„Wir dürfen als Mahner einfach nicht locker lassen“

Ein Gespräch über Politik und Aufgaben der politischen Bildung mit Sven-Joachim Irmer, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest

Sven-Joachim Irmer wirft einen kritischen Blick auf die rasante Entwicklung der politischen Ereignisse in den letzten Wochen in unserem Land.

Sven-Joachim Irmer, geboren 1974 in Lübeck, ist Diplom-Sozialpädagoge. Nach dem Studium arbeitete er u. a. als Wahlkreisgeschäftsführer für die Bundestagsabgeordnete Anke Eymer, als Geschäftsführer des Fördervereins der Philharmonie der Nationen und für eine international tätige Unternehmensberatung. Seit Juni d. J. leitet er das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Rumänien und der Republik Moldau. Mit Sven-Joachim Irmer sprach für die ADZ Luise Schifter-Popescu.

Herr Irmer, Ihrem Lebenslauf konnte ich entnehmen, dass Sie Wirtschaft und Sozialpädagogik studiert haben. Was löste Ihr Interesse für die Politik aus? Wann geschah das?

Für Politik habe ich mich schon immer interessiert. Konkret wurde es bei mir mit 14 Jahren, noch vor der deutschen Wiedervereinigung. Ich wurde in meiner Heimatstadt Lübeck Mitglied der Schüler Union, das ist die Organisation vor der Jungen Union. Mit 16 Jahren trat ich in die Junge Union und die CDU ein. Besonders geprägt hat mich die Wiedervereinigung 1989-1990. Lübeck war nur einen Steinwurf von der innerdeutschen Grenze, dem Eisernen Vorhang, entfernt. Ich konnte als Kind den Stacheldraht und den Todesstreifen sehen. Ich habe nie verstanden, warum es zwei deutsche Staaten gab, wieso Stacheldraht ein Volk trennen darf und Menschen darin gehindert werden, ihre Meinung zu äußern, sich ihren Überzeugungen folgend politisch zu engagieren und frei zu reisen. Dieses greifbare und real existierende Unrecht hat mich bis heute nachhaltig politisch beeinflusst. 

Wie kamen Sie zur Konrad-Adenauer-Stiftung?

Meine Entwicklung bis hin zur KAS fing im Studium an.

Als Praktikant?

Zunächst ja. Anschließend war ich dort immer wieder als Referent und Tagungsleiter tätig. Außerdem habe ich meine Diplomarbeit über die Adenauer-Stiftung geschrieben. In den darauffolgenden Jahren habe ich den Kontakt zur KAS immer gepflegt. Anfang dieses Jahres ergab sich dann die Möglichkeit, direkt als Mitarbeiter der Stiftung zu arbeiten und ab 1. Juni die Position als Leiter unseres Auslandsbüros in Bukarest zu übernehmen.

Am ersten Juni? Ihrem Geburtstag? Ein Zeichen?

Ein gutes, will ich hoffen.

Damit komme ich zur nächsten Frage. Sie sind seit weniger als zwei Monaten in Rumänien und gleich in eine besonders turbulente Zeit geraten. Haben Sie das erwartet, irgendwie kommen sehen?

Eigentlich nicht. Ich hatte eher einen ruhigen Sommer erwartet, in dem ich Zeit habe, Sprache, Land und Leute kennenzulernen, um die Mentalität hierzulande besser zu verstehen. Man kann viele Bücher lesen und natürlich auch mit rumänischen Freunden sprechen. Das reicht aber nicht. Man sollte das alles selbst erleben und erfahren. Deshalb werde ich in den kommenden Wochen und Monaten viel durch das Land reisen, um Gespräche mit den Vertretern aus Politik und anderen Bereichen der Zivilgesellschaft zu führen und mir einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen: Das, was hier gerade passiert, erschreckt mich. Als Europäer, natürlich auch als Privatperson. Rumänien ist Mitglied der Europäischen Union und damit Teil einer Wertegemeinschaft, die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als ewiges Fundament begreift. Diese Grundlagen müssen für alle Mitgliedsstaaten unantastbar bleiben und jeder, der sie verletzt, muss mit Reaktionen, aber auch Sanktionen der Gemeinschaft rechnen. Die politischen Entscheidungsträger in Rumänien bzw. die Regierung gefährden derzeit die Position und den Ruf Ihres Landes innerhalb der Europäischen Union und handeln damit nicht zum Wohle ihres Volkes.

Was genau erschreckt Sie?

