsel auf dem Bieler See.
Fotos: der Verfasser

Gastwirt und Glasbläser Reto lässt sich während der Arbeit auch in der Hitze des Gefechts nicht aus der Ruhe bringen.

Nichts geht in der Seenlandschaft am Jura ohne einen Ausflug in die Twannbachschlucht.

Der Wanderweg durch den Rebberg am Bieler See führt an der reizvollen Kirche von Ligerz vorbei.

Weintrauben und Ernte in satten Farben auf der Dorfzeile im Weiler Schafis in Ligerz

Wer die Schweiz ohne sensationsgreifende Urlaubstage erleben möchte und es vorzieht, die Abende mit einem Glas Wein am Seeufer zu genießen, muss nicht die Alpenidylle an der Kleinen Scheidegg unter den Bergriesen Eiger, Mönch und Jungfrau suchen. Das kleinere Jura-Gebirge in der Nordwestschweiz mit dem Weinbaugebiet und der Seenlandschaft rund um die Städte Biel/Bienne, Neuchâtel/Neuenburg und Yverdon-le-Bains wird für touristische Zwecke weder kommerziell noch mondän beworben, ist aber ein lohnender Geheimtipp. Auf den steilen Südhängen des Jura und in den Ortschaften in unmittelbarer Nähe zur deutsch-französischen Sprachgrenze auf Schweizer Staatsgebiet ticken die Uhren gemächlich und die Sonne strahlt mit befreiender Wärme auf sämtliche Fuß- und Fahrwege zum Bieler oder zum Neuenburger See/Lac de Neuchâtel, die zum Schwimmen geradezu einladen.

Im jahrhundertealten Winzerdorf Ligerz, französisch Gléresse, werden Deutsch und berndeutscher Dialekt gesprochen. Alle Wohnhäuser ragen inmitten der Weinberge hoch auf, bestehen aus Erdgeschoss und meist zwei Etagen, die Eingangstüren stehen in sandsteinernen Torbögen. Selbstredend, dass wilder Wein die Fassaden ziert. Nach wenigen Schritten auf der heißen Asphaltstraße ist das befestigte Seeufer erreicht, wo kleine Fischer- und Segelboote schunkeln. Hier trifft man sich nachmittags bei ausholenden Schwimmzügen zum schweizerisch bescheidenen Dorfplausch und teilt sich das Seeufer mit Möwen, Haubentauchern, Schleien und Rotfedern.

Auf den Fußwegen quer durch die Weinberge ist Hingucken ratsam, da hier einige Kleinreptilien leben, die es sich gerne auf heißen Steinen gemütlich machen. Auch literarisch ist in der Seenlandschaft am Jura im Kanton Bern für interessanten Gesprächsstoff gesorgt, fungiert doch das Gebiet um die Ortschaften Ligerz, Twann, Lamboing und die Twannbachschlucht als Revier des Berner Kommissars Hans Bärlach. Friedrich Dürrenmatts Roman „Der Richter und sein Henker” ist auch ohne Kenntnis der schweizerischen Landkarte ein lesenswerter Schmöker. Forschend platzt die Frage aus dem eigenen Mund heraus, sobald man sich am Bieler See wiederfindet: Wo, bitte, steht denn das Haus von Gastmann? Ein Augenblick der Genugtuung, hoch oben auf einem steilen Rebberg zwischen Twann und Ligerz, daran vorbeizufahren und an lebendiger Literaturgeschichte zu schnuppern.

Ansteckend ist der Besuch der Glasbläserei des jungen Meisters Reto Zünd im nahe gelegenen Lamboing. Die Werkstatt hält unzählige Produkte und Erzeugnisse aus Glas zur Betrachtung sowie zum Verkauf bereit. Hier lernt man bald, sich leise im Zeitlupentempo zu bewegen, um ja keines der fragilen Objekte unfreiwillig umzustoßen. Glasbläser Reto ist Künstler und stellt keine Serienprodukte her. Jedes Weinglas ein Unikat, jeder Kerzenhalter eine neue Farbkombination. Kugeln, Ringe, Fossilien, versteinerte Schnecken und vieles mehr ist an diesem genialen Ort zu entdecken. Hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Reto Zünd beim Ausüben des Glasbläserhandwerks zuschauen zu dürfen. Er greift sich einen armlangen Rohling aus dem Holzregal, stellt die Flamme des Bunsenbrenners auf hohe Temperatur, lässt den Rohling heiß glühen. Ein paarmal daran modelliert, vorsichtig hineingeblasen, und schon steht die Form eines Rotweinglases, das zur Festigung in den mehr als 400 Grad Celsius heißen Heizschrank gestellt wird.

Gastronomisch ist das Atelier Zünd etwas Außergewöhnliches, da man hier erlesene Desserts und Speisen probieren kann. Die Eissorten und das gesamte Angebot der Menükarte bestehen aus regionalen Zutaten, Gewürze und Beeren wachsen im eigenen Nutzgarten. Reto und seine Frau Cornelia freuen sich auf der Homepage www.glas-atelier.ch schweizerisch-freundlich auf Gäste.

Unweit der Glasbläserei in Lamboing beginnt der Wanderweg durch die Twannbachschlucht. Sie ist das Wohnzimmer des Glasbläsers Reto, gelerntem Bäcker und besessenem Fischer. Zu jeder erdenklichen Stunde weiß er, an welchen Stellen der Twannbachschlucht man eine Wildwasserforelle angeln kann. Dabei kommen auch anhaltende Dürreperioden zur Sprache, denn in der Twannbachschlucht wird man normalerweise von Kopf bis Fuß nass, viele Meter tief müsste der Twannbach eigentlich sein. Leider ist er es seit einigen Jahren nicht mehr. Die Schweizer Umweltbehörde jedoch nimmt sich der Sache an und entfernt bei zu niedrigem Wasserpegel sämtliche Fischvölker aus dem Twannbach und setzt sie wieder aus, sobald der Regen die Steinbecken erneut auffüllt.

