Wenn die Glocken von Ober-Eidisch in aller Welt erklingen

Auch ein sanierter Turm kann eine Liebeserklärung sein

Neueinsegnung des renovierten Kirchturms von Ober-Eidisch

Wenn irgendwo auf der Welt ein Ober-Eidischer stirbt, läuten die Glocken im heimatlichen Kirchturm. Fotos: George Dumitriu

Ein rauer Wind zerrt an den roten und blauen Bändern, die die beiden Bäumchen links und rechts vor dem Eingang des Kirchturms schmücken. Sonne haben wir heute allenfalls im Herzen – dort dafür umso mehr: Es scheint, als wären alle in dem etwa 800-Seelen-Dorf im Hof der evangelischen Kirche von Ober-Eidisch/Ideciu de Sus versammelt. Ihre Gesichter strahlen mit denen der Besucher um die Wette – am schönsten aber strahlt das silberne Dach des frisch restaurierten Turms, der hier feierlich mit einem Gottesdienst eingesegnet wird.

Hoher Besuch in der winzigen Kirche: von geistlicher Seite Bischof Reinhart Guib, Landeskirchenkurator Friedrich Philippi und Hauptanwalt Friedrich Gunesch, von weltlicher die Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich (SPD). Nicht zu vergessen die Gläubigen aus dem Reener Ländchen – auch aus den anderen der insgesamt acht Gemeinden, die zur evangelischen Pfarrei von Sächsisch-Regen gehören. Aber auch die ausgewanderten Sachsen aus Deutschland und Österreich, die einen Tag zuvor das 26. Sachsentreffen in Sächsich-Regen besucht hatten. Darunter die Blasmusikkapelle „Die lustigen Adjuvanten“ aus Traun bei Linz mit dem Obmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Manfred Schuller, und die Sachsen aus Hemdorf in Deutschland mit ihrem HOG-Vorsitzenden Wolfgang Emrich und Bürgermeister Ludwig Nagel. Den Hemdorfern ist es zu verdanken, dass die seit 2006 in Angriff genommenen, umfassenden Sanierungen an der Kirche überhaupt erst vorgenommen werden konnten: neues Dach, Trockenlegung, zuletzt die Renovierung des Turms.

Emrich erinnert sich an den ersten Besuch im Jahr 2006 zurück: „Wir waren mit dem Bus hier. Mein Vater nahm mich zur Seite und sagte: ‚Schau wie die Kirche aussieht, da müssen wir was tun.‘“ Doch der eingeholte Kostenvoranschlag überstieg bei Weitem das vorhandene Budget: über 9000 Euro für ein neues Dach! „Ich sagte: ‚Vater, wir haben nur 2750 Euro‘. Der meinte, ‚Das spielt keine Rolle. Wenn wir das Geld nicht zusammenbekommen, dann zahlst du eben 2000 Euro, ich 2000 Euro und der Onkel noch 2000...“. Am selben Tag wurde der Vertrag unterschrieben. Über 50.000 Euro hatte man in den letzten zehn Jahren mühevoll gesammelt.

Warum der Kirchturm aus Ober-Eidisch so wichtig ist? Wenn irgendwo auf der Welt ein Ober-Eidischer stirbt, verrät Wolfgang Emrich, dann läuten die Glocken in der alten Heimat, hier in diesem Turm! „Und Leute aus den USA oder aus Kanada laden sich das per Youtube herunter“ – damit sie den Verstorbenen auf dem letzten Weg begleiten. So erobert Tradition selbst das Internet.

Auf der anschließenden Feier im Kulturhaus dann noch eine wunderbare Geschichte, die meine Tischnachbarinnen zum Besten gaben: Als die Kirchenbänke sich füllten, kamen zwei Frauen nebeneinander zu sitzen. Zufällig, so stellte sich im Gespräch heraus, hatten sie die gleiche Schule in Sächsisch-Regen besucht. Zufällig sogar im gleichen Jahrgang. „Ich hatte eine Klassenkameradin aus Ober-Eidisch – weißt du, was aus ihr geworden ist?“ fragt die eine und nennt deren Namen. „Das bin ja ich!“ ruft da die andere verblüfft. Nach über 40 Jahren hatten sie sich einfach nicht mehr erkannt.

„Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses, wo deine Ehre wohnt“, zu diesem Wort predigte Bischof Guib von der Kanzel. „Denn wenn etwas gelingt, dann immer nur durch Liebe!“ So kann auch ein neu sanierter Turm eine Liebeserklärung sein: an die Kirche, an die Heimat, an die immer noch spürbare Gemeinschaft. Und an das Leben, das so wunderbare Schicksalsfäden spinnt.