Was mich erschreckt? Das Tempo! In nur acht Wochen wird ein Staat umgebaut, indem verfassungsrechtliche Grundlagen missachtet und Institutionen wie eine unabhängige Justiz fast vollständig entmachtet werden. Es ist für mich unglaublich, wie die Regierung mit dem Parlament und vor allem mit der Opposition umgeht. Es ist die Pflicht der Europäischen Union, ihrer Mitgliedsstaaten und der Akteure der europäischen Zivilgesellschaft, diese Entwicklung zu kritisieren. Als Konrad-Adenauer-Stiftung haben wir das in den letzten Wochen auch immer wieder getan und werden dieses auch weiter tun. Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP, gab unlängst eine Pressemitteilung heraus, in der er sich zu der „klaren Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze“ in Rumänien äußert. Wir dürfen als Mahner einfach nicht locker lassen. Es gibt europäische Werte, Regeln und Wege, die Rumänien seit und sogar vor seinem Beitritt anerkannte. Das Land legte viele Fortschritte an den Tag, befand sich auf dem richtigen Weg. Das man all das kaputt machen könnte? Natürlich erschreckt es mich. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich kann nur hoffen, dass es keinen langfristigen Schaden hinterlässt und die Menschen die Hoffnung und das Vertrauen in die Politiker und die Justiz nicht endgültig verlieren. 

In Deutschland wird die Kritik zu den jüngsten politischen Entwicklungen in Rumänien immer lauter. Sind es ausschließlich CDU-CSU-Stimmen?

Die ersten kritischen Stimmen kamen aus den Reihen von CDU und CSU und der Europäischen Volkspartei. Alle im Bundestag vertretenen Parteien, bis auf die LINKE, haben sich mittlerweile kritisch zu den politischen Geschehnissen geäußert. 

Viele Politologen hierzulande sprechen von einem sehr gut vorbereiteten Plan. Was meinen Sie, könnten Sie recht haben?

Ich bin erst seit ein paar Wochen im Land, also zu kurz, um mir eine umfassende Meinung erlauben zu dürfen. Ich muss aber zugeben, dass ich die Entwicklungen als überzeugter Demokrat sehr kritisch verfolge. 

Zumal diese neue Mehrheit, die immer wieder angesprochen wird, auch eine künstliche ist, nicht auf Wahlen beruht, sondern auf Überläufern. Wie ist das in Deutschland geregelt mit diesen politischen Opportunisten? Kann ein Bundestagsabgeordneter während des Mandats von einer Partei zur anderen übergehen?

Das ist durchaus möglich, dabei handelt es sich jedoch um Einzelfälle, die in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie entscheidend waren.

Es gehört nicht zur politischen Kultur?

Richtig, es gehört nicht zu unserer politischen Kultur, dass große Teile einer Partei zu einer anderen wechseln. Grundsätzlich hat dies wohl etwas mit der Ausprägung unseres Parteiensystems zu tun, welches anhand sehr klarer Konfliktlinien strukturiert ist. Es geht um grundsätzliche Werte, Menschenbilder und Lebensvorstellungen. Wofür steht eine Partei? Wofür steht sie nicht? Ein wichtiges Thema übrigens für die politische Arbeit der KAS auch in Rumänien. 

Leider Gottes muss man sagen, dass Parteien hierzulande, auch wenn sie sich als mitte-rechts oder mitte-links beschreiben, mit Ideologie oder Programmen wenig zu tun haben. Und ich denke mir, dass die KAS auch in diesem Punkt etwas beitragen könnte, denn politische Bildung wird ja groß geschrieben bei Ihnen.

Das Engagement der KAS für die politische Bildung in Rumänien hat Tradition. Wir sind ja seit 1991 in Rumänien aktiv, 1998 eröffneten wir dann auch die Außenstelle in Bukarest. Zusammen mit unseren Partnern konnten wir viel dazu beitragen, dass man sich hier auseinandersetzt mit der Idee des Rechtsstaates, der Sozialen Marktwirtschaft, der Christdemokratie, mit vielen anderen Dingen, die die Menschen hier bewegen. Natürlich ist es nicht die Aufgabe der Konrad-Adenauer-Stiftung, mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend zu laufen, um jemanden von unseren Vorstellungen zu überzeugen. Wir sind da, um Angebote zu machen, aus unserer Erfahrung heraus zu berichten, auf unsere Arbeit aufmerksam zu machen und zu beraten. Die politische Kultur eines Landes vor dem Hintergrund der individuellen historischen Bedingungen neu zu strukturieren, ist immer ein langer Weg. 

Sie sprachen von Angeboten. Wie sehen Ihre derzeitigen Aktivitäten in Rumänien aus?

