Wo sind die Sachsen?

Schattenwürfe eines „Lichtzeichners“

„Wenn auf den Straßen Hermannstadts kein Sachse zu sehen ist, wird wohl gerade Stadtratssitzung sein“, schreibt Doris-Evelyn Zakel im Katalog der Ausstellung „Sa{i“ (Sachsen), die im Rahmen des Sachsentreffens in Hermannstadt/Sibiu besichtigt werden konnte. Der Leserbrief von Karin Gündisch in der ADZ hatte mich darauf besonders neugierig gemacht. Denn sowohl Sachsen als auch Fotografie gehören zu meinem täglichen Leben – im Beruf durch die ADZ, privat durch meine Ehe mit einem Fotografen. Und wie der Autor der Ausstellung, der aus Kiel stammende Thomas Duffé, sich als „Lichtzeichner“ bezeichnet, hatte auch mein Mann den Ausdruck geprägt, als Fotograf „mit Licht zu schreiben“. Gespannt suchen wir das für 5. August, 17.30 Uhr, im Programm des Sachsentreffens als „Finissage“ angekündigte Ereignis auf. Gähnende Leere im Ausstellungsraum am Großen Ring Nr. 12. Drei-vier Leute schleichen durch den Saal, ein Kameramann scheint, wie wir, hartnäckig auf etwas zu warten, das nicht kommt.

Wahrscheinlich ist wirklich gerade Stadtratssitzung... Die Sachsen sucht man allerdings auch auf den schwarzweißen Fotografien vergeblich. Es ist nichts Typisches – noch nicht einmal Stereotypisches – zu erkennen. Nicht auf den ersten Blick, nicht bei intensiver Suche. Die Fotos wirken gestellt, die Subjekte zum Einzel- oder Gruppenfoto aufgestellt, an die Wand gestellt, wie Fremdkörper in die Landschaft gestellt. Manchmal auch bloßgestellt, wie der dickbauchige „Peter“, mitten im Gerümpel sitzend. Oder „Andreas“, der auf einem Schemel auf der Betonfläche innen vor dem Hoftor abgelichtet wird – unwahrscheinlich, dass er dort jemals wirklich sitzt. Es fehlt jegliche natürliche Beziehung zum Umfeld. Niemand hackt im Garten, tüftelt in der Werkstatt, bindet Weinranken hoch, unterhält sich in geselliger Runde, treibt die Büffel nach Hause, öffnet mit schwerem Schlüssel die Kirchentür, spielt Orgel, kehrt den Hof, backt Brot oder Hanklich, sitzt von Hühnern und Gänsen umgeben auf der Bank vor der Dorfstraße. Dies aber sind die Bilder, die mir spontan von Überlandfahrten durch Siebenbürgen zum Stichwort „Sachsen“ aufsteigen.

Ich denke an Johann Schaas aus Reichesdorf/Richiş, den Schalk in den Augen, wie er mit einem Gläschen Selbstgebranntem auf der Treppe vor der Haustür hockt, mir listig zuprostet und erzählt, warum er nicht nach Deutschland wollte. An Sara Dootz aus Deutsch-Weißkirch/Viscri, wie sie mit dem Buch allein vor den gewaltigen Kirchenburgmauern sitzt und – mit etwa 80 Jahren – wegen der Touristen Französisch büffelt. An Sofia Folberth, die – mit damals fast 90 – wie ein Teenager im verlassenen, alten Pfarrhaus von Deutsch-Kreuz/Criţ campierte, um die Kirche zu putzen und die Dachreparatur zu beaufsichtigen; ihre Wäsche wusch sie vor dem Haus in einer Schüssel. An Uwe Boghean in Großschenk/Cincu und seine abenteuerliche Werkstatt, in der er schreinert, Urzelmasken bastelt, Lederwamse näht und bestickt, Felle gerbt und Tiere ausstopft. An den siebenjährigen Horsti, der, ein totes Vögelchen an einem Bindfaden schwingend, ins Zimmer stürmt, während seine Großmutter Marietta mir stolz etwas von ihrem selbstgepflückten Wiesenblumentee abfüllt. An den betagten Herrn Depner aus Deutsch-Tekes/Ticuşu Veche, Gott hab ihn selig, der mit seinem uralten Mercedes und einer dörflichen Zulassungsnummer im Schritttempo über die Schotterstraßen holperte. Oder an die blaue Babybadewanne voll hausgemachtem Nudelteig im Hof von Gerhild und Dietmar. Dies ist mein Bild von den Sachsen.

Karin Gündisch beklagt im Leserbrief, sich statt der angekündigten Porträtaufnahme in der Ausstellung vor der offenen Badezimmertüre – mit dem sichtbaren Wäschehaufen im Hintergrund – wiedergefunden zu haben. Tatsächlich gibt es trotz des Untertitels „Porträts einer Minderheit“ in der Ausstellung kaum Nahaufnahmen von Gesichtern. Auch der Gesamteindruck ist nicht der, den man mit Siebenbürger Sachsen verbindet. Er ähnelt vielmehr dem einseitigen, klischeehaften Rumänienbild der mit dem Land nicht Vertrauten: Armut, Lethargie, Trostlosigkeit, Verfall. Sieht der Autor Siebenbürgen und seine Sachsen tatsächlich so? Wollte er sie so sehen? Wer mit Licht zeichnet, kann auch den Schatten betonen. Trüge die Ausstellung nicht den Titel „Saşi“ – wer hätte das Thema wohl erraten?