Wiedereröffnung der Nationaloper in Bukarest mit „La Traviata“

Für die Inszenierung konnte der bekannte schottische Regisseur Paul Curran gewonnen werden

Die Premiere der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ am 30. Oktober dieses Jahres markierte nicht nur die Eröffnung der Spielzeit 2014/2015 in der Bukarester Nationaloper, sondern zugleich auch die Wiedereröffnung des Bukarester Opernhauses, das sich in frisch renoviertem Gewande zeigte und auch im Hinblick auf die Akustik des Großen Saales entscheidende Verbesserungen erfahren hat.

Für die Neuinszenierung von Verdis „La Traviata“, die in diesem Jahr (im November und im Dezember) und auch im kommenden Jahr (im Januar und Juni) auf dem Spielplan der Bukarester Nationaloper steht, konnte der bekannte schottische Regisseur Paul Curran gewonnen werden, der mit seinen Operninszenierungen etwa am Teatro La Fenice in Venedig oder am Royal Opera House Covent Garden in London Aufsehen erregt hat und der in naher Zukunft auch an der Metropolitan Opera in New York seine theatralischen Visionen auf der Opernbühne umsetzen wird.

Die weibliche Hauptrolle der Violetta Valéry wurde bei der Premiere von der rumänischen Sopranistin Aurelia Florian gesungen, die diesen Part schon an der Seite von Rolando Villazón oder Leo Nucci gegeben hat und auch sonst auf den Opernbühnen der Welt insbesondere mit Verdi-Rollen präsent ist. Die männlichen Hauptrollen wurden ebenfalls von exzellenten rumänischen Sängern interpretiert: der Tenor Ioan Hotea sang den Part des Alfredo Germont und der Bariton Ionu] Pascu die Rolle von dessen Vater Giorgio.

Ergänzt wurde die herausragende Gastbesetzung des Premierenabends durch den britisch-russischen Dirigenten und Komponisten Alexander Prior, der gerade erst zweiundzwanzig Jahre alt ist (und vielleicht deshalb den ersten Akt im T-Shirt dirigierte), aber bereits mit Orchestern von Weltrang wie dem Royal Philharmonic Orchestra London zusammengearbeitet hat und außerdem schon auf ein beachtliches kompositorisches Oeuvre verweisen kann.

Der auch für die choreografische Umsetzung von Verdis „La Traviata“ verantwortlich zeichnende Regisseur Paul Curran transponiert in seiner Bukarester Neuinszenierung die Opernhandlung aus dem Paris der Zeit von Alexandre Dumas und seiner „Kameliendame“ (1848), die die literarische Vorlage von Verdis 1853 uraufgeführtem Musikdrama bildet, in das darauf folgende Jahrhundert (angedeutet durch ein weißes Telefon und einen weißen Flügel), eigentlich aber in ein zeitloses Kulissenambiente, das aus cremefarbenen Türen, Wandelementen und Deckenkassetten in wechselnden Arrangements aufgebaut ist. Der Bühnenbildner Gary McCann ließ sich beim Design der farbenprächtigen und variationsreichen Roben und Kostüme von Werken des Fotografen Cecil Beaton sowie von Kreationen der Modeschöpfer Jacques Fath, Charles James und Christian Dior inspirieren.

Die Choreografie des Chors wie auch der Gesangssolisten blieb leider hinter dem Augenschmaus des koloristischen Kostümereigens zurück. Die zumeist frontal gruppierten Bühnenauftritte wirkten plakativ, blockhaft, statisch, ließen inneres Leben vermissen. Manche choreografischen Einfälle wie die schlangenhaften Armbewegungen der auf die große Treppe drapierten weiblichen Chormitglieder im ersten Akt wirkten unfreiwillig komisch, und auch der Auftritt der Stierkämpfer auf Floras Ball im zweiten Akt entbehrte jedweder Grandezza.

Der Verzicht des Regisseurs auf bühnenbildnerische Modernisierung wie auch die Nichterkennbarkeit einer von ihm gewählten besonderen inhaltlichen Schwerpunktsetzung ließen seine wenig innovative Inszenierung der Oper „La Traviata“ letztlich harmlos und traditionell erscheinen, was für den musikalischen Gesamteindruck allerdings nicht von Nachteil war. Vielmehr konzentrierte sich der Regisseur in seiner Bukarester Neuinszenierung ganz auf seine Hauptpersonen, allen voran auf Aurelia Florian als Violetta, die viel Bein zeigen und die Schönheit ihrer schlanken Gestalt auch in schicken Hosen präsentieren durften. Mit gewaltiger Stimmfülle, feinstem Timbre, differenziertester Dynamik und reichster Ausdrucksvielfalt begeisterte sie das Bukarester Publikum, das ihr immer wieder Szenenapplaus spendete.

Auch Ionu] Pascu und Ioan Hotea als Vater und Sohn Germont bescherten den Zuhörern exquisite Hörgenüsse. In den Solonummern, Duetten und Terzetten der drei Protagonisten wurde wahre Dramatik erfahrbar, die man in der Inszenierung der Massenszenen vermisste. Die Begegnung der drei Hauptakteure in Violettas Sterbezimmer am Ende des dritten Aktes zählte dabei zu den sängerischen Höhepunkten der Bukarester Premiere.

Nicht geringen Anteil am musikalischen Gesamteindruck hatte der von Stelian Olariu einstudierte Opernchor, der vielleicht gerade wegen der Frontalauftritte seine ganze Stimmkraft entfalten konnte und mitunter prallste Fortissimi in den Zuhörerraum hinausschmetterte. Der Dirigent Alexander Prior führte das Opernorchester, dem allein schon zuzuhören ein einziger Genuss war, zu ungeahnter Subtilität und differenziertester Klangsprache, nicht nur in den solistisch besetzten Passagen, sondern gerade auch im Tutti. Die herrliche Akustik im neu renovierten Großen Saal trug dazu bei, dass man oftmals kaum seinen Ohren traute und aus dem vermeintlichen Traum in eine noch schönere Klangwirklichkeit hinein erwachte.

Ganz zu Beginn der Premierenvorstellung hatte der Generaldirektor der Nationaloper Bukarest, Răzvan Ioan Dincă, im vollbesetzten Saal das Wort ergriffen und die frisch eröffnete Spielzeit unter den Begriff einer neuen „Normalität“ gestellt: ein glänzendes Operngebäude, eine wunderbare Akustik, ein gedrucktes Programm für die gesamte Saison, grandiose Gastsolisten, ein guter Chor und ein gutes Orchester – das sei die Normalität, der sich nun endlich auch die Oper in Bukarest erfreuen könne. Das ist in der Tat eine Leistung, die man nicht genug loben kann und die in der Eröffnungspremiere zur laufenden Spielzeit einen würdigen Ausdruck gefunden hat.

Nun fehlt nur noch, dass die solchermaßen beschworene Normalität auch von den Saaltechnikern, dem Saaldienst und insbesondere vom Publikum erkannt, angenommen und gelebt wird. Man erhofft sich also eine Technikerloge, in der nicht unablässig geredet wird; Saaltüren, die nicht ständig auf- und zugehen; Saaldienste, die den Einlass überwachen und Latecomers gegebenenfalls zur Ordnung rufen; Ansagen, die klarmachen, wann Saalpause und wann lediglich Umbaupause ist; und Menschen, die die Musik lieben und während der Aufführung auf die Betätigung ihres iPhones oder auf die Konversation mit ihrem Nebensitzer Verzicht leisten. Wenn diese Hoffnung dereinst erfüllt werden wird, ist die Bukarester Nationaloper ganz und gar in der Normalität angekommen.