„Wir machen aus Geld Wissen, aber die Gesellschaft will, dass aus dem Wissen wieder Geld entsteht!“

ADZ-Gespräch mit Professor Hans-Jörg Bullinger, Mitglied des Senats und ehemaliger Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft (2002-2012)

Professor Hans-Jörg Bullinger beim Vortrag im Senatssaal der Technischen Universität Temeswar
Foto: Zoltán Pázmány

Vor Kurzem hat Professor Hans-Jörg Bullinger, Mitglied des Senats der Fraunhofer-Gesellschaft und langjähriger Präsident der bekannten Forschungsorganisation, an der Technischen Universität Temeswar einen Vortrag zum Thema „Die «Morgenstadt» – eine High-Tech-Strategie für Deutschland“ gehalten. Anlass dazu bot die Verleihung der Titel eines Ehrenmitglieds und eines Emeritus-Mitglieds der Stiftung „Politehnica“ Temeswar. Die Technische Universität Temeswar und die Fraunhofer-Gesellschaft, die größte Forschungsorganisation Europas, schauen auf eine langjährige Zusammenarbeit zurück. Das größte Projekt hat 2007 begonnen und läuft noch unter dem Titel „Vision Temeswar 2030“, dabei geht es um die Entwicklung einer nachhaltigen Infrastruktur in Temeswar. Über den Stand der Forschung und Perspektiven in der Zusammenarbeit sprach mit Professor Hans-Jörg Bullinger die ADZ-Redakteurin Ştefana Ciortea-Neamţiu.

Welches war aus Ihrer Sicht der wichtigste Moment in der Kooperation zwischen dem Fraunhofer-Institut und der Technischen Universität in Temeswar?

Wir haben sehr viel im Bereich der Automatisierung und der Robotik zusammengearbeitet, so ist die Beziehung auch entstanden, über die beiden „Roboterpäpste“, wenn ich das so sagen darf, Professor Kovacs (aus Temeswar – Anm. d. Red.) und Herrn Professor Wanecke (vom Fraunhofer-Institut – Anm. d. Red.). Aber das wichtigste Projekt, noch aus der Zeit, in der ich das gewissermaßen im Anschluss an Wanecke übernommen habe, ist diese „Vision Temeswar 2030“. Dieses Denken hat uns auch im Ansatz bei der High-Tech-Strategie in Deutschland beeinflusst. Wir haben gesagt, so kann es nicht weitergehen, wenn es nur eine Technologie gibt, die dann hineingedrückt werden muss in die Märkte, wir müssen in der Definitionsphase mehrere Mitmenschen mitnehmen, auch wenn die nicht wissen, aus welchem Material ich das mache, aber sie haben die Grundmeinungen dazu.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach dieses Projekt im Bereich Verkehrswesen ausgewirkt? Haben Sie den Transport in Temeswar getestet?

Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn man von außen kommt und das vergleicht, dann würde man sich natürlich manchmal wünschen, es würde manches schneller gehen in der Entwicklung, aber als Außenstehender kennt man die Hinderungsgründe nicht und weiß nicht, warum es nicht ging. Temeswar hat sich eigentlich im Stadtbild nicht dramatisch verändert, in den 15-20 Jahren. Insofern ist es gut, dass man jetzt anfängt, man sieht überall die offenen Baustellen, und es wird auch gut sein, weiter daran zu bleiben, denn die Lebensbedingungen sind auch die Bedingungen, um die klügsten Köpfe im Land zu halten und innerhalb des Landes nach Temeswar zu ziehen. Warum gehen alle jungen Leute nach Silicon Valley? Das hat was mit den Lebensbedingungen dort zu tun, nicht nur mit Arbeitsbedingungen.

Wenn Sie schon Amerika angesprochen haben: Es ist eine Konstante im europäischen und im deutschen Diskurs, dass es eine Kluft im Bereich der Forschung zwischen Amerika und Europa gäbe. Welches Erfolgsrezept hat trotzdem das Fraunhofer-Institut?

Es gibt auch „Fraunhofer USA“, das wir auch massiv ausgebaut haben, außer drei-vier Forschern, sind das alles Amerikaner und auch sehr erfolgreich. Selbst Obama hat jetzt im Senat gesagt, er würde eine Milliarde in die Produktionsforschung nach dem Fraunhofer-Modell investieren. Das würde ich mit der Kluft so pauschal nicht sehen. Die Amerikaner sind in bestimmten Feldern, da gehört die ganze Computerforschung dazu, es gehört auch vieles dazu, was man für militärische Auseinandersetzungen braucht – wir sind ja froh, dass sie über uns die Hand halten – und was den Finanzbereich anbetrifft, ganz vorne. Ansonsten gibt es viele Bereiche der Forschung, wo ich den Vergleich mit den USA nicht scheuen würde: die Materialforschung, die Chemieforschung, die Laserforschung, die Optikforschung, die Roboterforschung. Die Amerikaner sind überall gut, aber es ist nicht so, dass sie so dominierend sind wie in der Computerentwicklung. In Europa haben wir einigermaßen gleichwertige Universitäten, in den USA haben sie Spitzenuniversitäten, wie Harvard, Princeton, Carnegie Mellon, Caltech Institute, aber sie haben Universitäten, die schlechter sind, als man sich in Europa vorstellen kann. Man kann das nicht pauschalieren. Wir können viel lernen von den USA, deshalb sind wir von Fraunhofer auch rüber in die USA. Aber dass wir das pauschal sagen, dass sie besser wären, das würde ich so nicht beschreiben.

