Wie auf der Bühne des Lebens

Deutsches Theaterlaboratorium Bukarest: Schauspiel als Sprachkurs – oder gnadenloses Lehrstück

Nun dreht „Frau Müller“ (Ramona Olasz) aber mal richtig auf: Die Anschuldigungen der Elternvertreterin (Irina Piloş) gehen zu weit!

In dem vollbesetzten Mini-Theater sitzen die Zuschauer sogar auf der Bühne.

Das Schauspielerteam in „Frau Müller muss weg“: (v. li.) Irina Piloş, George Bîrsan, Ioana Predescu, Diana Nichiteanu, und (nicht im Bild) Vlad Nemeţ.

Zur Vorpremiere kam auch der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk. „Ich wollte ihn erst zur Premiere einladen – doch er hat sich einfach eine Karte gekauft!“, lacht Ramona Olasz.
Fotos: George Dumitriu

Manchmal verbirgt sich eine starke Botschaft hinter einem möglichst unschuldigen Lächeln. Wie eine freundliche Maske zieht sie es vor ihr Gesicht. Als Türöffner zu den anderen Spielern auf dem Maskenball des Lebens? Als schützenden Schild, hinter dem man alles tun und alles sagen kann? Eine aparte Mädchenfrau auf den ersten Blick, doch spätestens auf der Bühne entfesselt sie ungeahnte Energien.  Oder, wenn sie über etwas spricht, von dem sie tief und fest überzeugt ist: „Bakschisch? Nein, Schätzchen, mit mir nicht! Wir arbeiten ehrlich.“ Um ihren Mund zuckt ein spöttisches Lächeln. Weg ist sie, die kindliche Unschuld.

Ihr Leben ist das Schauspiel, doch für sie ist es weder Schau, noch Spiel.  Vielmehr eine Chance, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. „Des Schauspielers wahre Begabung - und das war schon zu Shakespears Zeiten so - ist es, die Wahrheit zu sagen!“ erklärt Ramona Olasz. Dies tut sie denn auch ausgiebig mit sorgfältig ausgewählten, lehrreichen Stücken für Kinder und neuerdings auch Erwachsene in dem von ihr gegründeten Theaterlaboratorium in Bukarest - auf Deutsch! Denn die eigentliche Aufgabe, der sich die Temeswarer Mimin verschrieben hat, ist es nicht, korrupte Zeitgenossen das Fürchten zu lehren... sondern die Lust am spielerischen Erlernen dieser in Rumänien derzeit so beliebten, doch für so schwierig erachteten Sprache zu wecken.

Interaktive Bühnenspiele

In der zum Theater umfunktionierten Blockwohnung in der Strada Dorobanţilor Nr. 73 sitzen wir uns gegenüber. Ich auf einer der effektvoll lackierten Pressspankisten, wo das Publikum normalerweise Platz nimmt, sie auf einem winzigen weißen Stühlchen, eigentlich Bühnendekoration. Wie im wirklichen Leben verfließen die Grenzen zwischen Podium und Auditorium, Zweckgegenstand und Dekor. Unterstreichen die Interaktivität, auf die sie in den Aufführungen Wert legt.

Weil man dabei nie genau weiß, was herauskommt, trifft „Laboratorium“ genau den Nagel auf den Kopf: In dem Stück „Jack und die Bohnenranke“, erzählt Ramona lachend, sollten die Kinder Jack vorschlagen, wie man am besten eine Kuh verkauft. „Was willst du für die Kuh?“ fragte ein Mädchen und fügte unschuldig hinzu: „Schokolade?“ Der Schauspieler nickte. „Okay, ich hab welche“, meinte da die Kleine, stapfte auf die Bühne und hielt ihm eine Tafel hin: „Nun, gib die Kuh!“  Mit der Requisite im Schlepptau zog sie dann zur Verblüffung aller von dannen. Weg war die Kuh! Und das Mädchen durch nichts auf der Welt  zu bewegen, den „erworbenen“ Gegenstand wieder herzugeben.

