„Wir wollen mehr über Rumänien lesen“

Podiumsdiskussion mit Vertretern deutscher Minderheitenzeitungen aus Osteuropa in Ulm

Rede und Antwort stehen Radiomoderatorin Verena Hussong (zweite von links) die Pressevertreterinnen der ADZ Nina May (links) und Ştefana Ciortea-Neamţiu (zweite von rechts), sowie Angela Korb (rechts) vom deutschen Wochenblatt „Neue Zeitung“ in Ungarn. Foto: George Dumitriu

„Alle in einem Boot? Frauen und Medien im Donauraum“ – mit diesem Titel lockte man an Osteuropa interessierte Deutsche zu einer Podiumsdiskussion anlässlich des Internationalen Frauentags ins Haus der Donau in Ulm. Dekorativ in der Ecke überrascht gleich ein vertrauter Anblick aus der Heimat: das hölzerne Ruderboot von Ivan Patzaichin, die Canotca, hat auch die Donau bei Ulm schon erobert. Ähnlich wie in Tulcea gibt es in Ulm ein Donaufest, wenn auch nur alle zwei Jahre. Erstaunlich groß wirkt der noch junge Fluss, der im nahen Donaueschingen entspringt und nun hinter dem nach ihm benannten Veranstaltungshaus lebhaft vorüberplätschert. Touristisch setzt die Donau das angrenzende alte Fischerviertel mit seinen prachtvoll restaurierten Fachwerkhäusern und urigen Lokalen dramatisch in Szene.

Ebenso anziehend ist die begehbare Festungsmauer im Vollmond, der den filigranen Turm des Ulmer Münsters in ätherisches fahlblaues Licht taucht. Der Fluss, der halb Europa durchqueren soll, ist zweifellos schon eine Attraktion in Ulm – aber auch schuld an dem vielen Nebel, der das Städtchen so häufig umwabert, weil sich hier die kleine, eiskalte Blau in den wärmeren Mutterstrom ergießt.

Ulmer Schachteln auf dem Weg ins Banat

Was Rumänien sonst noch mit Ulm verbindet? Die Donauschwaben natürlich, die hier mit ihren flachen Zillen – wegen ihrer einfachen Bauweise auch abfällig Ulmer Schachteln genannt – einst gen Osten aufbrachen, um unter anderem das Banat zu besiedeln. Ihnen ist in Ulm ein aufwändig gestaltetes Museum gewidmet: das Donauschwäbische Zentralmuseum. Spannend aufgebaute Führungen ziehen auch mit dem Thema bisher wenig Vertraute in den Bann.

Zu den regelmäßigen Besuchern gehören vor allem Schulklassen, die dort nicht nur eine Lektion in einem ihnen unbekannten Teil der Geschichte erhalten, sondern auch in Sachen Toleranz und ethnischer Vielfalt. Ulm ist schließlich Schmelztiegel vieler Völker: Türken, deutsche Juden aus Russland, zurückgekehrte Banater Schwaben... in jeder Schulklasse hat mindestens die Hälfte irgendeinen Migrationshintergrund. Ein vorwitziger Junge bemerkt im Museum: „Ich wusste gar nicht, dass wir Deutschen auch in Rumänien eine Geschichte haben.“

Leider lockt man Touristen ansonsten etwas schwer in den außerhalb des Altstadtkerns gelegenen Bau, klagt Swantje Volkmann, Kulturreferentin für Südosteuropa am Donauschwäbischen Zentralmuseum. Zusammen mit Gesa Krauß, der Leiterin der Frauenakademie an der Ulmer Volkshochschule, und Sabine Meigel vom Donaubüro Ulm/Neu-Ulm, hatte sie uns zu der obengenannten Podiumsdiskussion eingeladen.

