Wer am Wochenende zu Hause bleibt, richtet kein Unheil an

Erneut über die Volksbefragung zur Änderung der Verfassung

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Zum dritten Mal seit 1989 werden an diesem Wochenende die volljährigen Bürger Rumäniens die Möglichkeit haben, über Verfassungsfragen abzustimmen. Im Dezember 1991 nahmen sie mit großer Mehrheit die erste postrevolutionäre Verfassung an, entworfen von einem Kollektiv von Juristen, die ihre Bildung im Kommunismus erhalten hatten und in der bewährten Tradition der rumänischen Rechtslehre nach einem Modell für eine demokratische Verfassung selbstverständlich ihren Blick nach Frankreich richteten.

2003 musste die Verfassung im Zuge der bevorstehenden Mitgliedschaft in der NATO und in der Europäischen Union verändert werden, auch damals stimmten die Rumänen für die umfangreicheren Änderungen, die unter anderem dem amtierenden Premierminister Adrian Năstase zehn Jahre an der Spitze des Staates sichern sollten. Es kam anders, Năstase kam sogar in den Knast, aber das ist eine andere Geschichte, vergessen und begraben.

Am kommenden Wochenende wird das Volk erneut entscheiden, ob die Verfassung geändert werden soll, dieses Mal geht es um einen einzigen Satz, der jedoch die Bürger in einem Ausmaß zu beschäftigen scheint, das 2003 zum Beispiel, als wichtige Fragen des staatlichen Aufbaus, der Stärkung der Demokratie und des Rechtsstaates zur Disposition standen, keineswegs festgestellt werden konnte. Dieses Mal geht es um die Ehe. Deren Definition, die aus vielerlei Texten des Zivilgesetzbuchs zu entnehmen ist, soll unbedingt in Verfassungsrang gehoben werden, da ansonsten lauter Gefahren für das rumänische Volk lauern, die nur durch diese mindestens 163,71 Millionen Lei (35,20 Millionen Euro) teure Novelle des wichtigsten Gesetzes Rumäniens gebannt werden können. Die Summe ist dem Regierungsbeschluss Nr. 744 vom 18. September 2018 entnommen und keine freie Erfindung LGBT-freundlicher Journalisten oder Aktivisten.

Doch bevor die Polemik weitergeführt wird, sollte einiges noch einmal erörtert werden. In diesen Tagen der allgemeinen Verwirrung und der allgegenwärtigen Manipulation, geht vor allem das unter, was am meisten für Klarheit sorgen sollte: das Gesetz. Das geltende Gesetz.
Zunächst über die Durchführung der Volksbefragung zur Änderung der Verfassung. Laut Gesetz Nr. 3/2000 über die Organisation und Durchführung des Referendums kann im Falle einer Befragung zur Verfassungsänderung nur eine einzige Frage gestellt werden und die lautet: „Sind Sie mit der vom Parlament verabschiedeten Form des Gesetzes zur Änderung der Verfassung einverstanden?“

Über vier Möglichkeiten verfügt der wahlberechtigte Bürger: Er geht ins Wahllokal, drückt seinen Stempel auf „Ja“, auf „Nein“, oder er annulliert seine Stimme, indem er beides, außerhalb der entsprechenden Rechtecke oder gar nicht stempelt. Oder aber er bleibt zu Hause und nimmt an der Befragung nicht teil. Die Nichtteilnahme ist auch eine Option, und zwar eine genauso legitime wie die Abstimmung mit „Ja“ oder „Nein“. Das sagt nicht der Autor dieser Zeilen, sondern das Verfassungsgericht Rumäniens. Da der Gesetzgeber für die Gültigkeit eines Referendums eine Mindestbeteiligungsquote festgelegt hat, darf der mündige Bürger durchaus zu Hause bleiben, wenn er der Überzeugung ist, dass die Verfehlung dieser Quote und die Ungültigkeit der Befragung seinen politischen Optionen entspricht.

