Wenn eine Gemeinde auf 15 Seelen schrumpft

Pfarrer aus Bayern besuchten Gemeinden an der Kleinen Kokel

Landesbischof em. Dr. Johannes Friedrich predigt in Bulkesch.

Wenn eine Kirchengemeinde auf 15 Seelen schrumpft, dann ist das für die Verbliebenen gleichzeitig traurig wie eine schwere Bürde, vor allem wenn die Erinnerungen an die große Vergangenheit so wach sind wie bei den evangelischen Gemeinden der Sachsen in Siebenbürgen. Der heute als Gemeindepfarrer in Selb tätige frühere Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, betreute von 2003 bis 2008 die sieben evangelischen Gemeinden an der Kleinen Kokel. Dazu zählen Seiden/Jidvei, Bulkesch/Bălcaciu, Schönau/Şona, Taterloch/Tătârlaua, Michelsdorf/Veseuş, Donnersmarkt/Mănărade und Blasendorf/Blaj. Heute werden sie von Pfarrer Alfred Dahinten von Mühlbach aus geistlich versorgt.

Die Dörfer liegen rund 120 Kilometer nordwestlich von Hermannstadt im Kreis Alba. Es waren früher stolze Gemeinden mit mehreren Tausend Seelen. Den Ort Bulkesch überragt und dominiert bis heute die imposante Kirchenburg, in Taterloch ist ein vorreformatorischer Flügelaltar zu bewundern. Seit Langem aber sind die Gemeindeglieder aus sieben Orten zu einer Pfarrei zusammengefasst, weil sie nur noch wenige sind, heute rund 100. In Donnersmarkt leben keine Sachsen mehr. Die letzte Sächsin hat Pfarrer Henkel dort noch 2008 beerdigt.

Geistlichen Zuspruch aus Bayern und dem Dekanat Selb in der extremen Diaspora als deutsche und evangelische Minderheit gab es nun jüngst für die verbliebenen Gemeindeglieder an der Kleinen Kokel. Im Rahmen einer mehrtägigen Visite in Rumänien besuchten der frühere bayerische Landesbischof Dr. Johannes Friedrich und dessen Ehefrau Dorothea sowie eine Delegation von Pfarrern des Dekanats Selb diese einsamen Gemeinden. Altbischof Friedrich sowie Pfarrerin Daniela Schmid aus Selb, Pfarrer Ralf Haska aus Marktleuthen und Pfarrer Henkel feierten in der Kirche von Bulkesch mit rund 20 Gläubigen einen würdigen Gottesdienst, bei dem der frühere Landesbischof predigte.

Friedrich spiegelte Aussagen Jesu zur Gottes- und Nächstenliebe konkret auf die Situation der verbliebenen Gemeinden und hielt fest: „Die Nächstenliebe und gegenseitige Unterstützung ist heute hier in ihren Gemeinden besonders wichtig. Wer Gott von ganzem Herzen liebt, der wird auch seinen Nächsten lieben. Wer sich selbst ganz und gar der Liebe Gottes anvertraut, wird so viel Güte erfahren, dass er gar nicht anders kann als diese Liebe weiterzugeben. Die Nächstenliebe, zu der Christus uns anhält, hat ein sicheres Fundament und eine Kraftquelle, die nie versiegt: Gottes Liebe zu uns.“

Gesungen wird heute auf der Kleinen Kokel ohne Orgel, nachdem in den Gemeinden keine Organisten mehr vor Ort leben. Nach der würdigen Feier an dem strahlenden Oktobersonntag gab es wie üblich einen Kirchenkaffee mit Gebäck und Gesprächen. Die Gemeindeglieder freuten sich sehr über den gemeinsamen Gottesdienst mit dem bayerischen Altbischof und gleich zwei Pfarrern und einer Pfarrerin aus dem Dekanat Selb. Pfarrer Henkel hält auch fest: „Umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland unsere evangelischen Glaubensgeschwister hier in der extremen Diaspora nicht vergessen. Dazu gehören auch Besuche und die Fürbitte.“

Pfarrerin Daniela Schmid, die Rumänien zum ersten Mal besucht hat, sieht dies ähnlich: „In der Evangelischen Kirche hier in Siebenbürgen kann man wirklich sehen und spüren, wie wichtig und identitätsstiftend der Gottesdienst für die Gemeinden in der Diaspora ist. Gerade wenn so wenige Gemeindeglieder geblieben sind wie hier, dann bringt und hält der Gottesdienst die Menschen zusammen.“ Die Theologin hat selbst in ihrer Zeit in Brasilien Erfahrungen mit extremer Diaspora und weit verstreut lebenden Gemeindegliedern gesammelt.

