„Wir sind froh, Sie in Europa zu haben”

Der 66. Heimattag der Siebenbürger Sachsen fand vom 13. bis 16. Mai in Dinkelsbühl statt

Der Festumzug in Dinkelsbühl
Foto: Christine Chiriac

Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier (links) bekommt vom Verbandsvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius ein Fotobuch über Siebenbürgen.
Foto: Janek Wiechers

Das malerische Städtchen Dinkelsbühl liegt mitten in einer idyllischen Hügellandschaft und überrascht mit dem gut erhaltenen spätmittelalterlichen Stadtbild, dem prachtvollen Münster St. Georg und der Stadtmauer mit unverwechselbaren Mauertürmen und Stadttoren. Die Zeit scheint hier still zu stehen, die Häuserzeilen strahlen etwas Museales aus. Doch merkt man nach und nach, dass Tradition lebendig ist und liebevoll gepflegt wird, denn gerade dieses Kulturerbe ist das, was der Stadt eine einzigartige Identität verleiht und sie zu etwas Besonderem macht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Heimattag der Siebenbürger Sachsen, der seit 1951 in Dinkelsbühl stattfindet und jährlich zu Pfingsten immer mehr Besucher, in diesem Jahr geschätzte 20.000, anzieht. Dort geht es ebenfalls um Traditionspflege und Erhalt von Bräuchen, aber darüber hinaus um ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das nicht mehr nur Menschen aus einer Nachbarschaft oder Gemeinde, sondern Siebenbürger Sachsen aus Deutschland, Österreich, Rumänien, den USA und Kanada miteinander verbindet. Daher auch das Motto des diesjährigen Treffens: „Ich gehör‘ dazu! Du auch?”
In Dinkelsbühl kommt man sehr schnell ins Gespräch, sei es vor der Bäckerei, wo die fränkischen Schneeballen verkauft werden, sei es an einem der zahlreichen Baumstriezel- und „Mici”-Stände oder in einem der schicken Cafés. Es beeindruckt die Vielfalt an Einfärbungen der deutschen Sprache: neben Siebenbürgisch-Sächsisch in allen vorstellbaren Ortsmundarten hört man Fränkisch und Schwäbisch, Deutsch mit siebenbürgisch-sächsischem oder rumänischem Akzent, ab und zu mit typisch ungarischen Interjektionen ausgeschmückt; Hochsprache sprechen hier bestenfalls die Politiker und Promis, die aus den Hauptstädten anreisen. Und das sind nicht wenige. Doch welches waren, in einer subjektiven Bilanz, die Höhepunkte des Heimattags?

Plädoyers für den Erhalt des deutschen Schulwesens

Im Rahmen einer Podiumsveranstaltung diskutierten Prof. Dr. Andrei Pleşu, Vorsitzender des Rumänisch-Deutschen Forums, Dr. Christoph Bergner, Mitglied des Deutschen Bundestags, Ovidiu Ganţ, Abgeordneter der deutschen Minderheit im Rumänischen Parlament, Werner Hans Lauk, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, und Dr. Bernd Fabritius, MdB, Vorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen e.V. und Präsident des Bundes der Vertriebenen, über die Zukunft der deutschen Sprache und Schule in Rumänien. Sie waren sich einig, dass der Lehrermangel weiterhin bekämpft, die Unterrichtsqualität verbessert und der wirtschaftliche Unterbau als Voraussetzung ausgebaut werden müsse. Die Zukunft Europas sei vielsprachig und Regionen mit gewachsener Mehrsprachigkeit – wie Siebenbürgen und das Banat – hätten einen Modellcharakter für Europa, unterstrich Dr. Bergner. Außerdem sei Deutsch mit 115 Millionen Sprechern die verbreitetste Muttersprache in Europa, argumentierte Botschafter Lauk. Andrei Pleşu erinnerte schließlich daran, dass deutsche Einflüsse eine maßgebliche Rolle bei der Begründung der Moderne in Rumänien gespielt haben und die gesamte damalige Elite an deutschen Universitäten und Schulen ausgebildet wurde. „Deutsche Anwesenheit in Rumänien ist nicht marginal, sondern strukturell”, sagte Pleşu. „Wir scheinen nicht mehr zu wissen, wie wichtig diese Präsenz ist – wir sind aber verpflichtet, dieses Erbe zu erhalten und zu pflegen.”