Es geht beispielsweise darum, die Zivilgesellschaft dazu einzuladen, sich mit der Aufarbeitung des Kommunismus zu beschäftigen. Hierzu arbeiten wir mit verschiedenen Organisationen zusammen. In Kürze soll eine solche Veranstaltung stattfinden, die Sommerschule in Sighet. Die Gesellschaft muss sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Ich weiß, dass es weh tut, wenn unangenehme Fragen aufgeworfen werden. Vor allem wenn Vertreter der jüngeren Generation ihre Eltern oder Großeltern nach deren Verantwortung und Verhalten befragen. Man kommt aber nicht drum hin. Nicht wenn man sich dafür einsetzt, dass Totalitarismus, Ausschaltung von funktionierenden Staatsapparaten oder Beseitigung der Demokratie und ihrer Strukturen nie wieder passieren sollen. Es hilft der Demokratie, wenn sie wachsame Begleiter hat. Wir versuchen, ein breites Publikum mit einem weitgefächerten Spektrum an Maßnahmen anzusprechen. Natürlich arbeiten wir auch mit Jungpolitikern zusammen, um ihnen mittels gut ausgebildeter Trainer näher zu bringen, wie man Dinge gestalten könnte (wohlgemerkt: könnte, keinesfalls muss). Eigentlich möchte ich den Weg weiterführen, den meine Vorgänger bereits eingeschlagen haben. Dies bedeutet in erster Linie die intensive Gestaltung eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Ein weiterer Dialogpartner ist darüber hinaus die deutsche Minderheit in Rumänien. Da stehe ich gerade am Anfang der Gespräche und hoffe, dass es mir in der nächsten Zeit gelingt, ein noch stärkeres Netzwerk zu Vertretern dieser Gruppe aufzubauen. Außerdem suchen wir das Gespräch mit den Vertretern der Kirchen, die in Dialogprozessen mit den Bürgerinnen und Bürgern stets ein wichtiger Partner sind.

Sie verwenden das Wort Dialog oft. Da hapert es hierzulande, meiner Meinung nach, sehr. Sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Politik. Viele gute Sachen scheitern an der Unfähigkeit, ein Vorhaben oder eine Handlung oder eine Idee zu erklären. Daher meine Frage: Denken Sie auch an Maßnahmen im Bereich der Kommunikation?

Kommunikation ist das Herzstück menschlichen Zusammenlebens, der Politik und auch der politischen Bildung, wenn man diese auch als Förderung des Verständnisses Andersdenkender begreift. Heutzutage gibt es vor allem durch das Internet vielfältigere Formen der Kommunikation, durch die man unterschiedliche Zielgruppen erreichen kann. Diese Wege nutzt die KAS bereits und will ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben. Daher bieten wir spezielle Schulungen an. Kommunikation ist für den Menschen eine einzigartige Möglichkeit, auch vor dem Hintergrund der jetzigen Geschehnisse, deutlich zu machen, was sie wollen und was nicht. Auch die Demonstrationen, die wir unlängst beobachtet haben, sind ein Mittel der Kommunikation. Sie zeigten mir, dass junge Leute bereit sind, ihre Stimme zu erheben und um ihre Rechte und für ihr Land zu kämpfen. Sie gehen auf die Straße. Nicht nur wenn es um Lohnkürzungen geht oder um die Abschaffung eines Rettungsdienstes, sondern auch weil sie die Strukturen ihres Landes und damit ihre eigene Zukunft gefährdet sehen. Das macht mich hoffnungsfroh, dass wir auch mit unserem Angebot auf dem richtigen Weg sind. 

So wie es aussieht, sind Sie beruflich 100-prozentig eingedeckt mit Aktivitäten. Man muss sich keine Sorgen machen, dass Sie sich langweilen könnten.

Das stimmt...

Wie sieht es aus mit Ihrem Privatleben? Ich weiß, dass Sie alleine gekommen sind nach Rumänien. Was meinen Familie und Freunde dazu?

Ich bin froh, dass es Skype gibt und direkte Flugverbindungen nach Berlin. Das macht den Kontakt zu meiner Familie einfacher. Meine Familie und Freunde unterstützen mich bei meiner Aufgabe hier. Das ist gut für mich, besonders in Zeiten, wo es so hektisch ist. Die Liste an Besuchern, die sich bei mir anmelden, wird auch täglich länger. Was mich besonders freut, denn diese anhaltenden Stereotypen über Dracula und Knoblauch werden Rumänien nicht gerecht. Und nichts wirkt besser dagegen als eine Reise ins Land. Ansonsten bleibt für Hobbys auch etwas Zeit: Besonders zum Laufen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Das hilft mir sehr.

Herr Irmer, ich wünsche Ihnen viel Erfolg und freue mich auf ein nächstes Interview vor einem, hoffentlich, ruhigeren Hintergrund.

Es kann nur besser werden. Das beweisen ja auch die jüngsten Ereignisse, oder? Die Ermahnung der EU hatte Erfolg und Ministerpräsident Ponta wurde dazu bewogen, die Vorgaben des Verfassungsgerichts einzuhalten und das Referendum verfassungskonform durchzuführen. Es bleibt abzuwarten, wie das Referendum ausgeht und welche politischen Konstallationen sich anschließend ergeben werden. Eine Vorhersage kann ich natürlich nicht machen.

Wir, andererseits, haben eine ganze Reihe von Aufgaben vor uns. Darunter der Kongress der Europäischen Volkspartei im Oktober. Für uns, die Konrad-Adenauer-Stiftung, auch eine große Herausforderung. Ich hoffe, dass die rumänische Zivilgesellschaft die Ereignisse, die sich gerade abspielen, nicht akzeptieren wird. Ich freue mich auf die Aufgaben und die vielen Begegnungen, die mich erwarten und ich freue mich auf das nächste Interview.