„Wir betrachten uns als Beobachter, nicht als Belehrende“

Gespräch mit Paul Ciocan, Vizevorsitzender des Vereines ProDemocraţia, Club Braşov/Kronstadt

Paul Ciocan, Vizevorsitzender des Vereines ProDemocraţia, Kronstadt.
Foto: der Verfasser

Es war in den turbulenten Jahren, gleich nach der Wende von 1989, als in Kronstadt eine Hand von Enthusiasten den Grundstein für den Verein legte, welcher heute zu einem sehr wichtigen Beobachter der politischen und gesellschaftlichen Szene des Landes geworden ist: ProDemocraţia. Das Netzwerk lokaler Vereine tritt immer wieder bei Wahlen – oder wie jetzt der Fall, bei einer Volksbefragung – in den Vordergrund, wobei die eigentliche, durchgehende Tätigkeit der breiten Öffentlichkeit meistens unbekannt bleibt. Über diesen Alltag, über Erfolge und Hoffnungen, sprachen wir mit Paul Ciocan, dem Vizevorsitzenden der Kronstädter ProDemocraţia. Paul Ciocan trat dem Verein Pro Democraţia Club Kronstadt im Jahre 2000 bei, zuerst als Freiwilliger, später als fester Mitarbeiter für verschiedene Projekte. Die Fragen stellte ADZ-Redakteur Hans Butmaloiu.

Ausgehend von den öffentlichen, allgemein jedem Bürger zugänglichen Quellen – welches ist Ihres Erachtens nach der Informationsstand der Bürger? Mit anderen Worten: Ist der Durchschnittsbürger genügend gut informiert, um bei Wahlen oder Befragungen aufgrund seiner Kenntnisse zu entscheiden?

Ich bin der Meinung, dass der Bürger alle Möglichkeiten hat, sich zu informieren, doch ihm wird nicht geholfen, bei der Auswahl der Informationsquellen zu unterscheiden. Weltweit und hierzulande sowieso, gibt es eben einen großen Anteil von Vermittlern von Information. Dabei bestehen Interessen, Tatsachen und Fakten in einer ganz bestimmten, ihren Zielen entsprechenden Art und Weise darzustellen. Von den Medien als Gesamtheit, also Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen, ist glaube ich rund drei Viertel davon nicht wirklich unabhängig, sondern parteisch.

Also bleiben etwa 25 Prozent mit einer objektiven Darstellungsweise?

Ja! Das ist einer der Gründe, weshalb die Bürger es schwer haben, zwischen den Informationen, zu welchen sie freien Zugang haben, zu unterscheiden. Niemand kann behaupten, es gäbe eine Manipulierung der Information in dem Sinne, dass manche Quellen dem Bürger nicht zugänglich seien. Sie sind verfügbar, doch der Großteil der Bürger weiß nicht mehr, was wahr ist.

Gut, auch auf diesem Gebiet ist ja ProDemocraţia seit Jahren tätig und kann zahlreiche Initiativen vorweisen, um als Wegweiser zu helfen. Haben diese eine Wirkung gezeigt, und, wenn ja, welche?

Wenn wir uns auf die Darstellungsweise der Medien beziehen, da hat sich der Verein nie auf direkte Weise in das Leben der Presse eingemischt, weil das ja auch gar nicht seine Aufgabe ist. Mit so etwas befassen sich die Vereine (NGO), welche tatsächlich die Presse beobachten, die Darstellungsweise der Presse verfolgen, und diese leisten sehr gute Arbeit. Ich meine gezielt AMP (Agenţia de Monitorizare a Presei), geleitet von Mircea Toma. Da ist aber etwas anderes: Nach meiner Meinung hat ProDemocraţia, wie übrigens auch andere ähnliche Vereine, keine eigene Kommunikationsstruktur aufgebaut. Gut, aus dem Wunsch heraus, nicht parteiergreifend zu sein, aber auch wegen fehlenden Ressourcen entstand kein alternativer Kommunikationskanal. 

Damit umschreiben Sie eigentlich die beanspruchte Rolle des Vereins: Als Beobachter und nicht als Wegweiser...

Genau! Das machen wir! So haben wir uns immer betrachtet, das sind wir: Ein Beobachter der Geschehnisse. Nie haben wir den Platz eines Richtungsweisers angestrebt. 

Bleiben wir ein wenig bei dieser selbst auferlegten Zurückhaltung, wenn ich sie so nennen kann. Was unternimmt ProDemocraţia, um die Ergebnisse dieser Beobachtungen der Öffentlichkeit vorzustellen? Damit meine ich andere Kanäle als die eigene Internetseite. Diese wird gelesen, doch sie aufzusuchen, das machen, glaube ich, eher wenige. 

