Wie die Regierungskoalition auch den letzten Tropfen Sachverstand verliert

Wirtschaftlicher Umbruch benötigt mehr als Gezank und Umverteilungsphantasmen

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Zwei Nachrichten haben Anfang des Jahres die Temescher Wirtschaft erschüttert: Erst kündigte der Schweizer Lebensmittelhersteller und Weltkonzern Nestlé an, dass er bis Jahresmitte seine Temeswarer Süßwarenfabrik schließen und knapp 400 Mitarbeiter entlassen wird, dann bestätigte der ebenfalls Schweizer Schuhfabrikant Rieker, dass er seine Lugoscher Produktionsstätte aufgeben und 660 Arbeiter vor die Tür setzen wird. Im Internet kursieren zahlreiche Gerüchte, wonach auch andere wichtige ausländische Investoren im Banat, teilweise auch aus der lebenswichtigen Kfz-Zulieferindustrie, ihre Betriebe schließen wollen, doch bislang verhärtete sich noch kein solcher Verdacht. An-dererseits soll auch ein großer Textilhersteller aus der ehemaligen Freihandelszone Arad-Curtici seine dortige Niederlassung geschlossen und die Arbeiterschaft nach Hause geschickt haben. Ein kleinerer Kfz-Zulieferer soll aus dem Raum Arad ins ungarische Miskolc umgezogen sein.

Die Schließung der Nestlé- und Rieker-Niederlassungen ist für die betroffenen Arbeiter und für ihre Familien zweifelsohne eine schlechte Nachricht, doch auf dem weiterhin überhitzten Temescher Arbeitsmarkt dürften die arbeitslos Gewordenen relativ schnell eine neue Arbeit finden. Ob dies in allen Fällen zutreffen wird, insbe-sondere für die Älteren, für die kurz vor der Rente Stehenden, entsprechend neue Jobs vorhanden sind, ist sicherlich eine andere Frage, der sich die jetzigen Arbeitgeber sowie die Arbeitsagentur des Kreises Temesch anzunehmen haben.

Was jedoch die Kommunal- und die Landespolitik beschäftigen sollte, ist die Frage nach dem Wieso. Was ist in den vergangenen Jahren geschehen, dass zwei Unternehmen, die über etwa zwei Jahrzehnte erfolgreich im Banat produziert haben, nun ihre Investitionen aufgeben und insgesamt über 1000 Arbeiter entlassen? Offiziell hieß es bei Nestlé, der Arbeitskräftemangel und der dynamische Auslandsmarkt hätten zur Schließung geführt, bei Rieker sprach man deutlich klarere Worte: die sinkende Arbeitsproduktivität, die steigenden Lohnkosten, der Mangel an Berufsschulen, die ständige Arbeiterfluktuation. Eine sinkende Arbeitsproduktivität bei stetig steigenden Löhnen, die Unfähigkeit des Staates, eine zeitgemäße Berufsausbildung auf die Beine zu stellen, die Arbeitsmigration, die zahlreiche Ortschaften entleert und nur noch die Arbeitsunwilligen zurückgelassen hat, all das würde jedem Betriebswirt schlaflose Nächte vorbereiten. Wenn jede Woche neue Arbeiter eingestellt und ausgebildet werden müssen, wenn diese manchmal nach weniger als einer Arbeitswoche wieder verschwinden, wenn der Lohndruck wächst, die Produktivität aber sinkt, dann sind gewisse Industriezweige vorverurteilt. Dass es zunächst die Lebensmittel- und die Textilindustrie trifft, dürfte allerdings kein besonderes Staunen hervorrufen. Niedrige Margen, harte Konkurrenz, billigere Produktionsmöglichkeiten weiter ostwärts oder ein stabileres Umfeld in der unmittelbaren westlichen Nachbarschaft (die Nestlé-Produktion soll nach Ungarn verlagert werden) sind stichhaltige Argumente, um Lebensmittel- oder Textil-/Schuhfabriken in Westrumänien zu schließen. Andererseits ist es durchaus möglich, dass Konzerne wie Nestlé oder Rieker ihre Banater Fabriken einige zusätzliche Jahre betrieben hätten, wenn zumindest die gesamtwirtschaftliche Lage stabiler und voraussehbarer und der Arbeitskräftemangel nicht derart schlimm wäre. Wenn es dem Staat gelungen wäre, zumindest ein Netz von Berufsschulen zu gründen und zu betreiben und die noch vorhandene, aber nicht ausgeschöpfte Arbeitskraft auch zur Arbeit ermutigt gewesen wäre. Hört sich gut an, nicht wahr? Ist es machbar? Nie. Vergessen Sie es ganz einfach. Der Teufelskreis ist perfekt, ein Ausweg nicht in Sicht.

Seit 2016 hat die sozialdemokratische Regierung einen starken Druck auf den Privatsektor ausgeübt und diesen dazu gebracht, die Mindestlöhne über den Zuwachs der Produktivität anzuheben. Rumäniens Wirtschaft ist gegenwärtig dadurch weniger attraktiv als vor 15-20 Jahren, allein die stetige Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Dienst und die gesetzlich vorgeschriebene Anhebung des Mindestbruttolohns haben sowohl das einheimische, als auch das ausländische Kapital unter massiven Druck gesetzt und die Privatwirtschaft praktisch gezwungen, die Löhne (teil)anzupassen. Hinzu kommen die scharfe Kritik, die die Politik immer wieder im Hinblick auf ausländische Investoren ausübt, sowie die furiosen Attacken gegen das Bankwesen und gegen die Nationalbank.