Beeindruckend ist die Twannbachschlucht – und mit der Sieben-Leitern-Schlucht am Hohenstein/Piatra Mare oder den Wanderwegen in den steilen Seitentälern rund um den Roten-Turm-Pass/Defileul Turnu Roșu mehr als nur vergleichbar. Wo nicht anders machbar, wurde der Weg durch den Stein gefräst. Streckenweise kann man die Hand am Geländer entlanglaufen lassen. Mit dünn besohlten Sandalen sollte man sich trotzdem nicht hierher wagen. Auch in der schweizerisch abgesicherten Twannbachschlucht ist sportlich griffiges Schuhwerk unbedingte Voraussetzung.

Voll im Einklang mit der globalen Klimaerwärmung kann es auf dem Weg die Twannbachschlucht hinab schon mal vorkommen, dass plätschernd-rauschende Hintergrundgeräusche jäh verstummen und vom Wasser geschliffene Steinwände trocken bleiben. Selbstverständlich ist es, am unteren Ausgang der Schlucht einen oder zwei Schweizer Franken als Weggebühr zu bezahlen – sollte im Augenblick keine Person im Häuschen die Hand öffnen, wartet ein Einwurfschlitz darauf, mit Münzen gespeist zu werden.

Als Wegvariante von der Twannbachschlucht nach Ligerz bietet sich das Seeufer an. Spannender jedoch ist es, auf der Höhenlinie mitten durch den Weinberg auf einer wenig befahrenen Verkehrsstraße zurück in das Winzerdorf am volkstümlichen Rösti-Graben zu spazieren. Ligerz ist immerhin der letzte Ort auf der Ostseite der deutsch-französischen Sprachgrenze. Ein paar Kilometer weiter am Ufer des Bieler Sees entlang beginnt jener Teil der Schweiz, wo statt Kartoffelrösti Käsefondue zubereitet wird, sämtliche Städte und Ortschaften französische Namen tragen, und man im Supermarkt mit der deutschen Sprache nur sehr wenig anfangen kann. Grund für nationalistische Spannungen bietet dies nicht: Schweizer lernen lieber die Sprache der Nachbarn, anstatt ihnen ständig unüberbrückbare Unterschiede vorzuhalten. Der Weiler Schafis/Chavannes gehört postalisch zum nahen Ligerz und steuerrechtlich zu der französischen Schweiz um die Ecke, ein Problem scheint dies für niemanden im Ort zu sein.

Eine Ruhestation im Rebberg ist die spätgotische Kirche von Ligerz auf dem 258 Kilometer langen Pilgerweg von Basel nach Payerne am Südufer des Bieler Sees. Sie wurde 1526 fertiggestellt und gehört der reformierten Pfarrei von Twann, Tüscherz und Ligerz an. Ihr großer Innenraum wirkt herrschaftlich und bescheiden zugleich. Ringsumher wachsen Platanen, die in besonders heißen Sommern ihre Rinde abwerfen und der Sonne einen hell gemusterten Baumstamm entgegenhalten, der das Licht reflektiert und sie dadurch vor dem Austrocknen schützt. Da es in diesem Gebiet um zwei Grad Celsius wärmer ist als in der Hauptstadt Bern, gehören auch Feigenbäume und Oleander zur lokalen Landschaft. Die Kirche von Ligerz hat durchgängig geöffnet und wird nicht selten mit Kammermusik erfüllt. Von März bis November finden dort sonntags um 10.15 Uhr Gottesdienste statt. Es lohnt sich, auf der Homepage www.kirche-pilgerweg-bielersee.ch danach zu stöbern.

Bei aller Entspanntheit und der Fülle an Erkundungsmöglichkeiten am Bieler See und im Jura-Gebirge muss man der „Nobelwährung“ Schweizer Franken Rechnung tragen. Doch kann man zwischen Konstanz und Genf/Genève günstig Zug fahren. Wer bei der Deutschen Bahn frühzeitig ein Ticket für den IC-Bus von München nach Zürich und eine Weiterreise mit der Schweizerischen Bundesbahn (SBB) nach Biel bucht, kann für eine einfache Fahrt mit Umstieg in Zürich einen Sparpreis von 45 Euro ergattern – für westliche Verhältnisse ein Pappenstiel, für das rumänische Durchschnittsbudget erschwinglich. Schwieriger, sprich teurer, wird es in Sachen Unterkunft, doch gibt es Netzwerke wie Couchsurfing und bezahlbare Unterkünfte sind selbst in der wohlhabenden Schweiz vorhanden.

Eine Flasche Wein vom Bieler See muss mit ins Gepäck, denn die Rebsorten von den Südhängen des Jura werden sogar zu staatlichen Anlässen ausgeschenkt. Nehmen Sie im Supermarkt aus dem Schokolade-Regal außer Lindt und Toblerone ruhig auch mal Cailler und Ragusa mit, um den Geschmack der Schweiz zu genießen. Auch zu Hause kann man seinen Gaumen auf schweizerische Breitengrade einstimmen: Man benötigt dafür bloß ein Stück Butter, Kartoffeln und Salz. Die Butter schmelzen lassen, grob geriebene Kartoffeln hinzugeben und mit Salz würzen. Die Rösti wird am besten mit rohen Kartoffeln zubereitet, wenn sie annähernd wie in der Schweiz schmecken soll.