Richtig, unsere Beobachtungen werden eigentlich von wenigen Bürgern gesucht. Und wir unternehmen – leider – nicht genug, um diese bekannt zu machen. Es sind wieder die knappen Ressourcen, über welche wir verfügen, aber vielleicht auch eine noch unreife Strategie in diese Richtung. Wir hatten aber auch einige Ansätze, doch es bleibt noch vieles offen. Ich erwähne an dieser Stelle unsere Kampagne „Für ein sauberes Rumänien“ welche wir in einem Wahljahr durchgeführt haben, zusammen mit SAR (Societatea Academică Română). Gemeinsam haben wir Beobachtungen über die Wahlkandidaten gemacht und erforscht, welche Vergangenheit diese hatten: Von unlauteren Geschäften bis hin zu Strafverfolgung. Nun, diese gesammelten Daten haben wir erfasst und aufbereitet. Dieses wieder der Öffentlichkeit vorzustellen, birgt aber auch ein gewisses Risiko, denn immer werden sich welche finden, die solch einen Bericht sofort als tendenziös abstempeln. Auf unser Image als unparteiischer Beobachter setzen wir viel Wert, doch, wie Sie wissen, gab es in der letzten Zeit auch Angriffe, Stimmen, welche behaupten, dass der Verein und vor allem sein Vorsitzender, Cristian Pîrvulescu, Partei ergriffen habe. Die Führung, einschließlich ich, wurden in den elektronischen Medien, vorwiegend auf den Bloggerseiten, beschuldigt, politische Spiele für eine bestimmte Seite gemacht zu haben. Das wollen wir uns nicht nachsagen lassen, deshalb die Zurückhaltung aber auch Bereitstellung der Beobachtungen. 

Diese Beobachtungen machen im Vorfeld, während und gleich nach den Wahlen den Hauptteil Ihrer Tätigkeit aus?

In der erwähnten Zeitspanne ja, dann sind sie unsere Haupttätigkeit im politischen Bereich. Bei den letzten Wahlen haben wir Wahlbeobachter eingewiesen, betreut und eingesetzt. Wir haben das Wahlsystem, das Wahlgesetz vorgestellt, wie auch die Bedeutung und die Befugnisse der Behörden für welche Kandidaten gewählt werden. Das insbesondere für junge Wähler, welche ihre Stimmen zum ersten Mal abgeben und sich informieren wollten. Das haben wir auch im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Transilvania Universität gemacht. Genauso wie in jedem Wahljahr: 2000, 2004, 2008 und jetzt. Das machen wir konsequent. Aber wenn Sie nach anderen Projekten fragen, nun ja, das ist die schon „klassische“ Beobachtung der Art und Weise, wie Gesetze oder manche Gesetze angewandt werden. Hier beziehe ich mich direkt auf das Gesetz, welches den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse gewährleistet und zwar Nr. 544/2001.

Nach den Lokalwahlen kam ein zusätzlicher, anderer Termin dazu, und zwar die Volksbefragung. Wie reagiert ProDemocraţia in solch einem Fall?

Als Erstes lassen Sie mich bitte folgendes sagen: Diese Volksbefragung hat uns, als Beobachter in Wahlkampagnen und Wahllokalen beim effektiven Wahlvorgang überrascht. Ich traue mich zu sagen, dass auch viele Politiker selbst von der Schnelligkeit der Entwicklungen überrascht wurden. Aus diesem Grund hatten wir nicht eine ungewohnte, aber mit Sicherheit eine eigenartige Lage: wir sind eigentlich immer bereit, zu beobachten. Doch sind die Politiker auch immer bereit, zu handeln? Den Aufwand, welchen eine Wahlkampagne benötigt, kennend, die Vorarbeit und Logistik, wage ich zu sagen, dass wir – eben wegen diesem Überraschungseffekt – keine großartige Kampagne hatten. Aber wir waren anwesend und mit unseren Wahlbeobachtern haben wir unsere Aufgabe und Rolle wahrgenommen. 

Eine Volksbefragung hängt von der Beteiligung der Wähler ab, doch in Anbetracht der Besonderheiten, der Umstände, gibt es Überlegungen, um den Bürgern vielleicht die Bedeutung einer Volksbefragung näher zu erläutern? Der Beteiligung?