Ob die Regierung den Wandel bewusst vorantreibt oder nicht, Rumänien verabschiedet sich langsam vom Status eines Billiglohnlandes. Die Beispiele Nestlé und Rieker, die selbstverständlich nicht die einzigen sind, beweisen dies eindringlich. Aber die alljährliche Erhöhung des Mindestlohns, per Regierungserlass, die Einführung einer seltsamen, im EU-Vergleich einmaligen Bankensteuer, die Behandlung des Notenbankchefs durch einige Hinterbänkler der PSD als sei er ein Provinzsekretär der RKP, dem die Genossen aus der Hauptstadt die Leviten lesen, und das Jonglieren mit dem Staatshaushalt, all das macht noch längst keine (vernünftige) Wirtschaftspolitik aus. Allein die Anhörung von BNR-Gouverneur Mugur Isărescu im Parlament hat bewiesen, dass die Politiker der Regierungskoalition über den minimalen volkswirtschaftlichen Sachverstand nicht verfügen, sich dessen voll bewusst sind und sogar die Überzeugung hegen, dass sie keinen solchen Sachverstand benötigen. Schlimmer wird es aber erst dadurch, dass die PNL-Opposition in eigenen Umverteilungsphantasmen schwelgt und der festen Meinung ist, dass ihre ökonomischen Hirngespinste jene der Sozialdemokraten bei weitem übertreffen. Man hat es am Beispiel der Debatte um das Kindergeld deutlich gesehen.

Währenddessen geht die reale Wirtschaft ihre eigenen Wege, getragen von der üblichen Effizienzrechnung. Wenn die Kosten in die Höhe schnellen, wenn die frisch eingestellten Arbeiter morgen schon abhauen und keine neuen mehr kommen und der Staat anstatt in Bildung und Verkehrsinfrastruktur zu investieren einfach verrückt spielt, wird eingepackt und weggegangen. Serbien und Mazedonien sind um die Ecke, der Kaukasus und die zentralasiatischen Länder liegen doch nicht so weit weg und trotz der merkwürdigen Politik des Viktor Orbán bleibt das Investitionsklima in Ungarn relativ stabil, allein der dortige Fachkräftemangel verhindert zusätzliche Auslandsinvestitionen, denn die Infrastruktur und die Ausbildung stimmen weitgehend.

Man hat in den vergangenen Jahrzehnten in Rumänien immer wieder vermutet, dass die Sozialdemokratische Partei über mehr Fachwissen verfügt, wenn es um Wirtschaftsfragen geht. In erster Linie hatte die Nachfolgerin der Rumänischen Kommunistischen Partei einige Fachleute des Vorgängerregimes geerbt, die doch noch etwas von der Ökonomie verstanden, auch wenn ihnen eine Art Perestrojka nach sowjetischem Muster vorschwebte. Es war das Unglück der Demokraten und Liberalen, dass sie 1997-1999 eine schlimme Transformationskrise bewältigen mussten, genauso wie die Băsescu-Boc-Regierung 2009-2012 mit den Verheerungen der Weltwirtschaftskrise auskommen musste. Doch unter Liviu Dragnea, Călin Popescu Tăriceanu, Eugen Teodorovici und dem vorbestraften Wirtschaftsgenie Darius Vâlcov scheint der Koalition auch der letzte Tropfen an Sachverstand abhanden gekommen zu sein. Man kann demnach nicht erwarten, dass Rumäniens Eliten bewusst wird, dass ein anderes Wirtschaftsmodell her muss, weil das alte ausgedient hat.

Weg vom Status der verlängerten Werkbank des Westens, ja, aber wohin dann? Wenn auf Nestlé und Rieker auch andere folgen sollten, was wird mit der freigestellten Arbeitskraft? Gibt es genug Jobs im Niedriglohnbereich in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien? Soll man die Auswanderung weiterer Millionen einfach hinnehmen? Andere Alternativen gibt es wohl kaum und aus der gegenwärtigen Zwickmühle kommt das Land kaum heraus: Rumänien hängt vom ausländischen Kapital ab, weil das eigene zu schwach ist und größtenteils von staatlichen Aufträgen sowie von der Immobilienbranche abhängt, jenem Sektor, worin jeder, der über mehr Geld verfügt, seine Zukunft sieht. So erklärt es sich, warum Rumäniens Großstädte von einem solchen Bauboom ergriffen sind, so erklärt es sich aber auch, warum zum Beispiel in Bukarest so wundervolle Bauten der 1900er Jahre und der Zwischenkriegszeit existieren. Weil man hierzulande den Wohlstand immer nur anhand von Gebäuden, von Wäldern und Feldern und von Vieh gezählt hat. Wer es nicht glaubt, solle es bei Constantin Rădulescu-Motru, dem zynischen Philosophen des alten Rumänien nachlesen. Das Ackerland gehört mittlerweile größtenteils den Ausländern, Tierzucht ist harte Arbeit, sodass nur noch die Villen, die Malls, die Büro- und Wohnhäuser bleiben, an denen eifrig gebaut wird.

Nicht nur das nach dem Jahre 2000 umgesetzte Modell des Niedriglohnlandes am Rande Mitteleuropas hat ausgedient, selbiges ist auch mit den viel älteren Modellen des 19. Jahrhunderts, der Jahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit passiert. Dies will jedoch keiner so richtig wahrhaben. Der Markt bleibt dem Rumänen fremd, er will ihn nicht, er braucht ihn kaum. Was er braucht, ist der Staat, in dessen Abhängigkeit er sich schnell begibt und sich dabei äußerst bequem fühlt. Wer als Stipendiat zur Welt kommt, als Beamter lebt und als Rentner stirbt, der träumt davon, dass der Vater Staat ihn rundum versorgt. Aber dafür muss ihn dieser zunächst ausgiebig plündern.