Wissenschaftler und Brückenbauer

Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth erhält Ehrendoktor der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt

Ehrendoktor Stefan Sienerth (l.) und Rektor Ioan Bondrea
Foto: ULB

Als „produktivsten siebenbürgisch-deutschen Literaturwissenschaftler der Nachkriegszeit“ bezeichnete Peter Motzan seinen Freund und Kollegen Stefan Sienerth anlässlich dessen 60. Geburtstags. Das Zitat griff Prof. Dr. Maria Sass, Leiterin des Germanistik-Lehrstuhls an der Lucian-Blaga-Universität, in der Laudatio auf, die sie auf ihren ehemaligen Lehrer am Donnerstag, dem 26. April, hielt. Gewürdigt wurden der Wissenschaftler, gleichermaßen aber auch Brückenbauer zwischen der deutschen und der rumänischen Literatur sowie zwischen dem deutschen und dem rumänischen Kulturraum, der Erforscher und Bewahrer dessen, was vergessen war oder in Gefahr ist, vergessen zu werden, sowie der Förderer eines regen Austausches von Wissen und Wissenschaftlern.

1948 in Durles/Dârlos geboren, absolvierte Stefan Sienerth 1971 die Philologie-Fakultät in Klausenburg/Cluj-Napoca und ging zunächst als Hochschulassistent an das Pädagogische Institut in Neumarkt/Târgu-Mure{, wo er Deutsch als Fremdsprache lehrte. 1974 ergab sich die Möglichkeit, an den Germanistik-Lehrstuhl des Hochschulinstituts Hermannstadt/Sibiu zu wechseln, wo er bis zu dessen Auflösung 1986 unterrichtete. Er widmete sich der in jenen Jahren politisch weniger verfänglichen siebenbürgisch-deutschen Literaturgeschichte und promovierte 1979 an der Universität Bukarest mit einer Arbeit über die siebenbürgisch-deutsche Lyrik um die Jahrhundertwende. 1986 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Lexikografie am Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften in Hermannstadt und ist Koautor mehrerer Bände des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuches. 1990 siedelte er nach Deutschland um, wurde 1991 Projekt- und ein Jahr später Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Südostdeutschen Kulturwerks, des Vorgängervereins des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS), dessen Direktor er sodann zwischen 2005 und bis zur Verrentung 2013 war. Seit 2001 und bis zur Verrentung war er zudem Lehrbeauftragter der Universität München für Neuere deutsche und rumänische Literatur und erhielt 2002 den Titel eines Honorarprofessors der Universität Bukarest.

Im Verlauf seiner Berufstätigkeit und auch nach der Verrentung verfasste und gab Sienerth zunächst eine Reihe Bücher zur und aus der Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur heraus, ein Forschungsbereich, den er später auf die deutschsprachigen Autoren der Bukowina und zuletzt die Securitate-Akten der Literaten ausgeweitet hat. Die Liste der Titel seiner Buchveröffentlichungen, Studien, Aufsätze, Gedenkartikel und Rezensionen nehmen in der der Verleihung der Ehrendoktorwürde gewidmeten Broschüre 22 Seiten ein, erwähnt seien hier als Beispiele nur „Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts“ (1984), „Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert“ (1990) oder die beiden Bände „Studien und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Literatur und Sprachwissenschaft in Südosteuropa“ (2008), sodann Editionen der Gedichte von Georg Hoprich (1983) oder Hermann Klöß (1989), die Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa „,Dass ich in diesen Raum hineingeboren wurde ...‘“ (1996) oder der zusammen mit Gerhardt Csejka herausgegebene Band „Vexierspiegel Securitate. Rumäniendeutsche Autoren im Visier des kommunistischen Geheimdienstes“ (2015).

In seiner Dankesrede verglich Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth den Moment der Ehrendoktorwürde-Verleihung mit zwei anderen ehrenvollen Ereignissen seiner Karriere: der Leitung der Veranstaltung anlässlich der Anerkennung des IKGS als assoziierte Einrichtung der renommierten Ludwig-Maximilians-Universität in München und die Vorstellung der kurz vorher mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichneten Herta Müller in der Aula der Münchner Uni vor rund 2000 Zuhörern. Hatte er dort jedoch eine Nebenrolle gespielt, stehe er diesmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sagte Sienerth.

In seiner akademischen Rede griff Sienerth zwei Themen aus seinem Forschungsbereich auf: die Bedeutung der Regionalliteraturen aus den heute zu Rumänien gehörenden Gebieten, auf die Karl Kurt Klein bereits 1929 hingewiesen hatte und die wichtige Autoren der deutschen Literatur hervorgebracht haben wie Paul Celan, Oskar Pastior oder Herta Müller, und auf die vielseitigen Interferenzen und Interaktionen zwischen der deutschen und der rumänischen Literatur und den beiden Kulturräumen.