Jein! Es ist so: Für uns ist es schon von großer Bedeutung, die Beteiligung an einer Volksbefragung zu bemessen. So etwas zeigt uns, wie interessiert die Bürger an den Geschehnissen in der Gesellschaft sind und das ist ja sehr wichtig. Andererseits hat ProDemocraţia niemals die Bevölkerung ausdrücklich dazu aufgerufen, sich an einem Urnengang zu beteiligen. Es ist einfach nicht unsere Aufgabe, es würde aus dem Rahmen fallen. Ich persönlich bin auch nicht der Auffassung, dass die Stimmenabgabe Pflicht sein müsste. Es ist entschieden die Aufgabe der Politiker, die Bürger dazu zu motivieren, ihre Stimmen abzugeben! Und um das zu bewerkstelligen, müssen die Politiker die adäquatesten Botschaften und Kanäle finden, nicht wir. Was wir immer machen werden, ist, den Bürgern genau mitzuteilen, was sich bei einer Volksbefragung zuträgt, was sie bedeutet und wozu sie notwendig ist. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ein Bürger soll seine Meinung äußern, aber er soll sich diese Meinung erst mal bilden, um sie äußern zu können. Da gibt es wieder Arbeit für uns, denn wir haben auch in der jüngsten Vergangenheit Treffen veranstaltet, um Politiker miteinander – vor den Wählern – zu konfrontieren. 

Wie würden Sie das Ergebnis beschreiben?

Guter Inhalt, mäßige Beteiligung, wenn ich es kurz fassen sollte. Vor allem die Debatte der Kandidaten für den Kreisrat bewerte ich als inhaltsreich und objektbezogen. 

Und wie betrachten Sie die Entwicklung der Wählerschaft?

Das Wahljahr 2012 brachte zwei Überraschungen. Erstens eine Wahlbeteiligung, welche die Erwartungen übertroffen hat und zweitens ein viel stärker als erwarteter Beteiligungswunsch. Es hat vor den Wahlen Meldungen von Bürgern gegeben, welche festgestellt haben, dass die Listen mit den Ausschüssen in den Wahllokalen von den Behörden ohne Einbeziehung der Bürger aufgestellt worden waren. Mit anderen Worten, die Behörden selbst haben für einige Wahllokale die Ausschüsse festgelegt und die Bürger einfach übergangen. Das beweist nicht nur, dass die Bürger mehr Interesse zeigen; sie sind jetzt auch besser informiert und wissen, welches ihre Rechte sind: in diesem Fall, das Recht als Ausschussmitglied zu wirken. Und natürlich füge ich da auch Erfahrung hinzu, denn viele kennen schon die gemeinen Tricks, mit welchen bei den Wahlen geschummelt wird, mit Wahlstempeln und Wahlzetteln. Ein Minus besteht schon noch in dieser Hinsicht – viele der Beteiligten in den Ausschüssen der Wahllokale gehen den Ablauf nicht professionell an. Wir haben seit mehreren Jahren eine für Wahlen zuständige Behörde, doch mit dem eigentlichen Ablauf sind die Wahlbüros der Kreise oder Ortschaften beauftragt und diese bestehen aus Mitarbeitern, welche nicht immer das geforderte Fachwissen haben. 

Werden als Vorsitzende dieser Büros manche Berufe bevorzugt?

Wenn es möglich ist – und das ist meistens der Fall – so werden Richter eingesetzt. Doch nur auf dieser Ebene. 

Wenn Sie die Entwicklungen der letzten Zeit betrachten, vom Standpunkt der ProDemocraţia aus, gibt es etwas, was Sie sich wünschen?

Ja, klar! Nehmen wir die Bewegungen der Bürger nur seit Jahresbeginn als Ausgangspunkt, so würde ich es gerne sehen, wenn sich auch nur ein Teil derer, welche auf der Straße protestiert haben und ihre Unzufriedenheit geäußert haben, auch wirklich handeln würden. Viele sagen, die Politiker seien überholt und es müssten neue her, na dann sollen sich – sagen wir 10.000 – in die Partei einschreiben, welche sie kritisieren, mit der sie unzufrieden sind, welche sie umkrempeln wollen und dann selbst, von innen her, die neuen Politiker einsetzen. Ich würde gerne sehen, was zum Beispiel passieren würde, wenn solch ein massiver Beitritt von innen her einen Wechsel an der Spitze einer Partei auslösen würde. Diejenigen, die alle Parteien als gleich betrachten und sie über einen Kamm scheren, könnten auf diesem Weg in einer Partei das bewirken, was sie selber wünschen. 

Wir bedanken uns für diese Erläuterungen.