„Sie hatte ja recht!“ schüttelt sich Ramona Olasz vor Lachen. Nein, mit Schüchternheit hat sie nicht zu kämpfen, das verfliegt nach spätestens zehn Minuten. Auch wenn die meisten gar nicht so gut Deutsch können, denn in der Regel sind es rumänische Kinder, die es als Fremdsprache in Schulen oder Kindergärten lernen. „Deswegen mussten wir uns auch etwas überlegen, denn in den Stücken, die wir aus Deutschland bekommen, ist das Sprachniveau oft viel zu hoch“, erklärt die Banaterin, die nach der beruflichen Versetzung ihres Mannes in die Hauptstadt das deutsche Theaterlaboratorium ins Leben gerufen hatte. Gemeinsam mit ihrem derzeit sechsköpfigen Team - junge, professionelle Schauspieler - bastelt sie die Stücke um, sodass die Kinder für einen der Charaktere, der sich standhaft weigert, Deutsch zu sprechen, übersetzen müssen. „So sehen auch die Eltern, auf welchem Niveau ihr Kind steht, weil es ja sprechen muss“ freut sie sich und fügt an: „Es macht ihnen riesigen Spaß - manche wollen nachher gar nicht nach Hause!“

Spielerisch Lust auf Deutsch wecken lautet auch die Devise, die in ihren Workshops zur Sprecherziehung zum Tragen kommt. Hier lernen die jungen Teilnehmer, Gedichte des österreichischen experimentellen Lyrikers Ernst Jandl szenisch zu interpretieren. Am Ende des Kurses geben sie hierzu eine Vorstellung. Mit kleineren Kindern will sie jedoch nicht mehr arbeiten, denn die können meist zu schlecht Deutsch. Trotz Unterricht in sündhaft teuren Privatkindergärten, wo man ihnen Lieder und Gedichte oft nur auswendig eintrichtert. „Ein Verbrechen!“ empört sich die Schauspielerin. „Für die Eltern hört es sich gut an – aber das Kind versteht kein Wort von dem, was es sagt!“

Stolperstein:  Ehrlichkeit

Ramona Olasz nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit deutlichen Worten bringt sie es auf den Punkt: „Arschkriecherei lohnt sich nicht... und ich will nicht irgendwann mit Gewissensbissen sterben.“ Sich unbeliebt zu machen,  nimmt sie dabei in Kauf. Denn ihre empörte Ehrlichkeit stört selbstverständlich - doch langsam zeigt sie auch Wirkung. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihr die „Bukarester Korruption“, mit der sie früh Bekanntschaft schließen musste. Sammelte man in Temeswarer Schulen vielleicht zwei-drei Lei mehr von den Eltern für eine Theateraufführung  ein, verlangen Bukarester Lehrer hier ganz dreist vom Veranstalter 50 Prozent, erregt sich Ramona Olasz.

„Doch nicht mit mir - nicht nachdem ich das versteuert habe!“ Gleich am Anfang der Verhandlungen sagt sie daher klipp und klar: „Wir geben kein Bakschisch und wir nehmen keins - wir arbeiten ehrlich.“ „Das wird so nicht gehen, hier läuft es NUR mit Bakschisch“, konterte der Betreiber eines Privatkindergartens. Weil Schulen verpflichtet sind, mit den Kindern kulturelles Freizeitprogramm zu machen, mangelt es nicht an privaten Veranstaltern und entsprechenden Abmachungen. Was hinten runterfällt, ist die Qualität. „Sie gehen ja nichtmal ins Staatstheater“, kritisiert Ramona Olasz. Augenzwinkernd fügt sie an: „Aber so langsam verzichten sie aufs Bakschisch, denn die Eltern machen Druck, seit sie uns kennen“. Und lobt: „Wir haben wahnsinnig viel Feedback von den Eltern!“ Unter den Kindern gibt es Fans, die schon zum dritten Mal kommen.

Themen, passend für Rumänien

Für Anfang nächsten Jahres ist auch die Aufführung eines Jugendstücks geplant, verrät Ramona Olasz: „Die Wanze“ - ein Krimi von Paul Shipton. Darin geht es um Demokratie und Menschenrechte und um die Frage, wie man mit Freiheit und Gedankenfreiheit umgeht - hochaktuelle Themen, gerade jetzt nach den Wahlen, findet die Schauspielerin und will die Kinder in anschließenden Diskussionsrunden zu einer Meinungsbildung provozieren.
Diesen November versuchte sich das Team erstmals auch an Aufführungen für Erwachsene: In „Frau Müller muss weg“ von Lutz Hübner, seit zwei Jahren in Deutschland überall und sehr erfolgreich gespielt, geht es um den gnadenlosen Ehrgeiz der Eltern, ihren Sprösslingen mit allen Mitteln den Weg in eine strahlende Zukunft zu ebnen.