Interesse für die Belange der deutschen Minderheit

„Sie fehlen uns zu Hause in Rumänien, aber wir sind froh, Sie in Deutschland und Europa zu haben”, sagte der rumänische Ministerpräsident Dacian Cioloş den Siebenbürger Sachsen im Rahmen eines Empfangs im Dinkelsbühler Rathaus. Auch in seiner Rede am Pfingstsonntag hob er hervor, dass die viel zitierte „Brückenfunktion” der deutschen Minderheit zwischen Rumänien und Deutschland längst zu einer Autobahn gewachsen sei und dies die beste vorstellbare Diplomatie im Sinne der bilateralen Beziehungen darstelle. Er bekräftigte das Interesse der rumänischen Regierung an den Belangen der deutschen Minderheit. Die Regierung sei bereit, nicht nur für die Sicherung der Kirchenburgen zu investieren, sondern auch gemeinsam mit der siebenbürgisch-sächsischen Jugend und den Organisationen der Minderheit möglichst bald Projekte zur Wiederbelebung der Baudenkmäler zu entwerfen.

Im Rahmen der Kundgebung vor der Schranne dankte auch Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier den Siebenbürger Sachsen für ihren Beitrag an der Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft der Bundesrepublik sowie dafür, dass sie ihre Identität nicht vergessen haben. „Wir Deutsche wissen, was Krieg, Vertreibung und Leid bedeuten”, sagte Altmaier. „Gerade deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass der Nationalismus Europa zerstört.”

Jubiläen und Ausstellungen

Der 66. Heimattag war ein „Heimattag der Jubiläen”: das Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen e.V., die Siebenbürgisch-sächsische Jugend in Deutschland (SJD) und die Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins feierten ihr dreißigjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass wurden Ausstellungen über das Sozialwerk und die SJD sowie eine Multimediashow über die Sektion Karpaten gezeigt. Zudem diskutierten in einer Podiumsrunde über das Sozialwerk die Bundestagsabgeordneten Dr. Christoph Bergner und Dr. Bernd Fabritius, der Landesforumsvorsitzende Paul Jürgen Porr, der Ehrenvorsitzende des Sozialwerks Peter Pastior und der aktuelle Vorsitzende Dr. Johann Kremer. Das Sozialwerk und die SJD wurden auch im Rahmen einer Festveranstaltung in der St.-Pauls-Kirche gefeiert, die musikalisch von der Siebenbürgischen Kantorei gestaltet wurde. Die Festrede hielt Dr. Wolfgang Bonfert, Ehrenvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen e.V. Er erinnerte an die Gründungsmomente und Meilensteine in der Entwicklung der beiden Organisationen und unterstrich den maßgeblichen Stellenwert, den soziale Solidarität und Jugendarbeit schon immer im Gemeinschaftsleben der Siebenbürger eingenommen haben.

Eine etwas andere Ausstellung trug den Titel „Der Erste Weltkrieg in Siebenbürgen”. Sie zeigte Lichtbilder des Offiziers Bernhard Dormeier vom Goslarer Jäger-Bataillon, die im September 1916 in Siebenbürgen entstanden sind: die Grauen des Kriegs, Schlachtfelder und Verwüstung auf beiden Seiten der Front, aber auch sächsische Kirchgänger und rumänische Bauern in Volkstracht. Die sehenswerten Bilder befinden sich im Besitz des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim am Neckar und waren im Rahmen des Heimattags in Dinkelsbühl nun erstmals öffentlich zu sehen.

Literatur, Kultur, Engagement

Rührend war die Autorenlesung mit Iris Wolff und Frieder Schuller am Pfingstsonntag. Die junge Hermannstädter Schriftstellerin las aus ihrem zweiten Roman, „Leuchtende Schatten”, in dem es um die Jahre 1943-1944 in Rumänien, die Rekrutierung der Siebenbürger Sachsen für die Wehrmacht und den Seitenwechsel Rumäniens von der Achse zu den Alliierten geht, im Vordergrund handelt das Buch aber von einer Mädchenfreundschaft voller Unschuld und Leichtigkeit. Die Erzählung lebt gerade von dem Spannungsverhältnis zwischen ernsten und lustigen Themen, insgesamt stellt sie jedoch einen Abschied von einer Welt dar, die mit dem Zweiten Weltkrieg anfängt zu verschwinden. Der Dichter, Theaterautor und Regisseur Frieder Schuller las aus seinen Lyrikbänden „Die Angst der Parkbank vor dem Abendrot” und „Mein Vaterland ging auf den roten Strich” mit Gedichten von 1975 bis 1978. Eindrucksvoll waren die Miniaturen über das endlose Warten auf den Pass und das Hin- und Hergerissensein einer Mutter zwischen dem Auswandern zum Sohn, der in Ingolstadt lebt, und dem „Hierbleiben“, im Land, wo „das Sterben ernst genommen wird”.