Die von der geltenden Fassung des Gesetzes Nr. 3/2000 festgelegte Mindestbeteiligungsquote für ein Referendum zur Änderung der Verfassung liegt bei 30 Prozent der auf der Wahlliste („listele electorale permanente“) eingetragenen Bürger, gleichgültig ob diese mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen oder ihren Wahlzettel durch mehrfache Abstempelung oder durch keine Abstempelung annullieren. Damit aber das Referendum zu einer tatsächlichen Änderung der Verfassung führt, reicht dies nicht aus, es müssen mit „Ja“ mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Bürger stimmen.

Bei rund 19 Millionen wahlberechtigten Bürgern müssen für die Gültigkeit des Referendums etwa 5,7 Millionen ihre Stimme abgeben. Wenn mindestens 4,75 Millionen mit „Ja“ stimmen, wird Artikel 48 Absatz 1 der Verfassung Rumäniens geändert. Es wird dann heißen, dass in Rumänien die Familie auf der freien Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, auf deren Gleichheit sowie auf dem Recht und der Pflicht der Eltern, ihre Kinder groß zu ziehen, gründet. Das alles steht bereits im Zivilgesetzbuch, rein rechtlich geschieht durch die Änderung der Verfassung gar nichts. Man muss dies wiederholen, auch wenn die Koalition für die Familie und die zahlreichen Verfechter der Verfassungsnovelle anderer Meinung sind. Es bedarf dieser Änderung nicht, damit in Rumänien gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe untersagt wird. Sie war ihnen verboten und sie bleibt ihnen verboten.

Das Referendum wird von der Regierungsmehrheit als eine Generalprobe für kommende Wahlen verstanden und ausgenutzt. Es ist eine Chance, die Treue der Anhänger zu prüfen, die Mitglieder zu mobilisieren und unter Umständen Möglichkeiten des Wahlbetrugs zu erörtern, zumal man auf die Benutzung einer Prüfsoftware verzichtet hat, die 2016 die mehrfache Stimmabgabe erfolgreich verhindert hat. Die Meinung des harten Kerns der Familienbeschützer ist aber jene, dass das Referendum von der PSD-ALDE-Mehrheit nicht konfisziert werden kann, es geht hier vor allem um Fragen der Moral und der Tradition, um die Erhaltung der Volksgesundheit, um die Zukunft der Kinder, keineswegs um die Zukunft von Liviu Dragnea und der Regierung.

Sicher, aber den wahrscheinlichen Erfolg der Volksbefragung werden sich Dragnea und Kumpanen auf die Fahnen schreiben und die Kirchen, alle Kirchen, die hierzulande verständlicherweise für ein klares „Ja“ werben, können dies nicht verhindern. Das Zentrale Wahlbüro hat bereits beschlossen, dass auf den Wahlzetteln das Logo der Jahrhundertfeier gedruckt wird, der enge Zusammenhang zwischen der traditionellen Familie und dem Staat, der dadurch vermittelt werden soll, ist nicht mehr zu leugnen. Und im Falle zumindest einer Kirche, der wichtigsten, ist es offensichtlich, dass sie diesen Zusammenhang erkennt und fördert. Nicht zuletzt zu ihrem eigenen Wohle, dem materiellen, versteht sich. Es stellt sich hier die, zugegeben, etwas naive Frage, ob die Regierung in diesem Fall ihre gesetzlich vorgeschriebene Neutralität nicht längst aufgegeben hat und diskret am laizistischen Fundament der Verfassung rüttelt. Aber die enge Verwobenheit von Staat und Kirche ist eindeutig eine Tradition des rumänischen Volkes und die (demokratischen) Traditionen des rumänischen Volkes finden Erwähnung in der Verfassung, also ist alles gut.