Hindernisse müssen unter allen Umständen ausgeschaltet werden - etwa die Klassenlehrerin Frau Müller, die klare Prinzipien vertritt und einigen Schülern mit realistischen Noten den Wechsel aufs Lyzeum versagt. „Gnadenlos gut geschrieben“, schwärmt die Schauspielerin, „und 100 Prozent zutreffend auf die Situation in Rumänien!“ Verblüffende Pointen garantieren Lacherfolge, „doch witzig ist es nur für den, der sich nicht wiedererkennt“, unkt die Mimin, die selbst die Rolle der Lehrerin belegt.

Der Gesellschaft durch Wahrheit den Spiegel vorhalten - das machten schon Shakespeare und Molière, Charlie Chaplin und Bertolt Brecht, ihr besonderes Vorbild. „Mit Verlogenheit kann man nicht schauspielern“ sagt Ramona Olasz überzeugt. Eine Einstellung, die das junge Team des Theaterlaboratoriums verbindet.

Höhenflüge und Enttäuschungen

Schauspiel als Mission - war das immer schon ein Traum? „Eigentlich kam ich nur durch Zufall dazu, doch es passt zu meinem angeborenen Gerechtigkeitsgefühl“,  verrät Ramona Olasz. An der Schauspielschule beworben hatte sie sich im letzten Jahr ihres Journalistikstudiums, das ihr wenig Spaß bereitete - und nur einem befreundeten Regisseur zuliebe, der sie einmal vorsprechen ließ. „Er gab mir einen }uica, da wird man schön locker, und es hat Spaß gemacht...“, erinnert sie sich lachend. Danach hakte dieser immer wieder nach, bis sie, vom schlechten Gewissen geplagt, zur Aufnahemprüfung ging. „Es war das letzte Jahr, in dem man kostenlos studieren konnte, und es waren wohl auch meine jüdischen Gene, die da zum Tragen kamen: ‚Schad ums Geld!‘ sagte ich mir.“  Obwohl Deutsch nicht ihre Muttersprache war und die Schule schon geraume Zeit zurücklag, wurde sie zu ihrer Überraschung sofort in den deutschen Studiengang aufgenommen. „Ich ging dann ein paarmal hin und es begann mir zu gefallen: Viel Freiheit, kein Notendruck, nette Leute. Wir waren wie eine Familie.“ Zwei Jahre verflogen im Nu.

Es folgte ein Engagement am Deutschen Staatstheater in Temeswar, das „damals noch vernünftig geführt wurde“, wie sie sagt. Erst 2008, als Direktorin Ida Gaza in Rente ging und der Nachfolger „Konsumtheater a la Broadway Klimbim einführte - für ein Theater mit Bildungsauftrag fand ich das nicht okay“, brach die Schauspielerfamilie auseinander. „In fünf Jahren gingen 40 Leute - es machte keinen Spaß mehr“, bekennt Ramona Olasz.

Säen und ernten

Die Vorstellungen für die nächsten paar Wochen sind ausgebucht, Miete und Strom gesichert. Für recht viel mehr reicht es noch nicht. Doch wer ernten will, muss auch säen: Pläne, Ziele, Visionen. An Ideensaatgut mangelt es nicht. Über ihre Mitarbeit am Theater „Shakespeare in Styria“ im österreichischen Murau, wo sie in den letzten Sommerferien in „Julius Cäsar“ spielte und im Sommer 2015 in „Antonius und Cleopatra“ in der weiblichen Hauptrolle zu sehen sein wird, lernt Ramona Olasz auch Schauspieler und Regisseure aus Deutschland und Österreich kennen. Den ein oder anderen würde sie zur Bereicherung ihres Theaterlabors gelegentlich nach Bukarest einladen. „Wer weiß, vielleicht findet sich ja ein Sponsor?“ hofft sie mit Blick auf die ausländischen Gagen. 

Ihr schönster Lohn sind Momente, in denen sie spürt: die Arbeit fällt auf fruchtbaren Boden. Es tut sich etwas um sie herum. Lachend erinnert sie sich zum Beispiel an die Revolution im Kindergarten, die sie unbeabsichtigt mit einer Handpuppe ausgelöst hatte.  Sie wollte die Kleinen zum „Steuern zahlen“ für die dortigen Spielsachen provozieren. „Aber pünktlich und ehrlich“, mahnte der Kasperlkönig, „bestehlt mich ja nicht!“ Worauf der kleinste Knirps, der die ganze Zeit schon nachdenklich dagesessen hatte, plötzlich aufstand und rief: „Du bist hier der Dieb!“ Und alle Kinder skandierten mit ihm: „Nieder mit dem Bösewicht!“ „Sie wollten die Puppe nicht mehr sehen“ lacht Ramona unter Tränen und fügt an: „Ich hoffe, der Kleine wird mal Präsident!“