Wie riecht die Heimat, klingt die Fremde?

Solopart für Edith Alibec und Gruppendiskussion im Odeon-Theater

Edith Alibec – nun k/ein Zirkuskind – muss die Schulbank drücken.

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v. li.): Uwe Koch, Nora Iuga, Gabriel H. Decuble, Christa Ganterer, Matei Demetrescu
Fotos: Michael Marks

Großen Zulauf erhielt die in deutscher Sprache aufgeführte Interpretation von Edith Alibec unter der Regie von Dana Paraschiv der Buchvorlage „Warum das Kind in der Polenta kocht“ von Aglaja Veteranyi am 10. Mai im Odeon-Theater Bukarest. Der Nachlassverwalter von Aglaja Veteranyi, Jens Nielsen, äußerte sich folgendermaßen zu ihrer Darstellung: „Erfrischend zu erleben ist Alibecs reiches und ganz unangestrengt oszillierendes Repertoire an körperlichen Ausdrucksmitteln. Zappelige Ungeduld kann sie genauso selbstverständlich zeigen wie Zurückhaltung, Enttäuschung ebenso natürlich wie schalkhafte Freude, Neugierde oder Beherrschung. Und natürlich überspielte Angst. Alles präzise dosiert...“

Liegt dies an dem fast schon pantomimischen Mienenspiel oder der ungeheuren Wandlungsfähigkeit von Alibec, die der einfachen und doch verblüffend zutreffenden Sprache von Veteranyi neue Facetten hinzufügt?

Theater-Integrationsprojekt nennt Alibec diese herzzerreißende Familien-Tragödie, die sich aus den Schilderungen des Kindes und seinem Blick auf die raue Wirklichkeit des Zirkuslebens ergibt. Die schreckliche Vorstellung von einem „Kind, das in der Polenta kocht“, soll eben nur ablenken von den ungeheuren Ängsten, die das Mädchen bei jedem Auftritt der Mutter, wenn diese an den Haaren durch die Zirkuskuppel wirbelt, durchleidet. Das Kochen, die Gerüche der familiären Küche sind aber auch mit positiven Gefühlen belegt. „Mein Land kenne ich nur vom Riechen. Es riecht wie das Essen meiner Mutter.“ Gleichzeitig entwickelt Alibec ihre Figur als den Werdegang einer jungen Frau zwischen dem Zwang zu familiärer Loyalität und den Anforderungen des bürokratischen Wohlfahrtsstaates. So unterläuft die Mutter wegen der immer prekärer werdenden finanziellen Verhältnisse die Integrationsbemühungen der Tochter und treibt sie dazu, sich zu prostituieren. Aber die angebotenen Sprachkurse und Benimmregeln in den staatlichen Institutionen empfinden beide als mühsam, erniedrigend und wenig erfolgversprechend. Trotz aller Tragik, scheinen dabei immer wieder burleske und komödiantische Momente auf, die das Publikum zu spontanen Lachsalven animieren. Trägt dazu nicht von ungefähr auch der bewusst(?) eingesetzte rumänische Akzent bei? Der hier vielfach thematisierte Kampf mit der fremden Sprache?

Nach hochverdientem Applaus für die hervorragende Protagonistin leitet diese Frage zum zweiten Teil des Abends über, der sich dem Thema der Sprache mit der Fragestellung nähert:

„Wie fremd fühlt man sich in der Fremdsprache?“

Der geübte Moderator Gabriel H. Decuble, Leiter des Bukarester Germanistiklehrstuhls, stellt seine Gäste – die Grande Dame der rumänischen Dichtkunst und hervorragende Übersetzerin Nora Iuga, Matei Demetrescu, Interimsdirektor des DAAD Rumänien, Christa Ganterer, Leiterin der Sprachabteilung und stellvertretende Institutsleiterin des Goethe-Instituts Bukarest und Uwe Koch, Kulturattaché der hiesigen Deutschen Botschaft – ausführlich vor. Dabei ist ihm wichtig, den internationalen Erfahrungsschatz seiner Debattenteilnehmer in den Vordergrund zu stellen.

Die Frage nach den Erfahrungen in der Jugendzeit richtet Decuble denn auch an Nora Iuga, die ebenfalls mit ihren Eltern auf Tournee ging und somit Kindergärten in Deutschland besuchen musste. Einen Sprachverlust habe sie als Kind nicht erlitten, denn da herrschten andere eben auch nonverbale Möglichkeiten der Kommunikation. In ihren weiteren Ausführungen streifte sie auch noch einmal die Sprache der Autorin Aglaja Veteranyi, wobei sie betonte, dass für einen guten Schriftsteller die höhere Bildung nicht unbedingt das entscheidende Kriterium sei. Durchaus könne er das, was er zu sagen habe, gekonnt mit einfachen Worten ausdrücken.

Gefühle der Sprachlosigkeit und Ohnmacht schienen die Diskussionsteilnehmer kaum zu kennen. Meist führten sie positive Erfahrungen im Umgang mit dem Ausland an, sei es als Herausforderung wie bei Christa Ganterer, die dies besonders im beruflichen Umfeld zu schätzen weiß, sei es als Befriedigung der persönlichen Wissbegier oder Erfüllung professioneller Ziele. Keiner wollte ein irgendwie wertendes oder vergleichendes Urteil über die Länder seines Auslandsaufenthalts geben. Für Matei Demetrescu waren die positiven persönlichen Beziehungen für eine rasche Akklimatisierung in das fremde Umfeld ausschlaggebend.

Allerdings räumte Koch ein, dass die ersten Monate in einer fremden Umgebung, solange die Sprache einem gänzlich unvertraut ist, ungeheuer anstrengend seien, als würden Töne wie unverständliche Sprechblasen auf das Gehör einprasseln. Aber die Erfahrung, wie das eigene Gehirn sich automatisch bemühe, Strukturen zu erkennen, sei ausgesprochen bereichernd. Sprachbarrieren bzw. die Schwierigkeiten des Übersetzens nahmen in den Ausführungen breiten Raum ein. Dabei ging es weniger um Sprachkompetenz im technischen Sinne, sondern um die Vermittlung des Sprachgefühls. Paul Celan hätte immer gejammert, dass er sich in dieser teutonischen Sprache ausdrücken müsse, dabei wäre das für ihn ein Glücksfall gewesen, denn auf Rumänisch wäre ihm dieser Erfolg nie zuteil geworden, meint Iuga.

Ein Übersetzer von Literatur müsse mehr leisten, denn er müsse das Gefühl und die Begeisterung für den Text wecken, in diesem Sinne habe sie die „Blechtrommel“ von Günther Grass für die Rumänen geschrieben. Dass kongeniale Übersetzungen nicht unbedingt immer textgenau sein müssen, ist bekannt und so bemerkte Koch pointiert: „Luther war als Übersetzer eine Null.“ Dies auch als Antwort auf den Einwurf aus dem Publikum: „Man lebe nicht in einem Land, sondern in einer Sprache“. Umgekehrt erwiderte Koch, könne man allerdings auch erst dann davon sprechen, in einer fremden Sprache angekommen zu sein, wenn man sie so verinnerlicht habe, dass man sie nicht mehr übersetze, ja sogar in ihr träumen könne.

Vielleicht die treffendste Antwort auf die themengebende Frage des Abends.