Die bildende Künstlerin Sieglinde Bottesch erhielt für ihr Werk den Kulturpreis der Siebenbürger Sachsen, der von den Verbänden in Deutschland und Österreich seit 1968 verliehen wird. Somit kommt der Name der in Hermannstadt geborenen Malerin, Grafikerin, Illustratorin und Bildhauerin zu den 74 Kulturpreisträgern hinzu, die ein wahres Persönlichkeitenlexikon siebenbürgisch-sächsischer Leistung darstellen: Karl Kurt Klein, Hermann Oberth, Grete Csaki-Kopony, Franz Xaver Dressler, Gustav und Konrad Gündisch, Hans und Erich Bergel, Friedrich Bömches von Boor, Wolf von Aichelburg, Harald Zimmermann, Oskar Pastior, Helmut Sadler, Georg Scherg, Michael Kroner, Joachim Wittstock und viele mehr wurden bereits mit dem Kulturpreis gewürdigt. Der Siebenbürgisch-Sächsische Jugendpreis der SJD und der Nachwuchswissenschaftlergruppe „Studium Transylvanicum” ging in diesem Jahr an den Bundesobmann des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Manfred Schuller, der „für seinen Einsatz und Leistungen” geehrt wurde, „die er seit über vierzig Jahren im Dienste siebenbürgisch-sächsischer Jugend erbracht hat.” Er war Leiter der Volkstanzgruppe sowie Nachbarvater der Nachbarschaft Laakirchen, Initiator der Bundestanzgruppe Österreich und Bundesjugendsprecher, er organisierte federführend das Föderationsjugendlager 2009 und die Internationale Volkstanzveranstaltung 2014 in Österreich.

Festumzug und viel Gastfreundlichkeit

Der einprägsamste Moment des Heimattags war der Festumzug am Pfingstsonntag, an dem 102 Gruppen und mehr als 2800 Trachtenträger teilnahmen. Es war ein wahres Erlebnis, die fröhlichen Menschen, die unterschiedlichen Hüte, Hemden, Stickereien, Schürzen, Mäntel zu sehen, zudem fiel die rege Beteiligung unzähliger Kinder und Jugendlichen an dem Umzug auf. Eine siebenbürgisch-sächsische Farbenpracht, Trachtenvielfalt und Musikfreude, die man sonst in diesem Ausmaß nirgendwo erlebt. Zwei Aspekte, die nicht im Vordergrund stehen, aber unerlässlich für das Gelingen einer derartigen Großveranstaltung sind, sollten noch erwähnt werden: die Gastfreundlichkeit der Stadt Dinkelsbühl, die vom 13. bis 16. Mai gänzlich die Siebenbürger Sachsen in den Mittelpunkt des Stadtgeschehens rückte, und die exemplarische Organisation des Heimattags v. a. durch die die Landesgruppen Berlin/Neue Bundesländer, Hamburg/Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen/Bremen, Rheinland-Pfalz/Saarland sowie die SJD.

Auf dem Programm stand aber noch viel mehr: ein Vortrag von Dr. Konrad Gündisch zum Thema 875 Jahre Siebenbürger Sachsen, eine Podiumsdiskussion zu siebenbürgischen Einrichtungen in Deutschland mit prominenten Gästen wie Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa, und Rockstar Peter Maffay, das Singspiel „Bäm Brännchen” von Grete Lienert-Zultner in der Regie von Maria Schneider, eine Fotoausstellung über die Kirchenburgen von Dr. Jürgen van Buer, Vorträge zu Anton Maly aber auch zu wirtschaftlichen und rechtlichen Themen, Fußball, Tennis, Volleyball unter Jugendlichen, zahlreiche Verkaufsausstellungen, legendäre Partys im Festzelt und jede Menge siebenbürgisch-sächsischer Tanz und Musik. Man freut sich auf weitere „Sachsentage“: das Sachsentreffen in Sächsisch-Regen im Herbst, der nächste Heimattag in Dinkelsbühl und das erweiterte Sachsentreffen in Hermannstadt im Sommer 2017.