Das Verhalten des „Ja“-Lagers ist einigermaßen überraschend. Wie aus Kirchenkreisen zu entnehmen ist, sind diese sehr stolz darauf, dass es ihnen und den ihnen nahestehenden Vereinen gelungen ist, ein angeblich so wichtiges Thema auf Platz 1 der öffentlichen Agenda zu setzen und das Parlament überzeugt zu haben, die Verfassung zu ändern und das Referendum abzuhalten. Auch hier bleiben einige Fragen im Raum, vor allem jene über die anscheinend einwandfreie Unterschriftenaktion, über die Überprüfung der Unterschriften und die gesamte Legalität der bürgerlichen Initiative, aber diese Fragen sind in der Tat nebensächlich geworden. Das Parlament hat sich der Initiative angenommen, das Verfassungsgericht hat das Änderungsgesetz für verfassungskonform angesehen. Das Referendum muss abgehalten werden, es ist zweifelsohne als legitim anzusehen.

Und auch die Debatte ist legitim, obwohl es dabei bleibt: Die Verfassungsänderung bringt keinen Nutzen, sie ist nicht notwendig, es geht um nichts. Dass aber der Wahlkampf auch mit unfairen Mitteln geführt wird, dass auch sehr viel manipuliert wird, dass mit harten Bandagen gekämpft wird, das darf alles nicht überraschen. Die einzigen, die sich verwundert zeigen, sind die Kirchenvertreter selbst, die angeblich nicht nachvollziehen können, warum sie attackiert werden. Was hätte man denn erwarten sollen? Eine philosophische Auseinandersetzung wie im antiken Athen? Eine Diskussion unter Mitgliedern des Londoner Reform Club? Nun, das Thema beschäftigt die Öffentlichkeit. Im Zeitalter von Facebook & Co. sagt jeder seine Meinung, was ja im Grunde kein Problem wäre, wenn nicht allzu viele bloße Meinungen für Wahrheiten halten würden. Und die Fülle an unwahren, meist erniedrigenden, Hass und unbegründete Ängste schürenden Botschaften, die das „Ja“-Lager dieser Tage verbreitet, lässt schon einige Zweifel an der Redlichkeit der Familienanhänger aufkommen.

Die Verfassungsänderung dürfte sich durchsetzen, aber der Sieg der Mann-Frau-Ehe ist nicht endgültig. Dies geht, rein rechtlich gesehen, aus einer vorige Woche veröffentlichten Urteilsbegründung des Verfassungsgerichts hervor. In der berühmten Causa Coman-Hamilton haben die eher traditionell denkenden Verfassungsrichter befunden, dass die Gleichstellung homosexueller Paare nicht zu vermeiden sei. Man lese den 41. Absatz in der Begründung des VG-Urteils Nr. 534 vom 18. Juli 2018 und staune: Personen gleichen Geschlechts, die stabile Paare bilden, haben das Recht, ihre Persönlichkeit im Rahmen solcher Beziehungen auszuleben und sich mit der Zeit („în timp“) und anhand gesetzlich vorgesehener Mittel der Anerkennung ihrer Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung zu erfreuen. Was das wohl bedeuten sollte? Vielleicht versucht ja das Verfassungsgericht dem Parlament zu erklären, dass Artikel 277 des Zivilgesetzbuchs, wonach im Ausland geschlossene zivile Partnerschaften nicht anerkannt werden können, geändert werden sollte. Dies kommt, ohne Zweifel, dem Untergang der Nation gleich.

Es ist wahrscheinlich, dass am 6. und 7. Oktober mehr als 5,7 Millionen Bürger ihre Stimme abgeben und davon mehr als 4,75 Millionen ihren Stempel auf das Ja-Rechteck drücken. Sicher ist aber, dass, auch wenn man zu Hause bleibt, keine homosexuellen Paare sich die Kinder anderer nehmen können, dass die Zukunft Rumäniens nicht deshalb gefährdet ist, dass das rumänische Volk nicht wegen der Schwulenehe aussterben wird, dass kein anderes Unheil auf Land und Leute zukommen wird, als nur solches, das wir uns tagtäglich selbst einzubrocken wissen.