Aus Ihrer Beziehung zu der Technischen Universität Temeswar: Auf welchem Standpunkt befinden sich Temeswar und Rumänien mit der Forschung?

Man muss Folgendes sehen: Die rumänischen Kollegen habe eine exzellente Grundausbildung was Mathematik, Naturwissenschaften und all diese Dinge betreffen, aber denen haben natürlich modernste Computerprogramme, modernste Maschinen für die Studenten zur Ausbildung, modernste Laborausrüstungen gefehlt. Manchmal nützt der klügste Kopf nichts, wenn er nicht die Hilfsmittel dazu hat, und das sind die Fälle dann, die nach Amerika gehen, weil sie dort bessere Felder haben, nicht weil die amerikanischen Forscher klüger sind, sondern weil sie bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Da muss man sicher was tun. Da ist es auch in Temeswar so gewesen. Als wir die ersten Male herkamen, war ja die Ausrüstung sehr, sehr schlecht. Sie ist jetzt viel besser als damals, aber sie ist immer noch nicht gut genug. Man muss von staatlicher Seite noch einiges in die Ausstattung – ich rede gar nicht von den Räumen, sondern was in den Labors steht – da müssen sicher mehr Anstrengungen unternommen werden, es muss noch viel mehr investiert werden. Wenn die Forscher mehr Geld von der Gesellschaft wollen, dann müssen sie der Gesellschaft sagen, warum. Dann können sie nicht in unverständlichen Floskeln mit denen reden, sondern sie müssen sagen, du hast ein Problem und deine Enkel auch, und das müssen wir lösen.

Und dann muss das heruntergebrochen werden. Und das muss dann gesagt werden, der Approach, diese Wende, den wir mit dem Auslaufen der Schröder-Regentschaft vor 12-14 Jahren begonnen haben, der hat sich sehr gelohnt. Frau Merkel sagte immer zu mir, wissen Sie, Herr Bullinger, eure harten Forschungsthemen, die kriegen wir nicht verkauft. Dann haben wir umgesteuert, wir haben das ganze Portfolio von Fraunhofer über Problemlagen erklärt, an denen wir arbeiten und nicht über die einzelnen Technologien. Wir machen aus Geld Wissen, aber die Gesellschaft will, dass aus dem Wissen wieder Geld entsteht, also über die Innovationen neue Produkte und Lösungen entstehen und ich denke, an diesem Kreislauf muss gearbeitet werden. Der Ausbildungsstand und das Know-how ist bewundernswert gut hier in Temeswar und die Ausstattung – fakultativ. Wenn jemand wie Professor Bogdanov dann auch gute Beziehungen hier zu „Kathrein“ hat, dann hat er natürlich andere Möglichkeiten, aber das ist ja keine systemische Lösung, man kann nicht von jedem Professor erwarten, dass er so einen Support von außen findet. Ich finde schon, man muss mehr in die Ausstattung der Universitäten investieren.

Professor Bogdanov hat vorhin ein Projekt vorgestellt, das erst vor ein paar Tagen vorgelegt wurde und die Gründung von Exzellenz-Zentren mit Hilfe des Fraunhofer-Instituts in Temeswar und Klausenburg vorsieht und vielleicht im Rahmen des EU-Programms „Horizont 2020“ finanziert wird. Was sollen diese Zentren bewirken?

Da hoffen wir beide, dass es so kommt. Diese Zentren sollen das Problem der kritischen Masse lösen: Da machen wir Mikroelektronik und statten ein Labor aus in Temeswar und ein paar Kilometer weiter, in Hermannstadt noch mal. Wäre es nicht besser, irgendwo ein vernünftig großes Labor zu machen, dass man noch teurere Anlagen kaufen kann? Ich rede jetzt von der Laborausstattung und nicht von dem Unterricht der Studenten. Dieser Grundgedanke also, kritische Masse bilden – ich habe das jetzt an den Geräten erklärt, dasselbe gilt aber auch für die Köpfe. Ich habe ja ganz andere Spezialisten, wenn ich mehr habe, wie wenn ich einen Spezialisten überall habe. Das hat man auch andernorts erkannt, es ist ja nicht nur ein rumänisches Problem, es ist ein weltweites, europäisches Problem. Und jetzt will man solche Zentren bauen. Man will auf Nukleen aufbauen, die es bereits gibt, und da auch an die Regionen denken. Fraunhofer kommt mit der Erfahrung von 22.000 Menschen. Eine Region, die so etwas braucht, ist Rumänien. Die EU hofft, dass nach sieben Jahren die nationale Regierung und die Wirtschaft die Zentren tragen. Ich hätte auch keine Angst, dass es nicht passiert.