Was die Donau alles verbindet

Während sich die Reihen im Saal bereits mit Gästen füllen – die meisten stellen sich als reifere, unternehmungslustige Damen heraus, die schon einmal oder mehrmals nach Rumänien gereist sind oder sonstigen Osteuropabezug haben – besprechen wir den Ablauf mit Radiomoderatorin Verena Hussong, die die Diskussion leiten wird. Wir – das sind drei Medienvertreterinnen der deutschen Minderheit aus Rumänien und Ungarn: Ştefana Ciortea-Neamţiu aus unserer Temeswarer Redaktion (ADZ/BZ), die als Dozentin auch zum Thema Journalismusstudium in Rumänien berichten kann; Angela Korb vom ungarndeutschen Wochenblatt „Neue Zeitung“, neben ihrer Journalistentätigkeit auch als Lyrikerin aktiv, und meine Wenigkeit.

Unvermeidlich der Einstieg: Alle wollen wissen – ist Klaus Johannis als neuer Präsident ein Hoffnungsträger für Rumänien? Wie zu erwarten auch jede Menge Fragen nach der Pressefreiheit in Ungarn und zu den besorgniserregenden politischen Entwicklungen. Bald wechseln wir von der Tagespolitik in unseren Arbeitsalltag: Was bedeutet es, Frau und Journalistin zu sein? Gibt es Probleme, Aufstiegsschwierigkeiten, Diskussionen über eine Quote? Wählen Frauen andere Themen, pflegen sie einen anderen Berichtsstil?
Die meisten Fragen sind stark vom Hintergrund in Deutschland geprägt.

Bei der Antwort muss man oft erst einmal die Perspektive zurechtrücken. Rumänien – oder auch Ungarn – hat viele Gesichter, es gibt unterschiedliche Betrachtungswinkel. Politskandale und Korruption – oder ein sicheres, ursprüngliches Reiseland mit warmherzigen Menschen und einer noch ungezähmten Natur. Authentisch Erlebtes und selbstbeobachtete Details illustrieren eine immense Vielfalt. Wir sprechen vom Kampf um Roşia Montană: Bürger, die gegen den Zyanidsee und für ein weltweit einzigartiges Kulturerbe monatelang auf die Straße gingen, im Protest gegen die Machenschaften der am Goldabbau Interessierten, die Gegendemonstranten bezahlten und Expertisen unterschlugen. Von den illegalen Abholzungen gigantischen Ausmaßes oder von Geldtransfers der Politiker in Offshore-Gebiete – Themen, die von den Medien aufbereitet wurden, doch es mangelt allzu oft an Folgemaßnahmen, sodass die Bevölkerung den Glauben an die Presse als Kontrollorgan verloren hat.

Aber auch von bewegenden Momenten ist die Rede: Angela Korb vermittelt die Freude, mit der man als Vertreter eines kleinen Minderheitenblattes von seinen Lesern überall empfangen wird. Ştefana Ciortea-Neamţiu erinnert sich an einen Dankesbrief von König Mihai höchstpersönlich. Mir fallen die zahlreichen, wunderbaren Menschen ein, über die ich bisher berichten durfte: etwa die rumänischen Studenten, die gegen eine Überzahl europäischer Bewerber einen Platz in einem Raketenexperiment der ESA gewonnen haben. Oder zu Herzen gehende Erlebnisse, wenn man als Kollateraleffekt zur Pressearbeit mal etwas bewirken kann: Ebendiese Studenten, die auf meinen Hilferuf hin einem vom Kopf abwärts gelähmten Mann ein Headset bastelten, sodass er den Mauszeiger seines Laptops durch Augenbewegungen steuern kann.

Warum wir denn nicht enger mit der deutschen Presse kooperieren, fragt eine der Zuschauerinnen am Ende: „Denn wir hätten durchaus Interesse an mehr Themen aus Rumänien und Ungarn!“ „Immerhin sind wir Nachbarn in Donauländern“, bekräftigt eine andere mit Nachdruck.

Wir verlassen den Saal mit einem zufriedenen Lächeln. Denn zumindest für einen Abend lang haben bunte Anekdoten und lebendige Geschichten die stereotypen, schwarzweißen Schlagzeilen zu unserer osteuropäischen Heimat verdrängt.