Von den rund 100 verbliebenen Seelen kommen nach wie vor 15 bis 20 zu den vierzehntägig stattfindenden Gottesdiensten, wobei die Gläubigen aus den etwa 30 Kilometer verstreuten Gemeinden erst zusammengebracht werden müssen. Darum kümmert sich Petrus Kirschner, der Kurator von Taterloch, mit einem VW-Bus, der der Gemeinde gehört. Für die Gäste aus Bayern war es auch aufschlussreich zu erfahren, wie viel hier von den meist älteren verbliebenen Gemeindegliedern geleistet wird. Nachdem keine Pfarrer mehr vor Ort sind, kommen den Ehrenamtlichen wichtige Aufgaben zu. Sie richten die Kirchen für die Gottesdienste her, kümmern sich um die Kirchenburgen, backen die Abendmahlshostien selbst und keltern in ihren Weinkellern ihren eigenen Messwein.

Pfarrer Ralf Haska aus Marktleuthen kennt Situationen wie diese auch aus seinem mehrjährigen Dienst in deutschen Gemeinden der Ukraine. „Es waren berührende und bewegende Begegnungen mit den Menschen hier, die bewusst ihrer Heimat Siebenbürgen treu geblieben sind. Der Schmerz über die heutige Lage ist dabei stets spürbar. Und doch versuchen die Verbliebenen nach Kräften, das Gemeindeleben aufrechtzuerhalten.“

Nachdem die Region um die Gemeinde Seiden im Kokeltal bekanntlich landesweit einen Namen im Weinbau besitzt, ging es mit Kurator Fritz Zikeli aus Bulkesch auch in dessen Weinkeller zu einer Probe. Der Kurator berichtete sichtlich stolz und gerne von seinem eigenen Weinbau und seinen Weinen. Einen leibhaftigen Bischof hat schließlich auch in Siebenbürgen nicht jeder Kurator oft in seinem Weinkeller zu Gast. Es waren ein eindrucksvoller Besuch und ein berührender Gottesdienst an der Kleinen Kokel für Ex-Landesbischof Friedrich und die drei Geistlichen aus der Bayerischen Landeskirche.

Vervollständigt wurden die Eindrücke bei einem Tagesausflug nach Schäßburg/Sighişoara. Hier nahm sich Kurator Dieter Zikeli viel Zeit, um die kleine Delegation aus Bayern versiert und schwungvoll durch die historische Altstadt, die Bergkirche und die Klosterkirche und über den Friedhof zu führen. Er berichtete viele Details aus der Geschichte der wunderschönen Stadt und ihrer Kirchen und hatte auch so manche Anekdote im Gepäck. Im Pfarramt von Schäßburg durften Ex-Landesbischof Friedrich und die Geistlichen aus Selb dann auch in Klosterbüchern aus dem Mittelalter blättern. Dafür gab es als Dankeschön ein Buch für Kurator Zikeli mit Reformationsgeschichten aus Oberfranken.

Abgerundet wurde das Besuchsprogramm durch Abstecher nach Birthälm/Biertan und nach Mühlbach/Sebeş. Siebenbürgen präsentierte sich den Gästen aus Bayern auch dank des strahlenden Wetters im „goldenen Herbst“ und der unvergleichlich schönen Landschaft von seiner besten Seite. Der Altbischof und seine Gattin, Pfarrerin Schmid und Pfarrer Haska waren zum ersten Mal in Rumänien, sie alle wollen wiederkommen. (jh)